Die Besetzer*innen in Ausserholligen wollen neue Wege gehen

von Noah Pilloud 28. Januar 2022

Seit Januar 2021 besetzt das Kollektiv «Tripity» die ehemalige Schreinerei an der Weissensteinstrasse. Obwohl im Frühling der Räumungsbefehl vorlag, sieht es momentan so aus, als könnten sie eine Weile bleiben. Im Gespräch mit den Besetzer*innen darüber, wie ihnen dies gelungen ist, wie sie sich zum Rest der Szene positionieren und was sie für die Zukunft planen.

 

Die Januarsonne scheint durch die einfachverglasten Fenster auf den Holztisch und sorgt für angenehme Wärme. «Heute ist ein guter Tag», bemerkt Branko «da wird es nicht so kalt.» An weniger sonnigen Tagen hingegen könne es schon sehr kalt werden an der Weissensteinstrasse 4, der ehemaligen Schreinerei zwischen Europaplatz und Fischermätteli. Seit einem Jahr besetzt das Tripity-Kollektiv dieses leerstehende Gebäude. An jenem sonnigen Januarnachmittag sitzen Fred, Laurel und Branko, die alle mit geändertem Namen erwähnt werden wollen, am grossen Tisch in der Küche und blicken auf das erste Jahr im besetzten Haus zurück.

Hundert bauliche Mängel

Das Bedürfnis nach einem Freiraum sei in ihrem Freundeskreis im ersten Pandemiejahr gewachsen, erzählen die Besetzer*innen. Sie gründeten das Kollektiv und begannen mit der Planung. Der Name ist eine Anspielung auf das Kinderbuch «Reise nach Tripiti». Im Buch findet altes, ramponiertes Spielzeug auf der Insel Tripiti ein neues Zuhause. Der Name passe ganz gut, meint Fred: «Anfangs sammelten wir alles ein, was nur noch halb funktionierte und von den Leuten aus ihren Haushalten ausrangiert wurde.»

Ein Sicherheitsnachweis und bauliche Verbesserungen lassen einen Zwischennutzungsvertrag ins Reich des Möglichen rücken (Foto: Noah Pilloud)

Das Gebäude der alten Schreinerei im Ausserholligenquartier hätten sie durch Zufall entdeckt. Doch es stellte sich als ideal für ihre Pläne heraus. So drangen die Besetzer*innen im Januar 2021 ins Gebäude ein, erklärten es für besetzt und «hielten seither die Stellung», wie sie sagen. Im Frühling drohte dann plötzlich das Aus. Die Liegenschaftsverwaltung erklärte das Gebäude für unsicher und ordnete bei der Polizei einen Räumungsbefehl für den 6. Mai an. Die Besetzer*innen wandten sich an die Öffentlichkeit und sammelten mit einer Petition Stimmen für ihr Anliegen.

Der 6. Mai verstrich ohne Polizeieinsatz, Verwaltung und Besetzer*innen hätten sich geeinigt, hiess es.«Wir erklärten uns bereit, einen Sicherheitsnachweis zu erbringen», erklärt Fred. Eine Liste mit knapp 100 Mängeln an der Elektrik des Hauses stellte ihnen eine Elektrokontrollfirma aus. Die Besetzer*innen mussten mit Fachpersonen zusammenarbeiten, viel Zeit und Geld aufwenden und andere Projekte zurückstecken. Darum und weil sie auf Events wie das Restaurant ohne Grenzen, ein Hausfest oder Ausstellungen viel hingearbeitet hätten, seien sie das letzte halbe Jahr schon sehr beschäftigt gewesen.

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Doch kurz vor Weihnachten sei alles erledigt und der Sicherheitsnachweis eingereicht gewesen. «Nun stehen noch ein paar bauliche Massnahmen zum Brandschutz an, danach sind alle Bedingungen erfüllt und wir können einen Zwischennutzungsvertrag aushandeln», führt Laurel aus. Bei so vielen Mängeln und anstehenden Arbeiten stellt sich doch die Frage, ob es nicht einfacher wäre, den Ort aufzugeben und die Ideen woanders zu verwirklichen. «Wir haben hier schon eine Pandorabüchse aufgetan – ob das Weitermachen Sinn ergibt, hat sich jede*r für sich bestimmt immer mal wieder gefragt», antwortet Branko «doch nun da wir hier sind, haben wir die Verantwortung, aus den über 2000m2 etwas zu machen.» Eine solche Fläche in Bern mit einer Besetzung beleben zu können sei einmalig.

Der Raum soll von allen genutzt werden

Der Rundgang offenbart, wie viel Raum das besetzte Haus bietet. Auf drei Etagen findet sich vom Boxkeller, über einen Partyraum, ein Bistro und Ateliers bis hin zum Wohnbereich der Besetzer*innen alles. Hinzu kommen der Hinterhof und die Scheune, wo sich unter anderem ein Bandraum und eine noch funktionierende Hebebühne befinden. «Darauf  haben wir auch schon Theateraufführungen veranstalten können», sagt Fred. Auch die Bierbrauerei befindet sich in diesem Bereich des Gebäudes. Freunde des Kollektivs stellen dort ihr eigenes Bier her.

Das Kollektiv nutzt nicht alle Räume selbst.

