Die Feier zu Bakunins 203. Geburtstag

von Fredi Lerch 1. Juni 2017

Auch dieses Jahr haben sich die «Ritter von Bakunins Grab» auf dem Bremgartenfriedhof versammelt, um auf den Geburtstag des anarchistischen Sozialrevolutionärs anzustossen. Und dann ist da noch eine Geschichte aufgetaucht.

Bremgartenfriedhof, 30. Mai, 12 Uhr: Neben dem Grab des russischen Anarchisten Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876) steht auf einem Tisch der Apero parat. Von den zehn Rittern von Bakunins Grab versammeln sich in diesem Jahr deren fünf, um den 203. Geburtstag des russischen Anarchisten zu feiern – angereist aus Zürich, aus Madrid und gar aus den USA. Die hinter dem Grabstein versteckte Wodka-Flasche ist, wie ein Augenschein zeigt, bis auf zwei drei Schlucke leer.

Das Verdienst von Paul Gredinger

Einer der heute abwesenden Ritter ist der Schriftsteller Matto Kämpf (er weilt eben im Kosovo). Einige Tage zuvor hat er Journal B erzählt, warum die Ritterschaft nötig sei: Auf dem Bremgartenfriedhof gebe es von Friedrich Traugott Wahlen über Theodor Kocher bis zu Robert Grimm eine ganze Reihe von Prominenten-Gräbern. Zwar gehöre Bakunin auch dazu, aber sein Grab sei das einzige, dessen Erhaltung und Pflege die Berner Öffentlichkeit nicht selbstverständlich übernommen habe. Dass das so ist, wusste kaum mehr jemand, weil der Architekt und Werber Paul Gredinger – das zweite G der Werbeagentur GGK (Gerstner, Gredinger, Kutter) – 1964 die Kosten für Bakunins Grab gleich für fünfzig Jahre bezahlt hat.

Ein Jahr nach Gredingers Tod 2013 waren die Grabkosten wieder fällig. Jetzt entschied der in Madrid lebende Schwiegersohn Gredingers, Adrian Lipp, sich im Sinn des Anarchisten Bakunin nicht an den Staat zu wenden, sondern den Orden der «Ritter von Bakunins Grab» ins Leben zu rufen, von denen immer einer sich verpflichtet, die jährlichen Grabkosten von 250 Franken zu übernehmen. So ist von Kempf über das Cabaret Voltaire in Zürich bis zum Filmemacher Paul Riniker eine bunte Gruppe von anarchistisch inspirierten Künstlern und Dadaisten zusammengekommen. Ende Mai 2014 haben sie sich zum 200. Geburtstag Bakunins erstmals auf dem Grab versammelt.

Wodka, Gainsbourg und Zitate

Nachdem die Champagnergläser gefüllt sind, beginnt der wohltuend formlose offizielle Akt. Er hat drei Teile: Zuerst platziert Adrian Lipp feierlich eine neue Flasche Wodka hinter Bakunins Grabstein, auf dass sich auch im kommenden Jahr von weither Angereiste mit einem Schluck auf den grossen Gegenspieler von Karl Marx stärken mögen.

Dann stimmt der Künstler Martin Beutler mit den Anwesenden das Lied «L’herbe tendre» des anarchismus-affinen französischen Liedermachers Serge Gainsbourg an. Und schliesslich verweist Lipp auf den vom Künstler Daniel Garbade geschaffenen, letztes Jahr enthüllten neuen Grabspruch: «Wer nicht das Unmögliche wagt / wird das Mögliche niemals erreichen». Nicht einfach sei es gewesen, erzählt er, in einem anarchistisch-demokratischen Meinungsfindungsprozess unter den Rittern aus einem guten Dutzend Bakunin-Zitaten jenes auszuwählen, das schliesslich auf die Plakette gesetzt worden ist.

Und dann liest er die verworfenen Sätze zur Erinnerung noch einmal vor. Drei von bedrückender Aktualität sind darunter. Wie ein Kommentar zur Geschichte des 20. Jahrhunderts liest sich das erste: «Anarchie ist Sozialismus und Freiheit in einem. Freiheit ohne Sozialismus besteht aus Privilegien und Sozialismus ohne Freiheit bedeutet Gewalt und Unterdrückung.» Das zweite scheint eine Grussbotschaft zu sein an all jene AmerikanerInnen, die letzthin demokratisch ihren neuen Präsidenten gewählt haben: «Jede Gesellschaft kriegt die Revolution, die sie verdient.» Das dritte schliesslich ist zeitlos wie eine Gebrauchsanweisung für die Weltgeschichte: «Man setze den aufrechtesten Revolutionär auf einen Thron, und er wird zum schlimmsten Diktator.»

Im Anschluss an die Feier schritten die Ritter munter plaudernd von dannen. In einem Jahr werden sie pünktlich wieder hier sein.