Fast etwas deplatziert steht das grosse Wohnhaus auf der Baustelle, zu welcher das Warmbächliareal mittlerweile mutiert ist. Das ehemalige Lagergebäude der Chocolat Tobler wurde durch die Genossenschaft Warmbächli umgebaut und aufgestockt. Es ist das erste Gebäude der hier entstehenden Siedlung Holliger, welches fertig gestellt ist. So liegen davor und daneben Baufelder und Rohbauten. Sechs verschiedene gemeinnützige Bauträger bauen hier in wenigen Jahren ein neues Quartier.
Beim Eingang an der Güterstrasse 8 ist nicht viel zu merken von der regen Bautätigkeit auf der anderen Seite des Hauses. Ein Lieferwagen parkt und zwei Menschen laden Zügelkisten aus. Nebenan steht Tobias Willimann und zieht an seiner Zigarette. Willimann ist Co-Präsident der Genossenschaft und leitete die Baukommission. Mittlerweile ist er auf Mandatsbasis von der Genossenschaft angestellt, in den letzten Wochen arbeitete er quasi Vollzeit für das Projekt
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Wir beginnen unsere Tour im Holligerhof 8 – so die neue Adresse des Gebäudes – auf der Dachterasse. Willimann blinzelt in die strahlende Sonne, die auf uns und die Solaranlage über unseren Köpfen scheint. «Die Terrasse und die 700 m² Dachgarten sind allen zugänglich und hier steht auch unsere Dachküche.» Er weist mit der Hand auf die grossen Glasfenster, hinter denen Stühle, Tische und die erwähnte Küche stehen. Diese kann von den Bewohnenden des Hauses reserviert werden. Der Blick schweift weit von hier oben, erfasst Bern zwischen Bantiger und Gurten.
Auf dem Weg durch das gross dimensionierte Treppenhaus nach unten begegnen uns im Vorbeilaufen viele Mieter*innen. Willimann, der selbst hier wohnt, grüsst die meisten mit Namen, man kennt sich. Viele Kinder bevölkern das Haus. Darauf angesprochen meint er: «Solche Neubauten ziehen viele junge Familien an. Das kann aber eine Herausforderung sein, wenn es um die Altersdurchmischung geht.» Etwa 50 Kinder wohnen in dem Gebäude, insgesamt sind es 214 Bewohner*innen.
Im 4. Stock laufen wir in eine der beiden «Clusterwohnungen», die noch als temporäres Büro der Genossenschaft dient. «Wir hatten Schwierigkeiten, diese zu vermieten», sagt Willimann. Bald würden aber die neuen Mietenden einziehen. Konzipiert als WG für ältere Personen oder für generationenübergreifendes Wohnen ist ihr Grundriss ungewohnt. Sie besteht aus fünf Einheiten à einem oder zwei Zimmern, zu denen meistens ein eigenes Bad gehört. Die einzelnen Einheiten sind über die gemeinsame Wohnfläche miteinander verbunden. «Eine WG für Menschen, die nicht wollen, dass man hört, wenn sie nachts aufs WC gehen», erklärt es Willimann. Die Nachfrage nach die beiden Clusterwohnungen sei aber – im Gegensatz zu den meisten anderen Wohneinheiten – nicht hoch gewesen.
Wie gross hier gewohnt werden darf, ist limitiert. Und zwar auf 35 m² pro Person – nicht im Durchschnitt sondern als Obergrenze für jede*n Bewohner*in. Dies zumindest das vereinbarte Ziel der Genossenschaft. Ganz einhalten habe man diese Belegungsrichtlinien nicht in jedem Fall können, sagt Willimann. Grund dafür: die Wohnungsgrundrisse, die der Form des Gebäudes geschuldet sind. Im Schnitt belegen die Mieter*innen hier 31.2 m² Hauptnutzfläche pro Person.
Der Holligerhof 8 wäre prädestiniert, eine Antwort auf die Frage zu liefern, wie heutige Berner Wohnbedürfnisse aussehen: Frisch entstanden, mitten im urbanen Raum, geplant von einer Genossenschaft, die ihre eigenen Wünsche umsetzen konnte. Doch die fünf bewohnten Stockwerke auf einen gemeinsamen Nenner runterzubrechen ist nicht so einfach. Die Palette an Wohnungen reicht von 1.5-Zimmer-Studios bis zur 15.5-Zimmer Gross-WG. Nicht zu vergessen: Eine Selbstausbauhalle – hier baut eine Gruppe junger Menschen sich ihre Vorstellung des Wohnens in eine 280m² grosse Halle gleich selbst ein. Wie diese aussieht? Grosse Quader dienen als private Zimmer und lassen sich im Raum frei verschieben und neu anordnen.
Die Tour durchs Gebäude führt uns nun ins obere Hofgeschoss, in welches das Licht aufgrund der Hanglage des Hauses nur von der Seite der ehemaligen Brache her einfällt. Hier entsteht ein gemeinsam genutzter Treffpunkt mit Tischen und Stühlen und ein kleiner Kinderspielplatz. Gleich daneben: Eine ausladend dimensionierte Veloeinstellhalle und eine Art Lebensmitteldepot. In Letzterem können sich Vereinsmitglieder Tag und Nacht selbst bedienen. Auch auf diesem Geschoss, zum späteren Innenhof der Siedlung orientiert: Ein Quartierzentrum für den Holliger und nebenan ein inklusiver Restaurantbetrieb, getragen von Wohnenbern, der katholischen und der reformierten Kirchgemeinde.
Tobias Willimann führt mich weiter, ein Stockwerk tiefer, wo Gewerberäume und eine Quartierwerkstatt eingerichtet sind, dann zu den Kellerabteilen hinunter und während ich langsam die Orientierung verliere, notiert er fleissig auf seinem Klemmbrett, was ihm unterwegs auffällt und noch erledigt werden muss. Als wir wieder draussen stehen, ist sein Blatt voll und er meint grinsend, mit Blick aufs im Bau begriffene Nachbargebäude: «Wir sind schon die Freaks hier.» Nebenan bauen grosse Genossenschaften wie die Fambau, mit 3000 verwalteten Wohneinheiten die zweitgrösste Wohnbaugenossenschaft der Schweiz. Damit kann sich die Genossenschaft Warmbächli natürlich nicht messen – will sie auch gar nicht. Hat sie doch in tausenden Stunden Freiwilligenarbeit ihr eigenes Projekt gestemmt. «Noch ist die Arbeit nicht erledigt», sagt Willimann und meint, er freue sich darauf, dass nach erfolgtem Einzug das gemeinschaftliche Leben im Haus bald Fahrt aufnehme. Nun müsse er aber los, sagt er und schiebt lachend nach: «Ich würde gerne den ganzen Tag lang nur Hausbesichtigungen durchführen.»