«Mittlerweile schmeckt es so gut, dass wir es auch unseren Gästen anbieten können», scherzt Laurel. Wie das Beispiel der Brauerei zeigt, nutzt das Kollektiv nicht alle Räume selbst. Ihr Ziel sei es, mit der Besetzung einen Ort bieten zu können, an dem Menschen niederschwellig ihre Projekte und Ideen verwirklichen können. Auch die Ateliers sind ein Beispiel dafür: Künstler*innen nutzen diese unabhängig vom Kollektiv.

Auf 2000 Quadratmetern findet sich vom Boxkeller, über einen Partyraum, ein Bistro und Ateliers bis hin zum Wohnbereich der Besetzer*innen alles (Foto: Noah Pilloud)

Kürzlich entstand im Gebäude das «Tripy-Lab», ein Co-Working-Space, der von und für FLINTA- und BPoC-Künstler*innen geschaffen wurde. «Es ist uns wichtig, besonders jenen Menschen Raum zu geben, die diesen in der Mehrheitsgesellschaft nicht kriegen», sagen die Besetzer*innen. «Damit solche Projekte hier ihren Platz finden können, veranstalten wir immer mittwochs eine offene Sitzung», erklärt Laurel, «alle, die eine Idee für ein Projekt haben, sind eingeladen.»

Neue Wege in der Szene

Das Tripity-Kollektiv war von Anfang an darum bemüht, Offenheit auszudrücken und das Quartier miteinzubeziehen. Das sei aufgrund der Covid-Situation nicht ganz einfach gewesen, erzählt Branko: «Eigentlich wollten wir eine grosse Willkommensparty schmeissen, das war dann aber nicht möglich.» Beim Eintreffen des Räumungsbefehls seien sie deshalb unter Zugzwang gewesen, um Rückhalt für ihre Anliegen zu finden. Es folgte der Schritt in die Sozialen Medien: Das Kollektiv eröffnete ihren Instagramaccount. In der Presse gaben sie bereitwillig Auskunft, die Tageszeitung «Der Bund» schrieb später von einer «Charmeoffensive».

Charmant und offen: Die Besetzer*innen versuchen das Bild der Leute zu verändern und transparent zu kommunizieren (Foto: Noah Pilloud)

Sowohl die Kommunikation auf Social Media wie auch der Umgang mit der Presse waren in der Besetzer*innen-Szene in letzter Zeit beliebte Strategien. Über Instagram informierte etwa die Besetzung in Zollikofen oder jüngst jene in der Wasserwerkgasse. Auch für das Tripity-Kollektiv erfolgte der Schritt nicht aus dem Blauen. «Wir hatten uns diesen Schritt durchaus schon davor überlegt», sagt Branko.

Wir sind nicht jene Sorte Anarchos, die Steine auf jedes vorbeifahrende Polizeifahrzeug werfen müssen.

Die Aussenwirkung, die das Kollektiv dabei hat, dürfte das Bild von Besetzer*innen in manchen Köpfen etwas revidieren. Sie seien von Anfang an darum bemüht gewesen, ein differenziertes Bild von Besetzer*innen abzugeben. Oder wie Branko es ausdrückt: «Wir sind nicht jene Sorte Anarchos, die Steine auf jedes vorbeifahrende Polizeifahrzeug werfen müssen». Doch auch wenn die Mitglieder des Tripity-Kollektivs Kritik an bestehenden linken Strukturen üben und nach neuen Wegen und Strategien suchen, sehen sie sich als Teil der Szene. So solidarisierten sie sich letzten Sommer mit den Angeklagten im «Effy 29»-Prozess.

Die saftigen Früchte der Legalität

Bleibt bei den ganzen Charmeoffensiven und Bemühungen um einen Zwischennutzungsvertrag nicht die Systemkritik auf der Strecke? «Diesen Vorwurf können wir hinnehmen, solange wir dadurch das Gebäude halten und marginalisierten Gruppen Raum bieten können», erwidert Laurel. Das Kollektiv könne sozusagen auf beide Seiten hin den Kopf herhalten und eine vermittelnde Rolle einnehmen. Das sei gar nicht so pathetisch und heroisch gemeint, wie es klingen mag: «Diese Verantwortung leitet sich nun mal aus unseren Privilegien ab.»

Den Besetzer*innen ist es wichtig, Menschen Raum zu geben, die diesen in der Gesellschaft nicht kriegen (Foto: Noah Pilloud)

Bei solchen Aussagen wirken die Besetzer*innen stets reflektiert, ideologisch zwar, aber niemals dogmatisch. Genauso schauen sie auch in die Zukunft. Von einem Zwischennutzungsvertrag versprechen sie sich, längerfristig planen zu können. Ausserdem seien «die Früchte der Legalität schon ziemlich saftig.» Dennoch sieht das Kollektiv Herausforderungen, die mit einem Zwischennutzungsvertrag einhergehen. «Wir müssen sicherstellen, dass seitens Verwaltung oder der Stadt keine Erwartungshaltung an uns entsteht», führt Fred aus.

Wir hoffen, dass sich zahlreiche Leute mit ihren eigenen Ideen bei uns melden.

Sobald die Bedingungen für Verhandlungen erfüllt sind, können sich die Besetzer*innen wieder vermehrt auf neue Projekte konzentrieren. Ideen dafür sind genügend vorhanden: Eine Performance sowie ein Theater im sind beispielsweise für den März geplant. Ausserdem stehen ein zweites «Restaurant ohne Grenzen», ein nachträgliches, kleines Eröffnungsfest der Bierbrauerei sowie Kinoabende im Raum. «Und natürlich hoffen wir, dass sich zahlreiche Leute mit ihren eigenen Ideen bei uns melden», sagen sie zum Schluss.