Die Leere bleibt

von Lena Rittmeyer 19. Januar 2013

«Die Reifeprüfung» überzeugt am Theater an der Effingerstrasse nicht nur durch Mut zur Nacktheit.

Generation Maybe, Generation Internet, Generation Praktikum. So lautet angeblich das Selbstverständnis der heutigen entscheidungsschwachen Mittzwanziger, der sogenannten Twentysomethings, das durch die Medien geistert. «Wir wollen Lebenskünstler sein und denken wie Beamte», beschreibt Oliver Jeges, selber ein 29-jähriger Volontär, im Programmheft das «postmoderne Anything Goes» von Terry Johnsons Stück «Die Reifeprüfung».

Viel hat sich nicht getan

Die Dinge «nehmen, wie sie kommen», das will auch der soeben graduierte Glanzstudent Ben (Nick-Robin Dietrich) auf der Bühne des Theaters an der Effingerstrasse, der aus einer störrischen Unzufriedenheit heraus sein Zuhause aufs Geratewohl verlässt. Als er nach 24 Tagen per Autostopp durchs Land wieder am Ursprungsort landet, hat sich allerdings nicht viel getan: Noch immer sind da die Schäferstündchen mit der freizügigen Mrs. Robinson (Elke Hartmann), Gattin des Businesspartners (Peter Bamler) von Bens Vater, die lieber die Hüllen fallen lässt, statt Nettigkeiten auszutauschen, und stets ein Behältnis mit Hochprozentigem mit sich herumträgt.

Im Vakuum der endlosen Möglichkeiten

Wie es Ben zu eng wird, wie er sich aus dem Korsett aus Erwartungen und Forderungen seiner fürsorglich-besorgten Eltern (Helge Herwerth, Simone Haering) herauswindet, sich aber selber vor Entscheidungen scheut, das kommt in der Inszenierung von Stefan Meier überzeugend zur Geltung.

«Die entblätterte Mrs. Robinson hat aufs Publikum einen ebenso verblüffenden Effekt wie auf den überrumpelten Ben.»

Lena Rittmeyer, freie Autorin

Dies ist besonders das Verdienst von Nick-Robin Dietrichs Ben, der mit der aalglatten Intonation eines Synchronsprechers seine innere Unruhe in ein bockbeiniges Murren übersetzt, und dann doch plötzlich Hals über Kopf beschliesst, die kindlich-arglose Robinson-Tochter Elaine (Clarissa Herrmann) zu heiraten, um immerhin diesem Vakuum der Ungewissheit und endlosen Möglichkeiten endlich zu entfliehen. Denn so gross wie die Fussstapfen, in die Ben treten könnte, so clownesk übergross sind auch die Flossen des Taucheranzuges (Kostüme: Sybille Welti), den er den Freunden seiner Eltern vorführen soll. Lieber würde er sich für immer in der wohligen Abgeschottetheit des Neoprens wiegen, unempfindlich gegen jegliche Temperaturveränderung.

Splitterfasernackt

Unempfindlich und gefühlstaub ist auch Mrs. Robinson, die hingegen keinen Textilstoff mehr benötigt, um sich vor der Kälte der Welt zu schützen. Wie bereits ihre Vorgängerinnen (etwa Schauspielerin Kathleen Turner) tut es auch Elke Hartmann in der Rolle der Mrs. Robinson: Splitterfasernackt tritt sie vor den sprachlosen Ben. Überraschender- und glücklicherweise ist Regisseur Meier hier mit der erforderlichen Konsequenz vorgegangen. Denn Nacktheit im Theater an der Effingerstrasse würde man nun doch eher weniger erwarten, und so hat die entblätterte Mrs. Robinson auf das Publikum einen ebenso verblüffenden Effekt wie auf den überrumpelten Ben auf der Bühne.

Der letzte Scheinwerferspot

So abgeklärt und kühl wie Peter Aeschbachers in weiss getünchtes Bühnenbild drängt die einst von Simon&Garfunkel besungene Mrs. Robinson dem jungen Ben ihren Willen auf. Und dieser begegnet ihren Avancen wie dem Leben: unentschlossen, verwirrt, eigensinnig. Erst als Ben zu guter Letzt mit der hochzeitsbekleideten Elaine im letzten Scheinwerferspot sitzt, scheint endlich ein gesetztes Ziel erreicht. Doch die beängstigende Leere, die bleibt.