Am sechsten und letzten Café public machte sich am 29. November im Progr die erst vier Jahre alte städtische Kommission Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) selber zum Thema. Als roter Faden der Diskussion dienten ihre «Strategischen Grundsätze», die sie sich im Februar 2012 gegeben hat. Darin wird der Grundsatz formuliert, die KiöR unterstütze temporäre «künstlerische Interventionen auf öffentlichem Grund». Jedoch tut sie das nicht, wie andere städtische Kulturkommissionen, indem sie von Fall zu Fall eingereichte Projektgesuche unterstützt, sondern, indem sie zu Brennpunkten im öffentlichen Raum, die sie selber definiert, Wettbewerbe veranstaltet und die jeweiligen Siegerprojekte fördert.
Der bisherige Leistungsausweis der KiöR besteht aus der im Oktober 2014 lancierten einjährigen Aktion «Der Elefant ist da» (Journal B berichtete) und dem diesjährigen Projekt «Le bruit qui court» (zu dem die sechs Cafés publics gehören).
Das Hauptproblem der Kommission, die den Begriff «öffentlich» im Namen trägt, war im Progr auf den ersten Blick erkennbar: Man war unter sich. Abgesehen von Interessierten aus der Kunstszene und aus den zuständigen Büros der Stadtverwaltung hat sich an diesem Nachmittag die Berner Öffentlichkeit rar gemacht.
Der Elefant ist weg – die Fragen bleiben
«Der Elefant ist da» bestand aus Erzählungen zur Neugestaltung des Helvetiaplatzes, die man sich, durchs Areal spazierend, via Kopfhörer zu Gemüte führen konnte. Ein mutiges erstes Projekt der KiöR: Es ging um Kunst im öffentlichen Raum, aber zu sehen war nichts. Isabel Zürcher: «Diese Situation hat uns vor die Herausforderung gestellt, im Bereich der Kommunikation etwas zu realisieren, ohne eine Kommunikationsagentur zu werden.»
Als Antwort auf das Problem entstand «Le bruit qui court» als Nachfolgeprojekt. Woraus ein neues Problem entstand: Mit einem sprachzentrierten zweiten Projekt wollte man etwas zur Vermittlung des sprachzentrierten ersten Projektes tun. Daraus wiederum ergab sich ein doppeltes Dilemma: Erstens wurde die Öffentlichkeit nicht erreicht, die, borniert wie sie ist, nach wie vor davon ausgeht, dass es etwas zu sehen gibt, wenn von Kunst die Rede ist. Und zweitens wurde der Eindruck verstärkt, Kunst im öffentlichen Raum bestehe heute ausschliesslich aus dem Fachgespräch über sie.
Zauberwort «temporäre Kunst» – Tugend oder Not?
Einer der strategischen KiöR-Grundsätze lautet: «Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Bern soll in aller Regel temporär sein. Die Kommission im öffentlichen Raum initiiert und begleitet Projekte, die ihren eigenen Zeithorizont schon bei der Planung und Realisierung mit bedenken.»
Auf die Frage, ob es eher Interesse oder Verzweiflung gewesen sei, Kunst im öffentlichen Raum von vornherein als «temporär» zu definieren, antwortete Veronika Schaller: «Verzweiflung ist das falsche Wort. Der Grundsatz ist vor allem realitätsbezogen. Bern, insbesondere die Innenstadt, ist bereits stark möbliert. In der KiöR arbeiten wir mit Mitteln, die vom Tiefbauamt und von Stadtgrün kommen. Mit diesem Geld können wir irgendwo im öffentlichen Raum etwas machen, wobei wir davon ausgehen: Die Zeit der Denkmäler ist vorbei. Unser Ziel ist es, die kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum zu fördern. Es geht nicht darum, der Öffentlichkeit Monumente vorzusetzen. Die temporäre Intervention dient dazu, ihren Blick auf den Freiraum zu schärfen.»
Kreative Schnittstelle zwischen Kiör und Stadtplanung?
«Die Stadt in sich ist ja eigentlich schon ein Kunstwerk», sagte Stadtplaner Marc Werren und wies damit auf die Schnittstelle hin, die es zwischen den Interessen der KiöR und dem Stadtplanungsamt gibt. Städtebau sei die Kunst, so Werren, «die die Besetzung und das Freilassen von Raum organisiert und damit einen soziokulturellen und einen kulturellen Akt vollbringt. Städtebau ist dann gelungen, wenn er Räume zu schaffen im Stande ist, die spezifische Kunst gar nicht braucht, sondern allein durch die Raumwirkung Leben ermöglicht und Auseinandersetzungen und Entwicklungen zulässt.»
