«Die Brass ist eine zweite Heimat»

von Mik Matter und David Fürst 14. März 2024

Beizensterben Die Brasserie Lorraine kämpft seit einiger Zeit mit finanziellen Schwierigkeiten und steht vor dem Aus. Wer sind die Menschen, die in der Brass ein und aus gehen, sie beleben und was würde eine Schliessung für sie bedeuten? Wir haben nachgefragt.

Die Brasserie Lorraine gibt es seit 1981 und sie ging schon immer eigene Wege. Kein Konsumzwang, selbstverwaltet und als Treffpunkt für politisch aktive Menschen im Lorrainequartier. In der Küche wird mit Bio-Zutaten gekocht, ohne dass sie sich als Bio-Restaurant bezeichnen würden; alle verdienen gleichviel und es gibt eine gratis Dusche im ersten Stock des Hauses.

Das alteingesessene Quartierlokal leidet jedoch schon länger unter finanziellen Schwierigkeiten. Schon im April 2023 berichteten wir über die schwierige Lage des Betriebes. Zuerst kam die Pandemie, dann die Teuerung. In der Folge konsumierten die Gäste weniger. Während der Pandemie musste das Lokal zudem einen Kredit aufnehmen, den sie nun zurückzahlen müssen.

Die Brasserie reagierte auf diese schwierige finanzielle Situation, indem sie die Preise erhöhte, die Öffnungszeiten verkürzte und das Angebot einschränkte. Mit “Brass braucht Batzen” lancierte sie vor einem Monat ausserdem eine Kampagne, um 100’000 Franken zu sammeln und damit ihre Schulden tilgen zu können. Stand März 2024 wurden 42’949 Franken gespendet.

Nachgefragt

Doch wer sind die Menschen, die die Brasserie beleben, die dort arbeiten oder ihre Zeit verbringen? Wir haben die Menschen in der Gaststube und im Garten des Lokals danach gefragt, was ihnen die Brasserie bedeutet und was die Aussicht auf eine potenzielle Schliessung bei ihnen auslöst.

Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv gefärbt. Im Nachgang meldete sich jedoch mit Evelyn eine langjährige Mitarbeiterin der Brass. «Echt jetzt? Keine Ecken und Kanten?», fragte sie, nachdem sie die Aussagen gelesen hatte, und richtete einige kritische Worte an die Brasserie. So viel Optimismus und Hoffnung in den Worten der Mitarbeitenden durchschimmert, so löst die Krise denn auch Frust und Enttäuschung bei den Menschen aus, die viel Lebenszeit und Energie in dieses Projekt investiert haben.

Beat arbeitet in der Brasserie Lorraine.

Beat: «Für mich ist die Brasserie Lorraine mehr als ein Arbeitsplatz. Sie ist eine zweite Heimat, ein Teil von mir. Ich identifiziere mich sehr stark mit der Brass, was natürlich aus Arbeiter*innenperspektive problematisch sein kann, da so Lohnarbeit und Aktivismus nicht getrennt wird. Die Brass ist für das Quartier ein wichtiger Ort, sie ist mehr als nur ein Restaurant, sie ist ein Ort, wo sich viele Menschen treffen und sich vernetzen. Aus einer politischen Perspektive finde ich es wichtig, dass es Betriebe gibt, die den Arbeiter*innen gehören und die dort lernen können zu wirtschaften. Falls es mal eine Alternative zum Kapitalismus gibt, sind das wichtige Erfahrungen.»

«Dass die Brass schliessen könnte, löst bei mir viel Optimismus aus. Krisen sind immer auch eine Chance. Diese Krise ist eine kapitalistische Krise, welche auch den Q-Laden, die Reitschule und andere kollektiv betriebene Orte betrifft. Für mich gibt diese Krise Anlass, uns untereinander mehr zu vernetzen und die Probleme gemeinsam anzugehen. Es ist wichtig das Ganze in einem grösseren, politischen Kontext zu begreifen.»

Said, ein Gast der Brasserie Lorraine.

Said: «Hier gibt es viel Empathie. Es ist ein Ort der Begegnung, wo es viel Freiheit gibt. Hier kann man sein, auch wenn man kein Geld hat, alle sind gleich. In der Brasserie Lorraine werden alle respektiert.»

Nicole war früher oft zu Gast im Lokal.

