Die Gallier der Berner Lesekultur

von Roger Ambühl 3. Mai 2022

Ganz Lese-Bern ist von Orell Füssli, Ex Libris und Amazon besetzt. Ganz Lese-Bern? Nein! Von unbeugsamen Buchhändler*innen bevölkerte kleine Läden hören nicht auf, den grossen Buchhandelsfirmen Widerstand zu leisten.

So könnte frei nach Asterix eine Geschichte über den unabhängigen Buchhandel in Bern starten. Aber das trifft die Wahrheit nur zum Teil. Denn es ist nicht der Kampf David gegen Goliath, der die umtriebigen Buchhändler*innen in Bern antreibt. Es ist die Liebe zu den Büchern und der persönliche Kontakt mit Menschen, die sie jeden Morgen ihre Läden aufschliessen lässt. Auch zwei Jahre Corona taten dem keinen Abbruch. Im Gegenteil.

Pandemie als Chance

Der Eingang zur Buchhandlung zum Zytglogge erinnert mit seinem grünen Fensterbogen an den rundbäuchigen Zugang zu einer Höhle. Im Innern erwarten die Besucher*innen der herrliche Geruch von frischer Druckfarbe, ein mit Büchern vollgestopfter Raum und ein freundliches Grusswort der anwesenden Buchhändlerinnen. Gabriela Bader ist die Besitzerin der Buchhandlung zum Zytglogge und erzählt von einer anstrengenden Pandemiezeit, aber auch der privilegierten Situation, in der sich der Buchladen befand. Denn im Gegensatz zu anderen Berufszweigen konnten sie immer arbeiten. «Insbesondere der erste Lockdown war streng, weil wir überlegen mussten, wie wir mit unseren Kunden in Kontakt bleiben», erklärt sie. «Das ist einfacher, wenn man eine Stammkundschaft hat, klein und flexibel ist.»

gabriela bader buchhandlung zytglogge
Gabriela Bader in ihrem Reich der Bücher am Zytglogge. (Foto: Roger Ambühl)

So halfen sogar die Söhne von Gabriela Bader, die sonst nicht in der Buchhandlung arbeiten, bei der Logistik und beim Ausliefern der Bestellungen mit. Auch auf die Solidarität der Kunden konnte sie zählen. Es gab eine zusätzliche Hinwendung zur Literatur und zum Lokalen. «Menschen merkten, dass Literatur stärkt, tröstet, ablenkt und gut tut», erzählt sie, im hinteren Teil des Ladens zwischen stöbernden Kunden und hohen Regalen sitzend. «Es war eine intensive, aber gute Zeit», fasst sie zusammen und lächelt dabei.

Das bestätigt auch Anna Christen vom Buchladen Klamauk in der Postgasse, die in Worb noch einen zweiten Laden, Zur Schmökerei, führt: «Viel mehr Leute haben im privaten Rahmen das Lesen wiederentdeckt. Die Bindung zu unseren Kunden ist jetzt enger als vorher.»

anna christen klamauk
Anna Christen in der Buchhandlung Klamauk an der Postgasse. (Foto: Roger Ambühl)

Natürlich vergisst auch sie nicht zu erwähnen, dass während der Pandemie nicht alles kitschig wie in einem Kioskroman war. Gerade zu Beginn der Pandemie war die Unsicherheit gross. Als Unternehmerin hat sie Verantwortung für ihre Angestellten und zahlt Löhne aus. Darum kam sie um die Aufnahme eines Covid-Kredites nicht herum. Dennoch betonen beide Buchhändlerinnen, wie gut sie mit ihren Kleinfirmen durch die Coronazeit gekommen sind.