Dagegen gehe es beim KiöR-Ansatz eben um den «Umgang mit Realität», so Isabel Zürcher. «Das hat mit Bewegung, mit Anregung und mit Unruhe zu tun, die die Künstler und Künstlerinnen mitbringen. Es geht um das Bewusstsein, dass der öffentliche Raum etwas Tolles ist, das einen anderen Resonanzraum bietet als das Atelier.»
Theaterfestival oder Buskers auf der Gasse schaffe zwar eine schöne Atmosphäre, ergänzte Veronika Schaller, «aber im Fokus ist dort die Darbietung, nicht der Raum. Dagegen geht es bei der Kunst im öffentlichen Raum um die Auseinandersetzung, um das Verstehen und Gestalten des Raums. Nehmen wir frühere Wendeschlaufen des öffentlichen Verkehrs: Das sind Orte, deren ehemalige Funktion die Stadtentwicklung überholt hat. Wie kann man solche Orte wieder in die Stadt integrieren?»
Nun zitiert Werren wieder aus den Strategischen Grundsätzen. KiöR begleite «raumplanerische, städtebauliche und soziale Veränderungen punktuell durch künstlerische Interventionen. Diese kommentieren, manifestieren, bezeichnen und erweitern Transformationsprozesse.» Er ergänzt: «Damit sind wir wieder beim Städtebau. Städtebau ist permanenter Umbau. Es geht also um die Frage: Wer sind die Akteure? Wie bringt man sich ein? Wer verändert?»
Ist Kunst im öffentlichen Raum demnach so etwas wie soziokulturelle Animation durch Kunstschaffende? Eine volksdidaktische Massnahme, die die phlegmatischen Fernsehhocker und Handyguckerinnen zur sozialen Teilhabe motivieren soll?
Das Publikum hat Fragen und Einwände
Als sich im zweiten Teil der Veranstaltung Leute aus dem Publikum zu Wort meldeten, wurde klar, wie stark die Debatte bisher aus verwaltungsinterner Perspektive geführt worden war. Nun bezeichnete die ehemalige Leitern des Progr, Beate Engel, das Projekt «Der Elefant ist da» geradewegs als eine «Mücke» und als «vergebene Energie». Und auf die Nachfrage, ob bei diesem Auftrag eher die KiöR die Aufgabe falsch gestellt habe oder ob die Künstlerinnen Muda Mathys, Sus Zwick und Fränzi Madörin gescheitert seien, antwortete sie diplomatisch: «Es kommt auch auf den institutionellen Rahmen an und auf die kommunikative Begleitung und Vernetzung in der Stadtverwaltung.»
Hier hakte Jürg Luedi ein, der Projektleiter des Neustadtlab 2015 auf der Schützenmatte: Die Aktion «Der Elefant ist da» sei daran gescheitert, dass sie es versäumt habe, mit der Öffentlichkeit im öffentlichen Raum zu rechnen: «Von der Ausschreibung des Projekts hat praktisch niemand gewusst, und über den Helvetiaplatz hat nie eine Diskussion stattgefunden.» Auch er habe im Rahmen seiner Arbeit schon das Bedürfnis gehabt, mit der KiöR in einen Austausch zu treten: «Aber an diese Kommission kommt man nicht heran.»
Und der Kunstgeschichtler Marc Munter formulierte aus dem Publikum das Unbehagen von Kunstschaffenden gegenüber der KiöR: Andere Kommissionen bemühten sich um ein unabhängiges und unparteiisches fachliches Urteil auf konkrete Finanzierungsgesuche von Produzierenden. Die KiöR hingegen setze laut ihren Grundsätzen selber Themen, schreibe Wettbewerbe dazu aus und beurteile die Eingaben. Anders: Die KiöR sei gleichzeitig Kuratorin und Jury.
Ist Top-down-Kreativität kreativ?
Eine Frage, die an diesem Nachmittag so nicht gestellt wurde: Fördert die KiöR – wie es etwa bei der Ausschreibung von Kunst-am-Bau-Projekten getan wird – eine Top-down-Kreativität? Ist sie demnach quasi eine Kommission für Kunst im Tiefbau? Oder gibt es aus ihrer Sicht Spielräume für eine Bottom-up-Kreativität? Und wo resp. wie gross sind sie?
Schade, dass die Cafés publics schon zu Ende sind: Ich habe in meinem Leben nie auch nur annähernd so viel über Fragen der Kunst nachgedacht wie in diesem Jahr. Und eigentlich würde es erst gerade langsam spannend.