«Die Hebammen sind da, tough, kritisch»

von Jessica Allemann 28. Oktober 2012

Sie sind die «Anti-Autoritären» der Berner Dirigentschaften: Das Chorleiter-Team des Berner Hebammenchors «Midwife Crisis», Ben Vatter und Martina Schibler, erzählt, wie man ins Dirigieren reinrutscht und Lernstoff in Humor verpackt.

Ben Vatter und Martina Schibler leiten den «Midwife Crisis»-Hebammenchor im Duett. Die wohlklingende Harmonie scheint dem Chortleiterduo bei der Teamarbeit wie auch in ihrer Beziehung zu den Sängerinnen des Hebammenchors an oberster Stelle zu stehen. Beim Tee in der herbstlichen Abendsonne erzählen sie von der Kunst des positiven Motivierens, vom herausragenden Körpergefühl der Hebammen und dem Leiten im Team. Das Gespräch ist Programm, Teamplayer sind sie beide: Während Ben Vatter spricht, schmunzelt Martina Schibler zustimmend; Schiblers Erklärungen werden von Vatter nachdrücklich abgenickt. Gekonnt spielen sie sich das Wort zu, witzeln und lachen. Ihre Stimmen sind nachfolgend getrennt aufgeführt. Die Geschichte könnte aber geradeso gut als einstimmige «Wir-Erzählung» geschrieben worden sein.

Ben Vatter:

«Als Chorleiter bin ich gerne Lehrer und Musiker zugleich. Mein pädagogisches Geschick stelle ich aber klar in den Dienst der Freude an der Musik. Ich dirigiere nicht von oben herab. Wenn der Goodwill der Sängerinnen da ist, ist auch der Wille da, an die Details heranzugehen und zu arbeiten. Die intrinsische Motivation ist mir wichtig. Das heisst, das Singen findet in einer lustvollen und produktiven Atmosphäre statt. Die Sängerinnen sollen aus eigenen Kräften und den vorhandenen Fähigkeiten entsprechend Fortschritte machen. Das geht nicht in einer angstvollen Unterdrückeratmosphäre. Wenn man als Chorleiter authentisch bleibt, und vorlebt, wie man selber hart arbeitet, ohne dabei die Freude zu verlieren, kommt das der Motivation des gesamten Chors zugute. Ich verpacke den Lernstoff immer in viel Humor, das hilft auch.»

Bei positiver Stimmung springt der Funke über

«Manchmal muss man eben auch ‹s Füfi grad sein lassen› und realistisch bleiben, besonders kurz von einem Auftritt. Das Publikum hört letztendlich nicht, ob ein vierstimmiger Akkord perfekt ist. Aber wenn eine positive Stimmung da ist, springt der Funke von den Sängerinnen auf das Publikum über.

Die Hebammen sind geerdet und sicher keine labilen Persönlichkeiten. Sie erschüttert nichts so schnell. Sie sind da, tough, kritisch. Man muss sich als Chorleiter behaupten. Mir haben sie es leicht gemacht, aber andere Kollegen hatten einen schweren Stand, als sie zum Beispiel Notenblätter einführen wollten. Als ich den Chor übernahm, war das Notenlesen also schon erledigt, und ich konnte auf der guten Vorarbeit aufbauen.»

Um ein Haar Dorfschullehrer geworden

«Eigentlich bin ich Instrumentalist und eher durch Zufall ins Chorwesen gerückt. Erst übernahm ich eine Vertretung, kurz darauf die Co-Leitung des Chansonchors des Gymnasiums Bern Kirchenfeld.

«Das Dirigieren eines Chors ist etwas wahnsinnig Direktes. Du brauchst bloss ein Handzeichen zu machen, und die Energie ist sofort bei dir.»

Ben Vatter, Chorleiter

Das Dirigieren eines Chors ist etwas wahnsinnig Direktes. Du brauchst bloss ein Handzeichen zu machen, und die Energie ist sofort bei dir. Das hat mich berührt. Ich bin gerne Chorleiter, an der Schule wie beim Hebammenchor. Mit einem Konzert kannst du bleibende Eindrücke schaffen, mit Mathematik geht das nicht.

Ich bin in einer musikalischen Familie gross geworden. Das Musizieren hat für mich immer dazu gehört. Nach dem Lehrerseminar wäre ich aber um ein Haar Dorfschullehrer geworden. Jemand Gutes hat eingegriffen und die Dinge so gedreht, dass ich die Stelle nicht bekommen habe. Also habe ich ein Teilzeitpensum als Lehrer übernommen und viel Raum für die Musik gehabt. Schon damals war ich gleichzeitig Lehrer und Musiker – es sollte sich aber erst später herausstellen, dass der Ort dazwischen, das Lehren und Dirigieren, der Ort ist, an dem ich mich wohlfühle.»

