«Die Corona-Krise lässt sich nicht auf Gemeindeebene lösen.»

von Nicolas Eggen 18. November 2020

Zora Schneider kandidiert für die Partei der Arbeit (PdA) für den Stadtrat in Bern. Im Gespräch diskutiert sie über den Gratis-ÖV in Bern und erklärt, wer für die Kosten der Corona-Krise aufkommen soll.

Zora Schneider, eines eurer Hauptanliegen ist die Einführung des Gratis-ÖV in Bern. Wie muss man sich das vorstellen?

Es ist ein konkretes Projekt mit grossen Konsequenzen, weil es näher an den Leuten ist, diese also auch direkt betrifft. Es ist eine ökologische und eine soziale Massnahme, ökologisch weil bis zu 30% der Leute umsteigen vom Auto auf den ÖV, das haben Beispiele aus ganz Europa gezeigt und sozial, weil dadurch die Kosten auf alle besser verteilt werden.

Wie soll also die Finanzierung konkret aussehen?

Der Gratis-ÖV würde über die Steuern finanziert werden. Auch die Strassen werden ja über die Steuern finanziert und Neubauten müssen immer mit dem Kanton ausgehandelt werden. Genauso stellen wir uns das auch beim ÖV vor. In der Stadt Bern stammen 64% der Finanzierung aus den Billetverkäufen, dies ist ein relativ hoher Prozentsatz im schweizweiten Vergleich. Lösungsansätze findet man zum Beispiel in Südfrankreich, wo der Gratis-ÖV in einigen Kommunen eingeführt wurde. Dort beteiligen sich auch Unternehmen an der Finanzierung des ÖV, dies könnten wir uns auch für die Stadt Bern vorstellen.

Bleiben wir beim Thema Klima. Ihr seid auch gegen das CO2 Gesetz, eine Abgabe auf Benzin, Flugtickets und Heizöl, welches aus eurer Sicht nicht weit genug geht. Warum?

Im Prinzip geht es uns zu langsam. Ich habe mich konkret noch wenig mit diesem Gesetz beschäftigt, soweit ich weiss sollen diese Ziele bis 2050 in der Schweiz erreicht werden. Dies ist zu langsam. Auch in der Stadt Bern gibt man sich zwar bis 2035 Zeit, jedoch ohne sich auf konkrete Ziele festzulegen damit man auch nicht allzu fest behaftet werden kann. Deshalb finden wir ist es an der Zeit hier konkrete und sinnvolle Lösungen zu finden und dieses CO2 Gesetz reicht einfach nicht aus.

 


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Auf eurer Internetseite ist zu lesen, dass vor allem Leute mit niedrigen Einkommen von dieser CO2-Abgabe betroffen sein werden. Können Sie dies erklären?

Bei ökologischen Massnahmen sieht man häufig, dass ein Art Steuer auferlegt wird. Dies führt dazu, dass sich Leute mit geringem Einkommen einige Sachen nicht mehr leisten können. Dies ist für uns ein Widerspruch. Gerade der Gratis-ÖV wäre ein Instrument, das dieses Problem beheben könnte. Damit könnte man sowohl die ökologische wie auch die soziale Wirkung erreichen. Man muss das Problem anders angehen.

In Krisenzeiten tendiert die Politik dazu, zu sparen. Auch jetzt in der Corona-Krise hat der Gemeinderat für das Budget 2021 Sparmassnahmen angekündigt. Wieso ist das eurer Meinung nach der falsche Weg?

Diese Sparmassnahmen entstanden einerseits wegen der Corona-Krise, andererseits auch wegen der Annahme der STAF-Initiative (Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung). Dadurch gingen Millionen durch Steuergeschenke verloren. Dies hat nun direkte Auswirkungen auf die Gemeinden. Der Gemeinderat hat lineare Sparmassnahmen über alle Direktionen hinweg vorgeschlagen. Das heisst der Sozialbereich, der Sport und die Kultur sind besonders hart betroffen, da es sich um eine grosse Direktion handelt. Ein Teil der Sparmassnahmen wurde vom Stadtrat wieder rückgängig gemacht. Jedoch nicht alle, mit dem Argument das Budget müsse ja ausgeglichen bleiben. Zum Beispiel werden die Racial Profiling Beratung für die Kantonspolizei und die LGBT-Beratung zukünftig nicht mehr finanziert. Dies konnten wir leider nicht mehr aufhalten. Deshalb ist es wichtig, dass eine starke linke Meinung im Stadtrat vertreten ist. Auf was ich insbesondere den Fokus gelegt habe, sind Menschen mit dem Lebensmittelpunkt auf der Strasse. In der Corona-Zeit hat man die Treffpunkte geschlossen, weil die Räumlichkeiten zu klein waren wegen dem Ansteckungsrisiko. Auch die Anzahl der Essensausgaben wurde reduziert. Daraufhin ist auf der Schützenmatte eine Küche von Freiwilligen entstanden. Im Zusammenhang mit den Sparmassnahmen habe ich erreicht, dass es wieder mehr Essensausgaben gibt und diese für Menschen mit Lebensmittelpunkt auf der Strasse auch beibehalten werden.

