Die Familie von Ursula Wyss ist in einer Umstellungsphase

von Anne-Careen Stoltze 18. Januar 2013

Ursula Wyss ist gerade vom Nationalrat in der Berner Exekutive angekommen, der Alltag mit zwei Kindern spielt sich derzeit noch ein. Heilig sind Wyss die Abendstunden, die ganz der Familie gehören. Zweiter Teil der Serie «Passen Politik und Familie zusammen?».

Job: Chefin der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün

Familienstand: lebt zusammen mit Thomas Christen, persönlicher Berater von Bundesrat Alain Berset

Anstellungsgrad: 100 Prozent plus X

Anstellungsgrad des Partners: 100 Prozent plus X

Kinder: Julian, 14, und Lyonel, 1,5

Kinderbetreuung: Julian besucht das Gymnasium, Lyonel geht drei Tage pro Woche in die Waldkita, je einen Tag wird er von Wyss’ Schwester bzw. Mutter betreut

Wie oft sehen Sie Ihre Söhne?

Ursula Wyss:

Täglich und beide habe ich erst vor wenigen Stunden das letzte Mal gesehen.

Wie haben Sie die Betreuung in Ihrer Familie organisiert?

Mein ältester Sohn geht aufs Gymnasium. Sein Tag ist durch Schule und Hausaufgaben strukturiert und natürlich ist er in seinem Alter recht selbständig. Manchmal holt er seinen kleinen Bruder aus der Kita ab und am Mittwochnachmittag ist auch noch seine Gotte bei uns zu Hause. Momentan sind wir in einer Umstellungsphase. Mit meinem neuen Amt müssen wir uns noch etwas einspielen. Meine Mutter hilft uns dabei sehr, weil sie alle Lücken füllt und immer einspringt, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.

Haben Sie einen Abend oder eine andere Zeit für die Kinder reserviert?

An den Abenden bin ich meistens rechtzeitig zu Hause, damit wir gemeinsam essen können. Allerdings findet das Abendessen zu etwas mediterraneren Zeiten statt, als das vielleicht noch früher üblich war.

«Mit meinem neuen Amt müssen wir uns noch etwas einspielen.»

Ursula Wyss, Gemeinderätin und Mutter

Die Zeit mit der Familie ist also rar?

Wir kochen jeden Abend, sitzen alle zusammen am Tisch und reden. Die gemeinsame Mahlzeit bringt uns einen starken Zusammenhalt. Weil wir mit der knappen gemeinsamen Zeit das Beste herausholen wollen, pflegen wir dieses Ritual besonders.

Können Sie zugunsten der Familie, der Kinder auf Termine verzichten?

Ja, selbstverständlich. Im Vergleich zu meiner früheren Position sehe ich bezüglich Veranstaltungen sogar eine gewisse Entlastung. Bis anhin hätte ich problemlos jeden Tag an einer Veranstaltung irgendwo in der Schweiz teilnehmen können. Aber ich habe schon früher Prioritäten setzen müssen und sorgfältig abgewogen, welchen Anlass ich besuche. Ich bin nie von Apéro zu Apéro gegangen. Jetzt sind die Einladungen auf den Raum Bern konzentriert, was schon viel Erleichterung bringt. Zudem verteilen sich die Repräsentationspflichten auf den gesamten Gemeinderat und hauptsächlich betrifft es den Stapi.

Was machen Sie, wenn jemand in der Familie krank wird – könnten Sie eine Sitzung absagen?

Es kann immer jemand krank werden, das ist klar. Aber wir sind mehrfach abgesichert. Meine Mutter und meine Schwester wohnen in der Nähe und können flexibel sein. Plus ich habe gute Freundinnen, die jederzeit helfen würden. Und natürlich können auch ich oder mein Partner Sitzungen absagen. Da mache ich mir eigentlich keine Sorgen.

Sie haben die Politik bisher als Parlamentarierin kennengelernt. Passt politische Arbeit mit Familienalltag zusammen?