Nicole: «Als ich in der Lorraine, in einer kleinen Wohnung ohne Wohnzimmer gelebt habe, war die Brass unser Wohnzimmer. Es ist ein Bezugsort für viele Gruppen, die sich hier treffen. Ich wäre mega betroffen, wenn es die Brass nicht mehr geben würde. Nicht nur die Gastronomie würde fehlen, sondern auch die Kultur und das soziale Engagement. Die Brass ist ein wichtiger Ort für viele.»

Alice arbeitet im kollektiv geführten Restaurant.

Alice: «Die Brass bedeutet mir viel. Es ist mehr als ein Arbeitsplatz für mich. Es ist ein Ort, wo die Menschen anders denken und solidarisch handeln. Wenn die Brasserie schliessen müsste, würde ich sicher einen anderen Job finden. Aber dieser Ort würde fehlen. Es ist ein politischer Ort, der eine Alternative bietet, gerade in diesem Quartier, welches immer mehr gentrifiziert wird. Leute sind hier Zuhause, es gibt Stammgäst*innen, die jeden Tag hier sind. Es ist ein Community Ort.»

Lokman, ein Gast der Brass.

Lokman: «Hier treffe ich viele Leute aus unterschiedlichen Ländern. Es gibt viel Respekt zwischen den Angestellten und den Gäst*innen. Hier treffen sich sehr verschiedene Leute und alle sind willkommen.  Es wäre sehr schade, wenn die Brasserie schliessen müsste. So einen Platz wie diesen gibt es nicht noch einmal, man könnte ihn nicht ersetzen.»

Frances, die ebenfalls in der Brasserie arbeitet.

Frances: «Ich wurde noch nie mit so viel Respekt an einem Arbeitsort begrüsst. Hier kann ich authentisch sein und das ist okay. Das ist die Brass für mich.»

«Die Brass ist ein mega wichtiger Ort. Sie ist mit den vielen Angeboten wie dem Solimenü, dem Café-Surprise und der Kultur, ein Ort des Austausches und des sozialen Wandels. Das alles würde verloren gehen, wenn es die Brass nicht mehr geben würde.»

Malou, Mitarbeiterin im Lokal.

Malou: «Ich finde es schön, dass so viele Leute hier ihren Alltag verbringen, die vielleicht in anderen Restaurants nicht willkommen wären. Die Brass ist für mich eine zweite Familie.»

«Es wäre mega schlimm wenn die Brass schliessen müsste. Es ist ein wichtiger Ort für viele Leute. Es gibt viele soziale Interaktionen und Begegnungen zwischen Menschen.»

Evelyn, eine langjährige Mitarbeiterin der Brasserie.

Evelyn: «Echt jetzt? Keine Ecken und Kanten? Alles ist super, jeder wird geliebt und respektiert und bedient? Sicher, dies trifft im Grossen und Ganzen zu. Es gibt aber auch negative Aspekte, zum Beispiel die ‘Tagerei’ im WC und an den Wänden, die Einbrüche, der Vandalismus oder die respektlosen Hinterlassenschaften am Tisch. Von halbleeren Pizzaschachteln oder fremdem Getränken, die natürlich wir entsorgen dürfen.

Oder dann eben Menschen, die mit akuten psychischen Episoden oder sonstigen Problemen zu kämpfen haben. Das macht die Brass ebenfalls seit fast 50 Jahren gänzlich ohne irgendwelche professionelle Hilfe oder Unterstützung. Wir ernten dafür bestenfalls Spott oder auch üble Nachrede, wir wären so blöd, nicht mal zu merken, dass wir beschissen werden.  Und das würde alles auch wegfallen, falls die Brass schliessen müsste…

Sicher, ich sehe es als langjähriger Brassmensch natürlich genauso, wie alle andern… und die Brass ist definitiv auch meine Familie. Eine Familie mit allem drum und dran, Höhen und Tiefen, Herzblut und Tränen gehören genauso dazu. Und doch gibt es uns immer noch. Unverändert, aber nicht altmodisch. Die Brass ist sich selber größtenteils treu geblieben. Jung und politisch, aber genauso auch älter, gleichmütiger und ruhiger, aber nach wie vor interessiert, neugierig und engagiert. Immer wieder andere Menschen, die sich am roten Faden: ‘Brass’ entlang, durch die Zeit bewegen. Sowas darf nicht einfach entsorgt werden, schlimmer noch, nicht sich selbst entsorgen!»

Evelyn im Garten.