«Polizei» – ein Wort, das elektrisiert und viele unangenehme Erinnerungen weckt. Parkbussen, Geschwindigkeitsbussen, die Busse beim Überrollen eines Stoppzeichens, jene unheimliche Stimmung in der Genfergasse, in der ich anlässlich einer WEF-Demonstration einem Grossaufgebot der Polizei in Vollmontur mit Schutzschildern begegnete. In der unteren Altstadt heisst es: «Pass auf, die Blauen sind läufig.» Im Dorf donnert der Verkehr am Haus vorbei – zu schnell: «Da fehlen sie immer.»
Das ist der erste Blick. Mir ist klar, wir brauchen die Polizei. Was genau aber tun sie denn, ausser Bussen verteilen? Genau das ist gegenwärtig im Kornhausforum zu sehen: «der zweite Blick».
Menschen, die eine Aufgabe zu erfüllen suchen
Ein Jahr lang haben neun angehende Pressefotografen von der Journalistenschule in Luzern, eingeladen von der Kantonspolizei Bern, diese in ihrem Alltag begleitet und mit einer Carte Blanche fotografiert. Sie erhielten überall Zugang und zeigen uns die Polizei als «wer wir sind und was wir machen», so Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern. Was die Fotografen festgehalten haben, sind Menschen, die eine Aufgabe als Menschen zu erfüllen suchen und heute auch als das wahrgenommen werden möchten.
«Sachlich, realistisch, manchmal witzig, auch unangenehm berührend.»
Dorothe Freiburghaus
Die Fotografien sind ohne grosse künstlerische Ambitionen entstanden, aber sie erfüllen einen dokumentarischen Zweck. Sie geben Einblick in den vielfältigen Alltag unserer viel kritisierten Polizei, sachlich, realistisch, manchmal witzig, auch unangenehm berührend. Sie zeigen uns die Haltung unserer Polizisten.
Wir sehen, wie die Polizistinnen und Polizisten auf Menschen als Zielscheiben schiessen, wie sie zu fünft auf einem auszuschaffenden Schwarzen knien, als Helfer im Notfall, wie sie eine Unfallstelle abgrenzen oder linkisch im Rotlichtmilieu herumstehen. Auf ihrem Schreibtisch steht ihr Familienbild.
Was wir eigentlich schon wissen, wird in den Aufnahmen bestätigt: Polizistinnen und Polizisten sind keine Übermenschen, sie können nicht zaubern. Sie sind Menschen. «Der zweite Blick» ist ein offener Blick in die Arbeitswelt der Polizei. Erstaunlich und erfreulich, dass er hier in Bern gewagt wurde, ohne Zensur, es sei denn zum Persönlichkeitsschutz. Eine menschliche Polizei.
Eine Ausstellung, die ein Besuch wert ist.
Fünf Gefangene dokumentieren ihren Alltag
Zum zweiten Blick herausfordern können gegenwärtig auch die Bieler Fototage zum Thema «Wendepunkt». Anlässlich der Fototage wurde während sechs Wochen ein Kunstvermittlungsprojekt, ein Foto-Workshop, im Regionalgefängnis Biel durchgeführt. Zwei Kunstvermittlerinnen und die Gefängnisleitung gaben fünf Insassen die Möglichkeit, sich fotografisch mit ihrem Alltag auseinander zu setzen. Die Resultate – in der Galerie Art-Etage zu besichtigen – reichen von der immer wiederkehrenden Kaffeetasse über die vergitterten Fenster als Sehnsuchts- und Freiheitsbild bis zur kreativen Inszenierung eines Ausbruchs.
«Instabilitäten, die uns zurück zur Frage führen: Wer sind wir und was tun wir?»
Dorothe Freiburghaus
Das Thema «Wendepunkt» führt uns von diesem möglichen, ganz persönlichen Wendepunkt hin zu einem Streifzug durch die Welt, quer durch soziale, politische und wirtschaftliche Belastungen, Veränderungen, Wendepunkte. Wir begegnen der Depression und Hoffnungslosigkeit in Griechenland, dem Rassismus in La Réunion, Massenansammlungen als Phänomen des 20. Jahrhunderts, wo der Mensch zur Bildstruktur wird, einsamen Lebensentwürfen am Rande der Gesellschaft, neuen Produktionsbedingungen mit menschenleeren Hightech-Möglichkeiten.
Wir treffen auch in dieser Ausstellung quer durch Biel auf eine Fülle von Dokumenten, Zeitzeugen, verdichtet durch das künstlerische Auge der Fotografen. Instabilitäten, die unsere globalisierte Welt verunsichern, uns den Boden unter den Füssen wegziehen und zurück zur Frage führen: Wer sind wir und was tun wir?