Die Bilder, die Protagonisten (das ehemalige Politikerpaar Stephanie und Ruedi Baumann), die Kameraarbeit und das hartnäckig-kritische Nachfragen des Filmers (und Sohn des Paars), aber auch der Schnitt und die Aufnahmen aus dem Familien- und dem TV-Archiv machen den Film zu einem Dokument. Es ist ein ehrliches, unbequemes aber in weiten Teilen auch sehr amüsantes Dokument, weil der Filmer offen zugibt, warum er sich in der Rolle eines Erben gar nicht wohl fühlt und in Widersprüche verstrickt, und weil die ausgewanderten Grossgrundbesitzer in Frankreich sich so unverkrampft offen geben.
Kann man für eine Erbschaftsteuer sein und gleichzeitig darauf achten, dass man beim Erben steuerfrei davonkommt? Kann man das Lebenswerk der Eltern ausschlagen, verkaufen, geringschätzen? Oder werden, wenn solche Fragen konkret auftauchen, Gefühle geweckt, die man am liebsten verbergen würde?
Solchen Fragen geht Filmemacher Simon Baumann auf dem 70 Hektar grossen Anwesen seiner Eltern in Südwestfrankreich und in seiner Heimat Suberg nach. Er filmt die Eltern Baumann beim Werkeln rund ums Haus. Ruedi, den Traktorfreak, beim Blättern in einem Traktoralbum aus seiner Schulzeit, Stephanie beim Fensterputzen und in ihrem Orchideenfeld, die beiden beim Fernsehgucken, beim Witzeln um die Herrschaft über die Fernbedienung, bei der Familienkonferenz und schliesslich beim Vermögensberater in Frankreich.
Immer dä Zeigfinger vom Ruedi u die luti Stimm vor Stephi
Der Filmer tut das unverkrampft-direkt, dass man sofort mittendrin ist in dieser Familiengeschichte, in dieser Familie, die idealistisch denkt, aber nicht ganz klar kommt mit Widersprüchen. Wir tauchen als Zuschauer*innen ein in die Aufbruchstimmung der Achtzigerjahre. In privaten Videoaufnahmen sieht man das Arbeiterkind Stephanie und den Bauernsohn Ruedi als Jungverliebte, als Eltern, als umweltbewusste Linke. In Archivaufnahmen erlebt man die junge SP-Politikerin als idealistische Kämpferin für Gerechtigkeit und gegen Ausbeutung und sieht den wortgewandten Grünen der ersten Stunde im hitzigen Wortduell mit bürgerlichen Politikern.
Ihr Sohn gesteht, wie ihn und seinen Bruder diese Aufnahmen damals prägten, oft auch ärgerten und beschämten («immer dä Zeigfinger vom Ruedi u die luti Stimm vor Stephi»). Aber er zeichnet mit wenigen Fotos auch die Atmosphäre dieser Zeit, in der er auf dem selbstverlegten, billigen Novilonboden im Suberger Bauernhaus mit einer selbst gebastelten Kamera Filmer spielte. Haarschnitt made by Mamma, Kleider geflickt und geerbt von Verwandten, Holzkamera made by Papa.
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Baumanns waren ein schweizweit bekanntes Politikerpaar, oft in Fernsehdiskussionen zu sehen, Eltern und Besitzer eines grossen Bauernhofs in Suberg. Sie waren gewiss nicht arm, aber sie lebten äusserst bescheiden und umweltbewusst – aus Überzeugung. Er, weil seine Familie ein Erbe zu verteidigen hatte, sie, weil sie von ihren Vorfahren nichts geerbt hatte als die Überzeugung «man zieht sich recht an. Auch für den Sonntagsspaziergang.»
Aus dieser Familie wurden mit den Jahren Grossgrundbesitzer in Frankreich (die Eltern), Bauer und Politiker (Sohn Kilian) und Filmer (Sohn Simon). Heute gehören dazu ausserdem zwei Schwiegertöchter und mehrere EnkelInnen. Und langsam muss sich diese Familie Gedanken machen zur Zukunft und zum Erben. Wie unangenehm!
Wenn das kein Filmstoff ist!
Der Film habe eine lange Entstehungsgeschichte, sagte Simon Baumann an der Filmpremiere in Bern. Das Thema habe ihn zu beschäftigen begonnen, als er kurz vor der Geburt der ersten Tochter mit seiner Partnerin Ferien am Meer machte. Das Hotel war schön, das Essen regional, die Tage unbeschwert… die Hinreise aber – «im Flüger!» –alles andere als umweltverträglich.
Heute wohnt Simon mit seiner Familie im halb geschenkten, halb mit Schulden belasteten Haus, geniesst ein Privileg, das nur wenige seiner Altersgenossen geniessen und fragt sich, wie seinerzeit seine Mutter: ist das gerecht? Müsste ich als Privilegierter das Erbe verschenken?
Die Antwort bleibt er uns auch im Film weitgehend schuldig. Weil er sie schlicht nicht schlüssig formulieren kann. Weil er am Beispiel seines Vaters merkt, dass bäuerlicher Besitz den Besitzer und seine Nachkommen nicht nur prägt, sondern auch unbeweglich und bisweilen stur und irrational machen kann. Dass aus einem Arbeiterkind eine Frau reifen kann, die die Widersprüche zwar sieht und eloquent verteidigt, aber auch nicht auflösen kann.
Es ‹mönschelet›, wie kaum je in einem anderen Dokumentarfilm
Simon Baumann filmt diese Verstrickungen glaubwürdig, zeigt seine Familie ungeschönt und setzt mit seinem Werk einen Kontrapunkt zum stets etwas zu optimistischen Fernsehformat «uf u dervo», wo Schweizer*innen im Ausland unbeschwert ein neues Leben beginnen.
Ruedi und Stephanie Baumann haben sich auch «uf u dervo» gemacht, haben in der Ferne etwas aufgebaut, das ihre Nachkommen nun nicht unbedingt haben wollen, und wohl nicht im gewohnten Stil weiterführen können. Ein Lebenswerk, das den zukünftigen Erben Last ist, aber gleichzeitig auch viel bedeutet. Soviel dass Simon nun diesen Film drehen musste. Es «mönschelet», wie kaum je in einem anderen Dokumentarfilm. Stephanie und Ruedi Baumann sind in einer Situation, wie sie es sich seinerzeit wohl kaum vorstellen konnten.
Man fühlte es auch in der kurzen Diskussion mit ihnen im Kino Rex. Ruedi Baumann, den Simon meist beim Arbeiten filmte («weil er sonst politikermässig ins Plaudern kommt») hielt sich zurück, seine Frau sprudelte. Und die Anwesenden erfuhren, dass nun vorläufig alles – korrekt geregelt – beim Alten bleibt, die Baumanns nicht in die nigelnagelneue, bequeme Eigentumswohnung in der Region ziehen, weil Ruedi dort nur Häuserblocks sähe (anstatt freie Sicht aufs Land).
Und erfahren konnten die Anwesenden auch, dass die seinerzeitige Holzkamera von Simon leider unauffindbar war, das Stativ wohl mal beim Cervelatbräteln mit den Grosskindern verbrannt wurde. Und schliesslich lässt sich Ruedi doch noch ganz tief in die Seele blicken. Ja, er sei zufrieden mit dem Werk, bedauere aber schon, dass die Szene rausflog, wo er in auf seinen Feldern in Frankreich mit dem Traktor gegen die Abendsonne fuhr.
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