«Die Biographie von Malcolm X war für mich eine lebensverändernde Lektüre»

von Noah Pilloud & David Fürst 24. März 2023

Mit «Film Noir» veröffentlicht der Berner Rapper Dezmond Dez seit langer Zeit wieder ein Solo-Album. Mit Journal B hat er über Rassismus, Männlichkeit, kryptische Liedzeilen und seine aktuellen Buchtipps gesprochen.

Dezmond Dez, du bist bekannt für kritische Texte, die den Kapitalismus und alle möglichen damit verknüpften, systematischen Diskriminierungsformen thematisieren. Beim Hören hatten wir den Eindruck, dass du auf «Film Noir» das Thema Rassismus expliziter als früher ansprichst. Würdest du dem zustimmen? Wenn ja, war das eine bewusste Entscheidung?

Das stimmt auf jeden Fall und es war auch eine bewusste Entscheidung. Ich habe bewusst damit gewartet, einen Song explizit über Rassismus zu machen. Ich hatte lange das Gefühl, dass es schwierig ist, dabei die Balance zwischen persönlichen Erlebnissen und strukturellem Rassismus zu finden. Jetzt habe ich das Gefühl, mit dem Song «Roti Chünigin» ist mir das gelungen. Die Resonanz war auch entsprechend. Viele haben sich in dem Text wiedererkannt, auch Menschen die nicht von Rassismus betroffen sind. So haben mir viele Frauen gesagt, die Zeile «du bisch dopplet so schnäuh, aber chunnsch nur halb so wiit» aus dem Refrain sprechen ihnen aus dem Herzen. Das freut mich, denn mein Ziel war es, dass es am Ende nicht allein um Rassismus geht.

Neben der Auseinandersetzung mit Rassismus machst viele Anspielungen auf Schwarze Geschichte und Kultur. Wolltest du bewusst ein Schwarzes Album machen? Ist «Film Noir» dein «To Pimp a Butterfly»?

Ja, ich wollte schon bewusst ein Schwarzes Album machen. Gar nicht unbedingt nur inhaltlich aber vor allem musikalisch. Deshalb hat das Album viele Soul- und Jazz-Einflüsse. Die Musik hatte ich denn auch zuerst. Danach versuchte ich, der Musik gerecht zu werden und so flossen diese Inhalte automatisch mit ein – gerade bei den persönlicheren Songs, wie «Name» oder «Schautjahr».

Jeder will noch krasser sein, jeder will den noch cooleren Spruch machen. Irgendwann wurde mir das zu anstrengend.

Ein weiteres Thema auf dem Album sind Geschlechterrollen. Auf dem Track «♀» setzt du dich mit feministischer Theorie und der Frage nach dem Frau- und Mannsein auseinander etwa mit der Line: «Du bisch e Frou gsi, woni nur ha chönne Maa si» – ist das nicht eine etwas essentialistische Sichtweise auf Geschlecht? Was waren deine Überlegungen bei diesem Song?

Das ist genau so ein Song, wo Leute viele eigene Überlegungen in Interpretationen reinbringen, die den Song fast noch aufwerten. Um ehrlich zu sein, versuchte ich einfach eine Ode an die Frau zu schreiben. Der Song war gedacht als Merci von einem Dude, der sicher auch vieles falsch gemacht hat aber stets versuchte, auf die Frauen in seinem Umfeld zu hören. Zu der angesprochenen Zeile: Ich bin schon der Meinung, dass Frauen uns Männern viel voraus haben. Wenn ich nicht mehr weiter weiss, frage ich meistens meine Mutter oder gute Kolleginnen. Oft können sie mir die Augen öffnen für Dinge, die ich je nach dem nicht sehe.

Welche Rolle spielt Männlichkeit in deinem Leben?

Ich wuchs schon mit einem starken Fokus auf Männlichkeit und Konkurrenz auf – einerseits durch den Rap und andererseits durch den Sport. Seit sechs oder sieben Jahren hänge ich aber gar nicht mehr so gerne mit vielen Dudes ab. Gerade in grösseren Männergruppen gibt es gewisse Dynamiken: Jeder will noch krasser sein, jeder will den noch cooleren Spruch machen. Irgendwann wurde mir das zu anstrengend. Ich habe immer noch viele gute Freunde, nichts gegen die, aber diese riesigen Gruppen, das muss ich nicht mehr so oft haben. Man hat wirklich manchmal das Gefühl, wir können gar nicht richtig normal chillig untereinander sein, etwas essen gehen, dann wieder nach Hause. Es muss immer ein wenig mühsam werden.

Foto: David Fürst

In deinen Texten finden sich Hip-Hop-Referenzen genauso wie Verweise auf literarische und philosophische Werke. Bezeichnend dafür ist die Line: «I rede beides fliessend: Celan oder Raekwon.» Auf einem alten Eldorado-Track sagst du zudem, du spielst «wyter Libero zwüsche de Wäute». Wie ergeht es dir in dieser Vermittlerrolle?

Die Eldorado-Line hatte ich gar nicht mehr im Kopf. Aber stimmt, das passt sehr gut zusammen. Ich finde die beiden Welten gehen gar nicht so weit auseinander: Raekwon und Celan sind beide Poeten. Sie machen mit anderen Mitteln das Gleiche. Rap ist in seinen besten Momenten literarisch und Literatur kann auch mal in Richtung Rap gehen. In diesen Songtexten spiegeln sich meine beiden Hauptinteressen: Literatur habe ich studiert und interessiert mich extrem und die Musik stand schon immer im Zentrum meines Lebens.

