Wer versucht hat, flankiert von der Drogenanlaufstelle an der Hodlerstrasse, dem Regionalgefängnis Bern sowie den dauernden Querelen rund um die Reitschule als junger Gastronom seinen unternehmerischen Traum zu verwirklichen, den kann so rasch nichts mehr erschrecken. Deshalb hatte Heissam Serage nicht lange überlegen müssen, als er im Mai 2012 die Gelegenheit erhielt, an der Effingerstrasse 92 seine Vision eines Konzertlokals zu realisieren. War er mit dieser Idee zuvor in der Brasserie Bollwerk, dem heutigen «Kapitel», wegen Unstimmigkeiten über Umbaupläne gescheitert, hat er heute mit dem Bistro «Prima Luna» sein Ziel erreicht.
Der diplomierte Restaurateur und Hotelier HF und seine Lebenspartnerin hatten schon 2011 während des kurzen Gastspiels am Bollwerk ihr Konzept vor Augen. «Es war immer unsere Idee, das Kulinarische und die Kultur zu verbinden um so ein lebendiges Restaurant zu gestalten», beschreibt Heissam Serage die gemeinsame Vision. Das Paar taufte seinen Traum denn auch «Prima Luna», was im Lateinischen «Neumond» bedeutet. Der 31jährige Gastronom betont, dass man nicht einfach ein Speiserestaurant wie viele andere sein wolle: «Wir pflegen eine Tischkultur, bei der die Leute nicht nur zum Essen zusammensitzen.»
Grosse Konkurrenz und viel Potenzial
Effektiv tut Heissam Serage gut daran, sich mit seinem «Prima Luna» in unmittelbarer Nähe zur WKS Wirtschafts- und Kaderschule KV Bern, der Volksschule Brunnmatt, dem Frauenspital, der Insel sowie dem städtebaulich zukunftsträchtigen Meinen-Areal von gastronomischem Einerlei abzuheben. «Ein herkömmliches Restaurant dürfte an dieser Adresse einen schweren Stand haben», sagt Hans-Jürg Gerber, Leiter des Wirtschaftsamtes der Stadt Bern. Wie Gerber weiter ausführt, ist dieser Standort an der Effingerstrasse abseits des Stadtzentrums generell eher als schwierig einzustufen und ein gastronomisches Angebot könne dort nur über Qualität und Nische erfolgreich sein.
Die Einschätzung Gerbers wird dadurch erhärtet, dass in den Räumen des heutigen «Prima Luna» an der Effingerstrasse 92 schon diverse Träume von Gastronomen platzten. So hatten sowohl der Take-away-Betrieb «Holly Food» wie auch der inzwischen ebenfalls in der Länggasse gescheiterte «Sushi Kurier» dort ihr Glück versucht.
Erstaunlich grosse Konkurrenz
Doch die Lage abseits des Zentrums ist nur eines von mehreren Problemen, das es für Heissam Serage zu lösen galt. Ein anderes war die – trotz des Standorts «weg vom Schuss» – vorhandene Konkurrenz. So buhlen dort an der Effingerstrasse zumindest am Mittag in einer Distanz von rund 150 Metern immerhin fünf Anbieter um die Kundschaft. Dabei ist diese mit dem Personal des Inselspitals und diverser Büros sowie Verwaltungsstellen plus den SchülernInnen der WKS reichlich vorhanden.
Die potenziellen Kunden haben nebst dem Bistro «Prima Luna» die Wahl zwischen der Bäckerei Christener an der Ecke Brunnmatt-/Effingerstrasse, der WKS-Mensa «The Patio», dem indischen Spezialitäten-Restaurant «Maharaja Palace» sowie dem klassischen Take-away-Betrieb «Panini Freschi». Hinzu kommt noch die Denner-Filiale an der Brunnmattstrasse. Und voraussichtlich wird Coop im Herbst 2015 gleich neben dem Denner ebenfalls einen Laden eröffnen.
Auf neue Bedürfnisse einstellen
Benjamin Lauper hat schon viele Veränderungen in diesem Perimeter gesehen. Der Bäckermeister ist seit 2012 Inhaber der Bäckerei Christener an der Brunnmattstrasse 17. Zuvor war Lauper fast zwanzig Jahre im traditionsreichen Betrieb angestellt. «Unser Standort ist für eine Bäckerei bestimmt nicht schlecht», erklärt Benjamin Lauper. Doch auch sein Geschäft habe sich in den vergangenen Jahren veränderten Verpflegungsgewohnheiten anpassen müssen: «Früher hatte man einfach Brot und vielleicht noch Patisserie sowie Gebäck wie Nussgipfel im Angebot. Danach kamen speziell für den Mittag Sandwiches gefolgt von Salaten und Suppen hinzu und heute bieten wir auch komplette Menus zum Mitnehmen an.»
