Die Leistungen der Quartierarbeit haben zugenommen

von Noah Pilloud 19. September 2025

Städtische Abstimmung Am 28. September entscheidet Berns Stimmbevölkerung über den neuen Leistungsvertrag mit der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit. Wie sieht der Alltag dieser Quartierarbeit genau aus? Ein Besuch in einem Quartierzentrum.

Im sonnendurchfluteten Raum an der Flurstrasse im Breitenrain vermischt sich das Summen und Rattern der Nähmaschinen mit den leisen Gesprächen auf Deutsch und Türkisch. Eine Gruppe Frauen sitzt an den im Viereck angeordneten Tischen, manche sind in ihre Nährarbeiten vertieft, andere lassen sich von einer Schneiderin Tipps geben.

Die Schneiderin leitet das Nähatelier gemeinsam mit einer Assistentin, erklärt Quartierarbeiterin Nina Müller: «Ziel des Nähateliers ist es, dass die Frauen ihre Deutschkenntnisse vertiefen und ihre Nähfähigkeiten verbessern können.» Ausserdem erfahren sie hier Unterstützung bei der Job- und Wohnungssuche. Immer freitags findet das Angebot statt, die Menschen aus dem Quartier bringen Vorhänge oder sonstige Textilien zum Reparieren hierher. «Es steckt also auch ein Nachhaltigkeitsgedanke dahinter», sagt Nina Müller.

Flicken, nähen, Deutsch lernen – das alles ist möglich im Zentrum im Breitenrain. (Foto: David Fürst)

Es ist eines von vielen Angeboten, das im Quartierzentrum 5 an der Flurstrasse im Breitenrainquartier stattfindet. Später an diesem Tag werden hier noch ein Zeichnungskurs sowie eine ungarische Tanzstunde stattfinden

Informieren und vernetzen

Als Quartierarbeiterin und Zentrumsleiterin arbeitet Nina Müller bei der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (VBG). «Die Vereinigung setzt sich für mehr Lebensqualität ein, in dem sie Menschen informiert, zusammenbringt und vernetzt», fass sie die Arbeit der VBG zusammen. Diese Aufgabe erfüllt die Vereinigung zum einen Teil mit Zentren wie dem Quartierzentrum 5 im Breitenrain, von denen die VBG insgesamt vier betreibt.

Neben dem Raum mit dem Nähatelier befindet sich der Eingangsbereich mit dem Foyer. Dieses dient dem Zentrum als Treffpunkt mit einer gemeinsamen Kaffeemaschine und als Informationsstelle. Weiter hinten befinden sich die Büros der Quartierarbeit, im Untergeschoss verfügt das Quartierzentrum zudem über einen grossen und einen kleinen Saal, eine Küche, Spinde und Abstellräume.

Nina Müller arbeitet als Quartierarbeiterin und Zentrumsleiterin für die Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit. (Foto: David Fürst)

An der Informationsstelle können sich Interessierte darüber informieren, wie sie im Quartierzentrum einen Raum mieten können, welche Angebote es bereits gibt, und wie sie sich selbst im Stadtteil engagieren können. Daneben können am Infoschalter auch Gemeinde-Spartageskarten erworben werden.

Viele Quartierbewohner*innen kommen zudem mit rechtlichen Fragen oder anderweitigen Anliegen auf die Informationsstelle zu, erzählt Nina Müller. Hier kann das Quartierzentrum vermitteln und Kontakte knüpfen.

Der VBG versucht in seiner Arbeit die Quartierbevölkerung aktiv in die Quartierentwicklung einzubinden. (Foto: David Fürst)

Dieser Aspekt kommt ebenfalls bei der zweiten Aufgabe der VBG zum Tragen: der Quartierarbeit. «Bei dieser Arbeit versuchen wir in den jeweiligen Stadtteilen mittels Analysen ausfindig zu machen, wo sich die Bewohner*innen noch nicht so stark für ihre Interessen einsetzen», sagt Nina Müller. Das heisst, die Quartierarbeit macht jene Gebiete ausfindig, in denen es noch wenig aktive Nachbarschaftsgruppen oder Quartiervereine gibt.

