Exemplarisch für die Bevormundung, die Menschen schwarzer Hautfarbe oft erleben, berichtete Jovita Pinto – gemeinsam mit Halua Pinto verantwortlich für die Moderation des Anlasses – zu Beginn aus ihrer eigenen Erfahrung: Im Jahr 2013 arbeitete sie als Hilfsassistentin an einem Forschungsprojekt zur postkolonialen Schweiz. Ein paar Monate später erhielt sie vom Schweizer Radio eine Einladung in eine Sendung über Rassismus. Ebenfalls eingeladen wurden Martine Brunschwig Graf, damals Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Heinz Brand von der SVP (als «Migrationssexperte») und Tvrtko Brzovic von den SP Second@s. Jovita Pinto: «Dort befanden wir uns in der leicht absurden Situation, über unsere eigenen Erfahrungen mit Rassismus zu berichten, welche dann von zwei weissen Menschen analysiert wurden im Hinblick darauf, ob es sich dabei um Rassismus handle oder ob wir einfach hypersensibel seien.»
Racial Profiling in der Schweiz
Einen nächstes Inputreferat zum Thema lieferte Mohamed Wa Baile. Er war es, der letztes Jahr das Thema Racial Profiling auch in der Schweiz auf den Tisch brachte. Im Februar 2015 weigerte er sich, bei einer selektiven Polizeikontrolle am Zürcher Hauptbahnhof seinen Ausweis zu zeigen. Er sei ohne berechtigten Grund und allein wegen seiner dunklen Hautfarbe kontrolliert worden, so Wa Baile. Zuschulden hat er sich nichts kommen lassen. Wegen seiner Weigerung, sich auszuweisen, wurde er aber zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte das Urteil im November 2016. Die Autonome Schule Zürich wehrt sich schon seit längerem gegen rassistisch motivierte Personenkontrollen in ihrem Umfeld und solidarisiert sich mit Wa Baile.
Als Andersartige behandelt
Im Kulturlokal ONO hielt Mohamed Wa Baile am Samstag ein Plädoyer für eine vereinte schwarze Bewegung. Nicht nur sein Fall zeige, dass der Alltag vieler schwarzer Menschen in der Schweiz immer noch von Diskriminierungen und institutionellem Rassismus geprägt sei. Afroschweizer und -schweizerinnen würden immer noch als andersartig betrachtet und entsprechend behandelt. Er führte Beispiele an, etwa, wie ihre Haare von Nichtschwarzen mit verharmlosender Faszination berührt würden, Mitlächeln werde natürlich erwartet. Eine anmassende Geste, die verletzend und beleidigend zugleich ist.
Wa Baile meint zwar auch, es gebe Organisationen und Aktionen, die sich in der Schweiz für die Rechte schwarzer Menschen einsetzten. Diese seien oftmals aber nicht genug miteinander vernetzt und hätten es bisher nicht geschafft, den Wunsch nach einer diskriminierungsfreien Gesellschaft in die Realität zu überführen. Wa Baile verlangt in seinem Plädoyer, dass die Deutungsherrschaft über Rassismus zurück an die Betroffenen gehe, die Zeiten der auferlegten Bevormundung müssten vorbei sein. Eine Bewegung mit emanzipatorischem Ansatz verlange nach direkter, kollektiver Beteiligung der Involvierten.
Farbe bekennen
Den Faden greift anschliessend der aus Berlin angereiste Tahir Della auf. Er ist Vorstandsmitglied der «Initiative schwarze Menschen in Deutschland (ISD)». Sein Engagement wurde stark geprägt durch das Lesen des Buches «Farbe bekennen»[1]. Darin ergründen afro-deutsche Frauen ihre Geschichte und ihre Stellung in einer Gesellschaft, von der sie kaum je einen vollwertigen Teil bilden durften: «In diesem Buch haben zum ersten Mal schwarze Frauen nicht nur ihre persönlichen Biografien niedergeschrieben, sondern tatsächlich einen Blick geworfen auf deutsche Kolonialgeschichte und deutschen Rassismus.» Diese Frauen waren mit einer schwierigen Identitätsfrage konfrontiert: Ihr Lebensmittelpunkt lag in Deutschland, dem Land, wo sie auch aufwuchsen. Doch durch allgegenwärtige Fragen wie «Woher kommst du?» wurde ihnen abgesprochen, zu dieser deutschen Gesellschaft zu gehören.
Tahir Della spricht denn auch davon, dass es in dieser Phase vorerst wichtig war, ein kollektives Bewusstsein unter Afrodeutschen zu schaffen, damit Probleme gemeinsam angegangen werden konnten. «Schwarz und deutsch gleichzeitig zu sein, war für viele ein Widerspruch – aufgrund der Reaktionen der Gesellschaft.» Der ISD wurde später oft zum Vorwurf gemacht, dass sie Treffen allein für schwarze Menschen veranstalte, was eigentlich eine Replikation des weissen Rassismus darstelle. Della betont aber, dass es diesen Rahmen brauche, um selbstbestimmte Konzepte zu entwickeln, ohne den Einspruch derer berücksichtigen zu müssen, die nicht dieselben Erfahrungen wie schwarze Menschen gemacht haben.
Ein Schritt hin zu einer Bewegung
Nach den beiden Inputreferaten wurde die Runde erweitert, es stiessen Noémi Michel (CAS – Collectif Afro-Suisse), Serena Dankwa (Bla*Sh – Netzwerk Schwarze Frauen) und Ukaegbu Okere (Sankofa – Plattform für Menschen mit afrikanischem Erbe) dazu. In der gemeinsamen Diskussion ergründeten sie Fragen zum Empowerment schwarzer Menschen und dem Sichtbarmachen von Rassismus.
Es zeigte sich bald, dass auch in der Schweiz zu diesen Themen verschiedenste Ansätze existieren, die bereits auf grossen Zuspruch und Zulauf stossen. Die Vernetzung der Organisationen ist aber noch nicht auf dem Niveau, um von einer grossen, schwarzen Bewegung sprechen zu können. Serena Dankwa vom «Bla*Sh» meint denn auch: «Männer haben uns Frauen gegenüber leider gewisse Privilegien, eine starke Bewegung müsste daher unbedingt auch eine geschlechtergemischte sein, damit wir von ebendiesen Privilegien profitieren können.» Bla*Sh habe als Gruppe begonnen, die das Bedürfnis nach gegenseitigem Austausch befriedigen wollte, in Zukunft solle das Netzwerk aber auch häufiger politisch Position beziehen.
Mangelnde Anerkennung
Als grosse Herausforderung für die Zusammenarbeit in der Schweiz erwähnt Noémi Michel, wohnhaft in Genf, zuerst sprachliche Barrieren: «Das ist tatsächlich ein Problem, vielleicht sollten wir alle Englisch zusammen sprechen.» Ausserdem sei die Schweiz derart föderalistisch, dass die Aktualität von Themen wie Racial Profiling in den verschiedenen Landesteilen sehr unterschiedlich ausgeprägt sei. «Es ist noch nicht wirklich anerkannt, wie wichtig es ist, als Zivilgesellschaft gegen Rassismus zu kämpfen. Institutionelle Unterstützung zu erhalten, gestaltet sich viel zu schwierig.» So werde ihr die Teilnahme an der Aktionswoche gegen Rassismus in Bern zwar finanziert, während den restlichen Wochen des Jahres bezahle sie das Zugticket zu Treffen in der Deutschschweiz aber weiterhin aus eigener Tasche.