Der Wichtigkeit des Mittagsgeschäftes ist sich auch Heissam Serage vom «Prima Luna» bewusst: «Wir probierten es 2014 mit einem Suppenverkauf über die Gasse speziell für die Schülerinnen und Schüler der WKS, doch das rentierte nicht.» Für ihn bewegt sich das übrige Take-away-Angebot in der Umgebung «zum Teil in einer Preiskategorie, in der wir uns nicht bewegen wollen und können». Doch heute sei man «mit der Auslastung am Mittag mit Teilen der WKS-Lehrerschaft sowie Angestellten aus den Büros in der Umgebung sehr zufrieden».
Einer der von Serage angesprochenen Hauptkonkurrenten bei der Mittagsverpflegung ist der im Dezember 2012 eröffnete Take-away-Betrieb «Panini Freschi» schräg gegenüber. Dort brummt über Mittag das Geschäft und die Pizzen, Paninis, Tagessuppen und Fertigsalate gehen im Akkord über die Theke. Ein warmes Panini für 6.50 Franken, eine Pizza für 7 Franken oder Pasta für 4.90 Franken sind klassische Take-away-Produkte. Und das zu Preisen, mit denen ein Restaurant nicht Schritt halten kann.
In der Nische überzeugen
Der Familienbetrieb «Panini Freschi» hat von 7.45 bis 14 Uhr geöffnet und verzichtet gänzlich auf das Abendgeschäft. Hingegen gilt es für Restaurants wie dem «Prima Luna» oder dem «Maharaja Palace» nebst der Mittagsverpflegung auch ein möglichst gutes Abendgeschäft zu sichern. Zwar hat das indische Spezialitätenrestaurant über Mittag auch ein Take-away-Angebot – Gerichte zum Mitnehmen kosten vom Vegi-Buffet 12 Franken und vom Nicht-Vegi-Buffet 15 Franken (SchülerInnen bezahlen 10 Franken) – doch der Fokus gilt den Gästen am Abend. Diesen bietet das ab dem Jahr 2000 ursprünglich an der Effingerstrasse 4 beheimatete «Maharaja Palace» seine Spezialitäten aus Nordindien an.
Intimes Konzertlokal
Das «Prima Luna» seinerseits hat seine Nische weniger auf der Speisekarte, sondern bei der Live-Musik als Ergänzung dazu. Für ein kleines, aber feines Konzertlokal ist das Bistro ideal. Mit einer Fläche von etwas über 100 Quadratmetern, der Gastrobereich mit seinen 36 Plätzen macht davon knapp die Hälfte aus, ist das Ambiente intim. Man kann eine überraschend umfangreiche Speisekarte geniessen, den drei Mittagmenus (Fleisch, Vegi oder Pasta) folgen am Abend acht bis neun Hauptgänge.
Am Wochenende ist die Musik Trumpf. Alleine diesen Februar kommen die «Prima Luna»-Gäste in den Genuss von nicht weniger als neun Live-Auftritten. Und das kostenlos, quasi als Beilage zu den Menus. Auf der Speisekarte figurieren unter anderem ein hausgemachter Beef-Burger, eine Curry-Wurst mit Sauce nach Geheimrezept, ein orientalisches Lammragout oder ein saftiges Cordon-Bleu mit Gruyère.
Aussichtsreiche Perspektiven
Für das «Prima Luna» scheint es sich gelohnt zu haben, diese Lücke zu besetzen. Laut Heissam Serage schreibt heute das Bistro «schwarze Zahlen und der Geschäftsgang stellt uns zufrieden». Wenn man die Vorgeschichte dieser Lokalität heranzieht, ist dies bemerkenswert. Offenbar läuft es dem mit 300 Stellenprozenten dotierten Team rund um Serage so gut, dass man das «Prima Luna» auch für Bankette mieten kann und neu wird ebenfalls ein Catering-Service angeboten.
In Zukunft sieht es sogar noch vielversprechender aus. So teilte Andrzej Rulka, Projektleiter im Stadtplanungsamt Bern, auf Anfrage mit, dass «die Situation für einen Gastronomiebetrieb in Zukunft in diesem Perimeter besser wird».
Rulka verweist auf die Quartierplanung für den Stadtteil III von 2012, die im Bereich der Brunnmattstrasse im Abschnitt zwischen Effinger- und der Schwarztorstrasse ein Potential zur Entstehung eines Quartierzentrums vorsieht. «Die Massnahme Quartierzentrum Brunnhof beinhaltet unter anderem die Stärkung der bestehenden Versorgungspunkte», erklärt Rulka. Gemäss dem Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes soll dieser Abschnitt der Brunnmattstrasse künftig «aufgewertet werden und auch mit neuen Erdgeschossnutzungen stärker einen Platzcharakter erhalten».
Das trifft sich mit der Ausrichtung des «Prima Luna» optimal, denn Heissam Serage sieht sein Bistro auch «als Treffpunkt im Quartier, wo man zum Austausch und für Spiele zusammenkommt». So dürfte dieses Konzertlokal auch trotz der Konkurrenz vor Ort noch manchen «Neumond» zu sehen bekommen.