Die Filme der Töchter

von Basrie Sakiri-Murati 8. Oktober 2023

Kino Zum vierten Mal gab es im September im PROGR ein Filmfestival «Kino Kosova». Unsere Kolumnistin ging hin, war begeistert und zu Tränen gerührt.

Bereits am ersten Abend ging ich mit einer Freundin hin. Rund um den PROGR trafen wir viele Menschen. Die meisten von ihnen waren jung und sprachen Deutsch. Doch hie und da hörte ich ein albanisches Wort. Der Kinosaal war schnell voll. Rund 300 Leute lauschten der Moderatorin, die die Filme vorstellte. Filme von jungen Frauen aus Kosovo, die von Freiheit, dem Leben der Teenager und dem Kampf gegen das Patriarchat handelten.

Mich berührte der Mut und der Fleiss der jungen Regisseurinnen. Schweizer*innen mögen denken, junge Regisseurinnen gibt es heute auf der ganzen Welt. Doch für mich war das aussergewöhnlich, denn zu meiner Zeit wussten viele junge Albanerinnen nicht einmal, was ein Kino ist. Und heute präsentieren ihre Töchter weltweit eigene Filme.

Ein Jahrzehnt lang gab es im Kosovo kein albanisches Kino oder Theater.

Als der Film «Si në Vaj» endete, liefen mir Freudentränen über die Wangen. Gleichzeitig schmerzte mich mein Herz für Tausende Frauen, die immer noch unter dem Patriarchat leiden und noch nie einen Kinosaal betreten haben. Oder sich keinen Kino- oder Theaterbesuch leisten können. Der Film von Aulona Selmani zeigt, wie eine Mutter ihre Tochter auf dem Weg zur Selbstverwirklichung in der Kunst unterstützt, trotz Hindernissen von Familienangehörigen. Besonders berührend war die Schlussszene: Mutter und Tochter fahren auf dem Trottinett durch die Strasse – die Tochter in der albanischen Brauttracht.

Ich musste daran denken, wie es vor ein paar Jahren im Kosovo aussah, als Kinos für die meisten Frauen (auch für mich!) ein Fremdwort waren. Und eine Frau als Regisseurin? Undenkbar! Das zeigt, was inzwischen in Sachen Frauenrechten daheim und in der Diaspora gegangen ist. Es geht zwar langsamer als anderswo, aber immerhin.

Aber auch umgekehrt ist einiges gegangen. 1989, als ich in der Schweiz kam, wussten einige Schweizer*innen nicht einmal, wo Kosovo liegt. Und wenn ich ihnen sagte, dass ich Albanierin aus Kosovo bin, konnten sie nicht begreifen, was das heisst. Sie dachten, Albaner lebten nur in Albanien. Mit meinem schlechten Deutsch versuchte ich zu erklären, dass wir Kosovoalbaner*innen die gleiche Sprache und Kultur haben wie die Menschen in Albanien. Aber, dass unser Land von Serben besetzt ist. Ein Jahrzehnt lang, in den 1990-er Jahren, gab es im Kosovo kein albanisches Kino oder Theater. Alles war geschlossen worden und von der serbischen Regierung verboten. Und heute füllt das Festival «Kino Kosova» in der Schweiz einen Kinosaal. Ist das nicht grandios?

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Bei einer Lesung fragte mich kürzlich eine junge Albanerin, die in Bern aufgewachsen ist: «Woher hatten Sie den Mut, so jung für die Freiheit und gegen das Patriarchat zu kämpfen?» Ohne viel zu überlegen antwortete ich: «Ich konnte mir nicht vorstellen ohne Freiheit zu leben, also kämpfte ich dafür, ohne an Gefahr zu denken. Ich war hoffnungsvoll und habe an meine Freiheitsideal geglaubt!»

Sabo Meta, einer der Köpfe im Kino Kosova, sagte in einem Interview auf Radio RaBe: «Vor allem weibliche Regisseurinnen sind erfolgreich. Bei Frauen ist das Bedürfnis, Grenzen zu sprengen, grösser als bei Männern. Auf der ganzen Welt gibt es immer noch patriarchale Unterdrückung zu bekämpfen. Frauen haben ein starkes Interesse dies zu tun.» Wie recht er hat!