Die VBG wirkt oft als Schnittstelle zwischen Quartierbevölkerung, Politik und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen

Mit aufsuchender Quartierarbeit, versuchen Müller und ihre Kolleg*innen die Bewohner*innen zu informieren und gegebenenfalls Kontakte zu Gruppierungen, Behörden oder Vereinen zu knüpfen. Aufsuchende Quartierarbeit bedeutet, sie gehen gezielt auf Menschen zu, klingeln an Türen und kommen so ins Gespräch. «Das geschieht oft in Quartier- oder Stadtteilentwicklungsprojekten», sagt Nina Müller.

Ziel der Gespräche ist es, die Menschen über Projekte wie Schulhaussanierungen oder die Aufwertung öffentlicher Plätze zu informieren und die Mitwirkung zu ermöglichen. So wirkt die VBG oft als Schnittstelle zwischen Quartierbevölkerung, Politik und zivilgesellschaftlichen Gruppierungen.

Das Quartierzentrum an der Flurstrasse im Breitenrain. (Foto: David Fürst)
Ein echter Mehrzweckraum – von Tanzkursen über Pingpong hin zu Vorträgen finden hier alle möglichen Aktivitäten statt. (Foto: David Fürst)

Der neue Vertrag läuft für vier Jahre

Die VBG erhält für ihre Arbeit Geld von der Stadt Bern. Ein Leistungsvertrag regelt, wie viel Geld die VBG erhält und welche Aufgaben sie dafür erfüllen muss. «Die Leistung, die die Stadt bei uns einkauft, hat eine lange Tradition», meint Nina Müller.

Ende Monat entscheidet die Berner Stimmbevölkerung über den neuen Leistungsvertrag. Zum ersten Mal wird der Vertrag vierjährig ausgeschrieben.

Die Stadt hat sich für einen vierjährigen Vertrag entschieden, weil der Betrag, den sie an die VBG auszahlt, grösser geworden ist. In der Stadt Bern kann der Gemeinderat nur über einen bestimmten Betrag selbständig entscheiden. Übersteigt ein Geschäft diesen Betrag müssen Stadtrat und Stimmbevölkerung diesem zustimmen. Deshalb würden die bisherigen zweijährigen Leistungsverträge mit der VBG durch den gestiegenen Betrag eine Abstimmung voraussetzen.

Quartierentwicklungsprozesse sind immer mehrjährig.

Angewachsen ist der Betrag einerseits, weil über die Jahre neue Leistungen hinzugekommen sind. Einen wichtigen Teil machen zudem die Mietkosten aus. So wird etwa das Quartierzentrum 5 bald in einen Neubau ziehen.

Welche Ansprüche die Räumlichkeiten erfüllen müssen, wird offenbar, als Nina Müller aufzählt, wofür alleine der grosse Saal genutzt wird. Von ungarischem Volkstanz über Senior*innen-Yoga, einem Ping-Pong-Angebot für Menschen mit einer psychischen Erkrankung, Abend-Beizen bis zu Infoabenden und Vorträgen findet hier allerhand statt.

Am wöchentlich stattfindenden Nähatelier im Quartierzentrum 5. (Foto: David Fürst)

Viel Rückhalt im Stadtrat

Im Stadtparlament fand der Leistungsvertrag viel Zustimmung. Eine Mehrheit erachtet die Arbeit der VBG als wichtig und einen Ausbau gerade in den Quartieren Bümpliz und Wittigkofen als angebracht.

Eine kleine Minderheit im Stadtrat sprach sich gegen das Geschäft aus. Wegen ihrer finanziellen Lage solle die Stadt auf einen Leistungsausbau verzichten, fand diese Minderheit.

Das letzte Wort beim Leistungsvertrag hat nun die Berner Stimmbevölkerung. Nina Müller hofft auf ein Ja und führt dafür die Natur ihrer Arbeit an: «Quartierentwicklungsprozesse sind immer mehrjährig.» Müller und ihre Kolleg*innen von der VBG würde der vierjährige Vertrag also mehr Planungssicherheit ermöglichen.

(Foto: David Fürst)