Persönliche Auswahl versus zentraler Einkauf

Die grosse Stärke des unabhängigen Buchhandels ist der persönliche Kontakt. So begrüssen die Buchhändlerinnen viele ihrer Kunden mit Namen und kennen ihre Vorlieben. Darum sind die kleinen Läden für die Stammkunden auch ein Ort der Begegnung und nicht nur ein nüchterner Platz, um einen Handel abzuwickeln. Die unabhängigen Buchläden entscheiden zudem selbst, was für Bücher sie ins Sortiment nehmen. Das ermöglicht ihnen, auf hohem Niveau zu beraten und gibt den Läden ein eigenes Profil, das die Kunden schätzen.

bücher klamauk
Ein Einblick in das Büchersortiment in der Buchhandlung Klamauk. (Foto: Roger Ambühl)

«Ich habe 85% meines Sortiments selbst gelesen», sagt Anna Christen nicht ohne Stolz in der Stimme. Diese Qualität, die der unabhängige Buchhandel bietet, mit neuen Kunden zu kommunizieren und diese auch zu erhalten, indem sich die Buchhändlerinnen laufend über Neuerscheinungen informieren, erachten sie als eine der grössten Herausforderungen. Denn viele Kunden kommen zum Schmökern in den Laden, fragen für einen Buchtipp oder diskutieren über eine aktuelle Buchkritik. Da heisst es à jour bleiben.

Ganz anders funktioniert die Buchbeschaffung bei den grossen Buchhändlern, wo es oft einen zentralen Einkauf gibt. Dieser wird teilweise auch in Deutschland zentralisiert, wo die Geschmäcker der Berner Buchaficionados nur wenig berücksichtigt werden. Gerade kleinere Schweizer Verlage oder unbekannte Autoren kommen so weniger zum Zug, weil sie die Einkäufer in Deutschland schlicht nicht kennen und sie zudem weniger Umsätze versprechen. Und auch einer der grossen Mythen des Buchhandels wird im Gespräch mit Anna Christen entkräftet: Die kleinen Läden liefern ihre Waren oft ebenso so schnell, und auch nicht teurer als Amazon oder die grossen Filialen.

Amazon bewegt, aber stört nicht

Auch zur Marktmacht von Amazon haben die zwei Buchhändlerinnen eine sehr differenzierte Meinung. Generell sehen sie den Onlinebuchhandel und auch andere Geschäftsmodelle im Buchmarkt eher als Ergänzung zu ihrem Angebot denn als direkte Konkurrenz. Denn die Zielgruppen der kleinen unabhängigen Buchhandlungen sind nicht die gleichen wie die des grossen Amerikanischen Onlinehändlers.

Journal B unterstützen

Unabhängiger Journalismus kostet. Deshalb brauchen wir dich. Werde jetzt Mitglied oder spende.

«Ich habe aber auch schon im Treppenhaus neben meinem Laden Post-it Zettel auf Amazon-Pakete geklebt. Darauf stand: Sie wohnen neben einem Buchladen, wo das Buch auch bestellbar ist! Aber in meinem alltäglichen Umgang stört mich Amazon nicht, weil ich merke, dass die Menschen das Geschäftsmodell durchschauen», erklärt Anna Christen während sie vor ihrem Laden unter den Lauben an einem kleinen Metalltischchen sitzt.

bücher zytglogge
Die unabhängigen Buchläden entscheiden selbst, was für Bücher sie ins Sortiment nehmen. (Foto: Roger Ambühl)

Die Zahlen bestätigen diese Nicht-Konkurrenz: In Deutschland machen die stationären Buchverkäufe gemäss Börsenverein des Deutschen Buchhandels über 40% des Gesamtmarktes aus. Nur etwa 25% fallen auf den Internetverkauf zurück, wobei die Hälfte über die Internetshops der Buchhändler generiert wird. Wie gross der Anteil der unabhängigen Buchhandlungen am Kuchen ist, ist schwer zu eruieren. Aber Branchenkenner gehen auch da etwa von der Hälfte des Umsatzes aus. In der Schweiz dürften die Zahlen ähnlich sein. Das beweist vor allem eines: Amazon ist im deutschsprachigen Buchmarkt nicht so stark wie gedacht. Und sonst sind die grossen Filialisten wie Orell Füssli Thalia und Ex Libris die grössere Konkurrenz für die kleinen Buchläden in der Altstadt von Bern.