«Die ausserparlamentarische Arbeit bleibt wichtig»

von Luca Hubschmied 30. Oktober 2020

Die Stadträtin Tabea Rai tritt im November für die Alternative Linke zur Wiederwahl an. Im Interview spricht sie über institutionellen Rassismus und die Schwierigkeiten bei der Einführung eines polizeilichen Quittungssystems.

Tabea Rai, in deiner Kandidatur schreibst du, du engagierst dich für die Aufarbeitung kolonialer Strukturen, die zum Reichtum von Schweizer Städten beigetragen haben. Was kann und soll eine Stadt wie Bern in dem Zusammenhang leisten?

Auf städtischer und kantonaler Ebene hat die AL dieses Jahr zusammen mit Historiker Hans Fässler eine Interpellation eingereicht, die eine Stellungnahme zur Frage der materiellen Wiedergutmachung fordert. In einem ersten Schritt sollen sich Stadt und Kanton Bern zu Fehlern in der Vergangenheit bekennen. Das würde die Diskussion ermöglichen, inwiefern für historisches Unrecht Wiedergutmachung geleistet werden kann. Schon nur ein Bewusstsein für die koloniale Vergangenheit zu schaffen, wäre enorm wichtig. Den Anfang sollen aber bewusst Stadt und Kanton machen, damit nicht wiederum die Betroffenen selbst alle Arbeit leisten müssen.


Die AL Bern bezeichnet sich als Bindeglied zwischen institutioneller und ausserparlamentarischer Politik. Warum setzt du dich als Stadträtin für ausserparlamentarische Initiativen ein?

Meine Wahl in den Stadtrat vor vier Jahren kam ziemlich überraschend. Für mich ist und bleibt die ausserparlamentarische Arbeit weiterhin wichtige Arbeit. Trotzdem empfinde ich es als nötig, gewisse Themen auch auf parlamentarischer Ebene einzubringen. In der Stadt Bern haben wir als Linksaussenpartei zudem die Möglichkeit, Themen anzusprechen oder teils erfolgreich durchzubringen, die sich ausserparlamentarisch nur schwierig in Bewegung bringen oder breit diskutieren lassen. Das Zusammenspiel zwischen parlamentarischer und ausserparlamentarischer Politik ist entscheidend, letztere liegt mir aber mehr am Herzen.


 

Jetzt Mitglied werden | Jetzt spenden



 

 

In deiner Zeit im Stadtrat hast du dich immer wieder für die Bekämpfung von institutionellem Rassismus, etwa bei der Polizei, stark gemacht. Welche Massnahmen braucht es dafür?

Eine unabhängige Ombudsstelle für Beschwerden wäre ein wichtiger erster Schritt. Es kann nicht sein, dass Beschwerden über die Polizei von dieser selbst behandelt werden. Die polizeiinternen Untersuchungen laufen meistens ins Leere. Um das Problem rassistischer Polizeikontrollen zu bekämpfen, hat die AL mehrfach die Einführung eines Quittungssystems für Personenkontrollen gefordert. Denn Racial Profiling ist in gewissen politischen Kreisen zwar zu einem bekannten Begriff geworden, allein deswegen hat sich aber nicht viel geändert. Im Gegenteil: Wenn Polizeidirektor Müller in einem Interview sagt, dass die Polizei kein Problem mit Racial Profiling habe und danach ergänzt, als Person of Color müsse man bei der Reitschule halt damit rechnen, von der Polizei kontrolliert zu werden, zeigt das, wie wenig er von Racial Profiling verstanden hat.


Eure Forderung nach der Einführung eines Quittungssystems für Personenkontrollen wurde vom Gemeinderat abgewiesen. Der Entscheid darüber liege in der Verantwortung und der operativen Zuständigkeit der Kantonspolizei. Inwiefern macht es Sinn, sich auf städtischer Ebene mit Fragen der Polizeiarbeit auseinanderzusetzen?

Die Einflussnahme des Stadtrats ist zwar beschränkt, aber Ziel als Stadträtin muss es sein, dass wir solche Themen immer wieder vorbringen. Dadurch geben wir dem Gemeinderat die Legitimation und den Auftrag, in Verhandlungen mit dem Kanton auf solchen Punkten zu bestehen. Die Stadt hat immerhin einen Leistungsvertrag mit der Kantonspolizei und dadurch gewisse Möglichkeiten, auf dessen Inhalt einzuwirken. So wäre es auch möglich, diesen nicht zu unterschreiben, solange Bestrebungen im Kampf gegen Racial und Ethnic Profiling nicht enthalten sind.


Falls du wiedergewählt wirst: Was willst du innerhalb der nächsten zwei Jahre im Stadtrat erreicht haben?

Wahlversprechen abzugeben finde ich grundsätzlich schwierig, da es oft nicht in meiner Hand liegt, wann ein Thema, das ich einbringe auch behandelt wird. Ich will in der nächsten Legislatur aber für meine eingereichten Forderungen einstehen. Zum Beispiel für die Verwendung leichter Sprache in der Kommunikation der Stadt. Als Fachfrau Betreuung ist mir dies ein wichtiges Anliegen. Um Partizipation ermöglichen, soll im städtischen Webauftritt und auch bei den Abstimmungsbotschaften leichte Sprache verwendet werden. Dies ermöglicht nicht nur Menschen mit Lern-Schwierigkeiten sondern beispielsweise auch Menschen die nicht deutscher Muttersprache sind, die Möglichkeit zur politischen Partizipation und den Zugang zu Informationen.


Welches Geschäft oder Anliegen der politischen Gegenseite wirst du im Stadtrat unterstützen?

Aktuell fällt mir kein solches Anliegen ein, das ich voll und ganz unterstützen würde. Mir ist aber extrem wichtig – und das versuche ich auch vorzuleben – dass es nicht nur um Parteipolitik gehen soll. Wir haben auch schon Vorstösse mit der SVP zusammen eingereicht und umgekehrt. Die AL vertritt zwar konsequent linke Positionen, wenn das Ziel dasselbe ist, lässt es sich aber auch unabhängig von Parteigrenzen zusammenarbeiten. Ich habe zum Beispiel kürzlich einen Vorstoss der SVP zur Unterstützung der Kleintheater in der Altstadt miteingereicht.