Wer soll für die Kosten der Corona-Krise aufkommen? Was sind da eure Ansätze?

Auf nationaler Ebene fordert die PdA eine Corona-Solidaritätsabgabe für Millionäre ein. Die Corona-Krise lässt sich nicht auf Gemeindeebene lösen, sie muss national gelöst werden. Wir schlagen eine einmalige Abgabe von 2% auf Vermögen vor, welche mehr als 3 Millionen Franken betragen. Dadurch liessen sich 17.5 Milliarden Franken einnehmen, welche in einen Fonds fliessen würden. Diese Einnahmen würden dann direkt an Familien, Arbeiterinnen und Kleinbetriebe, in Form von Beiträgen ausbezahlt werden, also keine Darlehen sondern direkte Zahlungen. Damit verfolgen wir auch einen Negativ- Ansatz, definieren also, wer für die Krise sicher nicht bezahlen soll. Sicher nicht die Kultur, sicher nicht Menschen mit Lebensmittelpunkt auf der Strasse, sicher nicht kleine Geschäfte oder Arbeitende im Dienstleistungsbereich, die bei Krankheit keinen Lohn erhalten. Mit der Corona-Solidaritätsabgabe erhoffen wir uns, dies zu beheben.

Was werden Sie, im Falle einer Wiederwahl, nach zwei Jahren umgesetzt haben?

Das lässt sich im Moment noch nicht wirklich sagen. Das Problem ist, dass Vorstösse im Stadtrat relativ langsam traktandiert werden, es gibt also viel zu viele Vorstösse. Aus unserer Sicht sollte es mehr Sitzungen geben damit diese Vorstösse auch zeitnah behandelt werden können. Von uns sind mehrere Vorstösse in der Pipeline, die sicher in der nächsten Legislatur behandelt werden. Ich habe einen Vorstoss eingereicht, der verlangt, dass der schulzahnmedizinische Dienst auch in Altersheime geht. Schlechte Zahngesundheit kann viele Krankheiten im Alter auslösen und damit könnte dies behoben werden. Dies ist auch die Einlösung des sozialpolitischen Auftrages der Schulzahnklinik: die Behandlungskosten zu begrenzen und sicherzustellen, dass möglichst alle Bevölkerungsschichten diese Prävention und Therapie in Anspruch nehmen können. Mit diesem Vorstoss verlangen wir also die Umsetzung des sozialpolitischen Auftrages der Schulzahnklinik. Ein weiteres Beispiel sind Zahnbehandlungen für Geflüchtete. Ich habe eine Geschichte eines 14 jährigen Mädchens gehört: Ihr sollten vier Schneidezähne gezogen werden. Sie hatte Glück: Dank einer Gratisbehandlung durch einen Zahnarzt konnte dies verhindert werden. Gewisse Geflüchtete erhalten nur Schmerzbehandlungen, das ist vom Gesetz so festgehalten und deshalb werden oft einfach die Zähne gezogen. Ich finde, solche Behandlungen sollten unbedingt von der Stadt Bern bezahlt werden.

Welches Geschäft des politischen Gegners werden Sie unterstützen?

Grundsätzlich muss ich festhalten, dass ich mit den Bürgerlichen gar nicht einig bin. Insbesondere die SVP finde ich, ist unter aller Sau wie Sie im Stadtrat auftritt, also zum Teil sehr sexistisch und sehr rassistisch. Trotzdem ist es so, dass ich immer für die Diskussionsanträge der Bürgerlichen stimme. Weil ich finde, dass wir die besseren Argumente haben und es soll ruhig diskutiert werden. Die Mehrheit im Stadtrat stimmt meistens gegen die Diskussionsanträge der Bürgerlichen. Wir machen manchmal auch gemeinsame Opposition gegen Überbauungsprojekte, auch dies ist schon vorgekommen. Einmal mag ich mich erinnern hab ich auch mal gegen eine Verkehrsberuhigungsmassnahme inklusive Blumenkästen an einer Strasse gestimmt, die ziemlich teuer war. Ich finde, manchmal wird ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, man kann auch mal eine der tausend Velokampagnen einsparen und da bin ich manchmal froh, wenn von der anderen Seite auch ein wenig Opposition kommt. Grundsätzlich finde ich die Verkehrspolitik der Stadt Bern aber sehr gut.