Stärken kumulieren und Schwächen überdecken

«Das Aufteilen von Chorleiterposten tut gut. Man kann nur voneinander profitieren, und die Sängerinnen und Sänger haben Abwechslung. Beim ‹Chor im Breitsch› sind wir sogar zur dritt. Wir sind drei ganz unterschiedliche Typen, reden aber musikalisch vom Gleichen. Man sollte gerade so viel Verschiedenheit mitbringen, dass man sich nicht konkurrenziert, sondern ergänzt. Ein Team kann dann Stärken kumulieren und Schwächen überdecken.

Wie es nach dem 20-Jahr-Jubiläum des ‹Midwife Crisis›-Chors weitergeht, steht noch in den Sternen. Das Jubiläum bezeichnet jedenfalls den Abschluss einer Phase. Vielleicht gibt es danach einen Bruch, oder auch nicht. Wir werden uns damit auseinandersetzen. Jetzt konzentrieren wir uns erst einmal auf die bevorstehenden Konzerte.» 


Martina Schibler:

«Als Stimmbildnerin des Chors bin ich oft in der Rolle der Lehrerin. Aber auch die Musikerin ist immer dabei und hört mit beiden Ohren hin. Was mir musikalisch nicht gefällt, ändere ich in einer pädagogischen Herangehensweise. Ich habe zwar eine Idee davon, was ich musikalisch erreichen will, versuche aber immer, mich diesem Ziel in einer positiven Lernatmosphäre anzunähern. Wenn es nicht auf Anhieb klappt, gebe ich nicht gleich auf, sondern passe meine Erwartungen erst im Verlaufe der Probe an.

Die Hebammen bringen eindeutig ein gutes Körperbewusstsein mit. Sie können in sich hineinfühlen und wissen, was ich meine, wenn ich vom Zwerchfell rede. Das macht meinen Job einfacher. Auf der anderen Seite wird man aber auch immer wieder hinterfragt, und man muss sich etablieren. Autoritäres Auftreten würde beim ‹Midwife›-Chor nicht funktionieren.»

Ein Orchester voller Stimmen

«Für mich als Sängerin ist es wundervoll, mit einem ganzen Orchester voller Stimmen, dem Instrument, das ich am besten kenne, zu arbeiten.

«Für mich als Sängerin ist es wundervoll, mit einem ganzen Orchester voller Stimmen, dem Instrument, das ich am besten kenne, zu arbeiten.»

Martina Schibler, Chorleiterin.

Die Chorarbeit hat mich besonders beim Arrangieren von Stücken weitergebracht. Ich habe mehr Mut für neue Arrangements, traue mir mehr zu. Es ist ein tolles Erlebnis, wenn der Chor eines meiner Arrangements zum ersten Mal singt und es genau so klingt, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich weiss natürlich, wo die Stärken der Sängerinnen liegen, und passe meine Arrangements an. Die ‹Midwife›-Sängerinnen klingen in den Tiefen sehr gut, und rhythmisch ist auch viel möglich.»

Es anders machen als die eigene Klavierlehrerin

«Als Kind ging ich in den klassischen Klavierunterricht. Damals dachte ich, dass ich einmal Klavierlehrerin würde, um den Unterricht so gestalten zu können, wie ich es für richtig halte. Für eine Band wechselte ich als Teenager ans Mikrofon und gewann mit ihr einen Nachwuchsförderpreis. Das hat bei mir etwas in Gang gesetzt. Plötzlich realisierte ich, dass in mir drin etwas steckt. Musik hatte für mich immer etwas Selbstverständliches. Die Professionalität kam erst im Hauptstudium meines Gesangsstudiums. Als ich sah, dass man von der Musik leben kann, erhielt ich auf einmal eine ganz andere Perspektive bezüglich Musik.»

Keine strenge Hierarchie

«Ben ist ein alter Hase, was das Chorschaffen angeht. Ich bin 2009 zum ersten Mal vor einem Chor – dem ‹Midwife Crisis› – gestanden. Ben ist ein Faktor, wieso ich mich beim Hebammenchor so wohlfühle. Wir stehen nicht in einer strengen Hierarchie zueinander. Die Art und Weise, wie wir zusammen funktionieren, und die gemeinsame Freude am Auftritt passen mir.

An den Konzerten des Chors trete ich als ‹Hebamme Rosie Schibler› auf und führe durch das Rahmenprogramm. Diese Kunstfigur bewegt sich zwischen Musiktheater und Cabaret und gibt mir die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, die Martina Schibler vielleicht nicht tun würde. Was beide aber sicher mit grossser Freude tun werden, ist das 20-Jahr-Jubiläum des Midwife Crisis Chors feiern.»