Einige kritisieren gerade deshalb, deine Texte wären zu verkopft. Was ist dir wichtiger: Dass eine bestimmte Anspielung nur von ein paar wenigen Nerds verstanden wird, oder dass du ein philosophisches Konzept oder ein Bild aus der Literatur so verpacken konntest, dass Leute daraus einen Erkenntnisgewinn haben, ohne die Anspielung zu verstehen?

Gerade im Kontext von Battlerap ist es eigentlich sehr verbreitet, unterschiedlichste Anspielungen zu machen, zum Beispiel auf Filme oder Sport. Auch bei mir gibt es nicht ausschliesslich Litraturreferenzen. Ich mag eben beides. Klar holst du damit nicht alle ab, aber von 100 Leuten schnallen vielleicht zehn die Anspielung und freuen sich. Ich will nicht elitär sein und Leute bewusst ausschliessen. Mir fällt allerdings in letzter Zeit auf, dass es im Rap eine neue Fragilität seitens der Hörer gibt. Leute fühlen sich dann beleidigt, wenn sie mal etwas nicht direkt verstehen. Bei gewissen Rapstilen wird argumentiert, es gehe um die Ästhetik, darum ist es nicht schlimm, wenn man den Text akustisch gar nicht versteht. Damit bin ich einverstanden, nur geht es dann nicht auf, wenn Leute jammern, dass sie von 100 Zeilen zehn nicht geschnallt haben. Immerhin haben sie 90 davon verstanden, den Rest können sie googlen, wenn es ihnen wichtig ist.

Im Rap gibt es eine neue Fragilität seitens der Hörer: Leute fühlen sich beleidigt, wenn sie etwas nicht verstehen.

Dadurch stösst man dann immer auf spannende Bücher und ist angeregt, sie selbst zu lesen. Gibt es ein Buch, das dir am Herzen liegt und das wichtig fürs Album war?

Da gibt es viele. Auf das Thema Rassismus bezogen habe ich natürlich schon früh viel gelesen, Baldwin etwa. Die Biographie von Malcolm X war für mich eine lebensverändernde Lektüre, aber das ist nun schon eine Weile her. Toni Morrison finde ich auch sehr inspirierend. Ich versuche immer, zu balancieren zwischen Klassikern und Büchern, die an Zeitthemen dran sind.

Welches Buch hat dich als letztes begeistert?

Gerade habe ich «Gekränkte Freiheit» von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey  gelesen. Das Buch geht einem Phänomen nach, das man in der Pandemie oft sah: Leute, denen es eigentlich gut geht und die tendenziell sogar eher links und progressiv sind, können Freiheit nur noch individuell denken. Wenn diese Freiheit angegriffen wird, beispielsweise durch eine Maskenpflicht, bricht für sie eine Welt zusammen. Wenn du in ihre Freiheit eindringst, werden diese linken, progressiven Leute, die im Breitsch mit ihren Kindern spielen gehen sofort zu Faschos. Beim Lesen kamen mir nicht wenige solcher Leute In den Sinn. Das Buch beschreibt zwar nichts Neues, aber es benennt das Phänomen treffend: libertärer Autoritarismus. Auf der einen Seite sind das libertäre, freiheitsliebende Menschen, auf der anderen Seite, werden sie autoritär, sobald sie in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt sind.

Illustration: David Fürst

Kommen wir wieder zurück zu deiner Musik. Zwischen deinem letzten Solo-Album und «Film Noir» lagen doch einige Jahre. Hast du dennoch bereits Pläne für ein nächstes Album?

Nein, konkrete Pläne gibt es keine. Aber ich denke, wenn ich eines mache, wird es nicht mehr so lange gehen, weil sich meine Produktionssituation stabilisiert hat. Momentan mache ich alles mit dem selben Produzenten und da sind noch einige Ideen vorhanden, die ich immer noch cool finde. Von daher könnte es recht schnell gehen.

Du sprichst von Rascal, der unter anderem schon für Kendrick Lamar produziert hat. Weshalb wolltest du dein ganzes Album von ihm produzieren lassen?

Ich hatte immer die Idee, ein Projekt mit einer einzigen Person zu machen. Ich bin selbst Fan davon, wenn Leute mit nur einem Produzenten zusammenarbeiten. Das gibt ein spezielles kongruentes Klangbild. Nur hatte ich diese Person bisher nicht. Und ich wollte mich nicht bei anderen bedienen. Es gibt durchaus gute Leute in der Schweiz, aber Pablo Nouvelle ist Tommys Produzent, Ruck P ist Manillios Produzent, Questbeatz ist so ein bisschen in der S.O.S.-Ecke. Ich wollte nicht, dass es dann heisst: Ah, er hat mit Tommys Produzent ein Album gemacht. Mit der Suche nach der geeigneten Person habe ich viel Zeit verbracht. Aber es hat sich gelohnt, ich bin sehr zufrieden mit der Musik.

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Gehst du mit «Film Noir» noch auf Live-Tour bevor du das nächste Projekt anfängst?

Am 24. März taufen Tommy Vercetti und ich jeweils unsere neuen Alben im Bierhübeli. Also Tommy «Sympathie für Hyäne» und ich «Film Noir», aber wir treten gemeinsam auf. Dann gehen wir zusammen auf Tour. Im Verlauf des Frühlings spielen wir dann vier, fünf Konzerte und hoffen, dass wir im Sommer auf ein paar Festivals spielen können. Im Herbst gibt es dann nochmals vier, fünf Konzerte. Ich freue mich extrem darauf! Wir haben so lange ein ähnliches Set gespielt, ich konnte es selbst fast nicht mehr hören. Darum bin ich froh, haben wir nun viel neue Musik zum Spielen. Das gibt einen neuen Motivationsschub.

Hinweis: Die Albumtaufe im Bierhübeli wurde auf den 10. Juni 2023 verschoben.