Ja, ich finde sogar gut. Aber ich finde es eine berechtigte Frage. Viele politisch aktive Frauen sind in einer absolut privilegierten Situation, organisatorisch und finanziell. Das ist nicht mit allen Familien vergleichbar. Ich würde mir nie anmassen, den Leuten zu sagen: Ich bin ein Beispiel, so könntet ihr das auch machen. Aber es ist wichtig, zu zeigen: Beruf und Familie oder Politik und Familie können auch zusammen gehen. Es braucht natürlich eine gute Organisation, viel Verständnis im sozialen Umfeld und genügend bezahlbare Betreuungsangebote. Ohne sie lassen sich Beruf und Familie nicht für alle vereinbaren. Wenn es sie nicht gäbe, gingen viele Frauen wieder zurück an den Herd.

«Bei meinem ersten Sohn habe ich erlebt, wie schwierig es mit der Kinderbetreuung werden kann.»

Ursula Wyss, Gemeinderätin und Mutter

Wie erleben Sie das Betreuungsangebot in Bern als Mutter?

Es fehlen immer noch Kitaplätze, die Nachfrage ist massiv grösser als das Angebot. Es gibt immer noch eine lange Warteliste.
Ich habe den Kitaplatz für meinen Sohn Lyonel privat gefunden. Er geht in eine Waldkita, die uns räumlich am nächsten liegt und wo wir ihn sehr gut betreut wissen. Kitas bieten zudem gerade Einzelkindern die Möglichkeit, auch mit anderen Kindern zu spielen und enge Beziehungen aufzubauen. Bei meinem ersten Sohn aber habe ich erlebt, wie schwierig es werden kann. Damals gab es noch keine zentrale Warteliste und ich habe eine recht lange Zeit mit einer Tagesmutter überbrücken müssen. Ich kenne also die Situation aus eigener Erfahrung. Wir müssen noch einiges tun, damit alle, die es wollen, Beruf und Familie unter einen Hut bringen können.

Wie liesse sich das Exekutivamt familienfreundlicher gestalten?

Das liegt an jedem selber. Wir bestimmen meist selber, zu welchen Zeiten wir Sitzungen abhalten. Ich persönlich werde sicher keine Sitzung morgens um sieben machen. Wir sind heute nicht mehr in der Ära, in der die Regierungsmitglieder die Besten sind, die am Abend am längsten am Stammtisch hocken. Da hat sich mit dem Einzug der Frauen in diesen Ämtern bereits einiges verändert.

Gibt es Vaterschafts- und Mutterschaftsurlaub für Mitglieder des Gemeinderates?

Ich glaube nicht, dass für uns die üblichen arbeitsrechtlichen Bestimmungen gelten. Aber Vaterschaftsurlaub ist ein absolut berechtigtes Anliegen. Die SP hat auf nationaler Ebene bereits mehrere Anläufe gemacht. Der aktuelle Vorschlag sieht vor, den Anspruch des Vaters an denjenigen der Mutter zu koppeln, ähnlich wie das in Deutschland eingeführt wurde. Diese Lösung wäre ideal. Ich finde, es braucht dringend den Vaterschaftsurlaub.

«Ich gab im Februar 2012 den Fraktionsvorsitz ab und konzentrierte mich ein halbes Jahr nur auf meine Familie und den Nationalrat.»

Ursula Wyss, Gemeinderätin und Mutter

Haben Sie selbst Mutterschaftsurlaub beziehen können?

Ich hatte grosses Glück. Ich war zum Zeitpunkt von Lyonels Geburt Fraktionspräsidentin im Bundeshaus und wir hatten gerade Wahlkampf auf nationaler Ebene. Ich hatte zwar viel zu tun, konnte aber viel mit dem Baby machen. Dem Baby und mir ist es sehr gut gegangen. Ich habe den eigentlichen Mutterschaftsurlaub zwar nicht bezogen, aber dafür gab ich im Februar 2012 den Fraktionsvorsitz ab und konzentrierte mich ein halbes Jahr nur auf meine Familie und das Nationalratsmandat. Das ist für mich sehr wichtig gewesen und aus dieser Erfahrung heraus kann ich jetzt auch das Gemeinderatsamt gelassen antreten. Ich finde es zentral, dass Familien diese erste Zeit zusammen haben. Es stärkt sie langfristig.