Nach dem Auszug der Schulen im Juli begann ein kleiner Umbau. Ende August waren praktisch alle Räume vermietet. Es zeigte sich, dass kulturelle Nutzung weit über den Erwartungen gefragt war. Hingegen bot die gewerbliche Vermietung Schwierigkeiten wegen der Befristung. Die ursprünglich dafür vorgesehene Fläche wurde deshalb zu einem reduzierten Preis für eine gemischt kommerziell-kulturellen Nutzung (z.B. als Proberäume der Hochschule für Musik und Theater, Ateliers für Fotografie und Architektur oder kulturelle Betriebsbüros wie artlink oder das Kino Rex) frei gegeben. Sie wäre sonst leer gestanden.
Am 27. August 2004 feierte das Kunstmuseum sein 125-jähriges Bestehen. Es konnte bekannt geben, Hansjörg Wyss werde die bauliche Sanierung und Umgestaltung des ehemaligen Progymnasiums wesentlich finanzieren (mit 17 von 21 Millionen; für 4 Millionen wollten andere Private aufkommen) und für den Betrieb der Abteilung Gegenwartskunst in den ersten fünf Jahren je 250’000 Franken leisten.
Das Haus beginnt zu leben
Im Oktober 2004 zogen die ersten Kulturschaffenden ein. Sieben Monate nach dem Ja des Gemeinderats, 100 Tage nach dem Auszug der Schulen blühte der Proger neu auf. Wer einzog, brachte einen Teil seines Lebens – die Arbeit – ins Haus. Die Kulturschaffenden gestalteten ihren eigenen Ort. Gemeinsam nahmen sie das Haus in Beschlag. Sie bildeten Nachbarschaftsgruppen, sie luden Kolleginnen und Kollegen ein. Rasch wurde spürbar, welche geballte Ladung an Kompetenz, Qualität und Phantasie versammelt war. Der Rahmen für ein kulturelles Programm mit Konzerten, Ausstellungen und diversen Aktionen war ideal. Am steten Aufbruch und Neubeginn nahmen sowohl Mieter aus dem PROGR wie Künstlergäste aus der Schweiz und dem Ausland teil. Und dem Berner Publikum wurden immer wieder Einblicke in das aktuelle Kunstschaffen geboten.
Im November 2004 zog Hansjörg Wyss überraschend sein Schenkungsversprechen zurück. Wie alles Dunkle, hatte auch dieses eine helle Seite: Für den Proger musste eine neue Nutzung gefunden werden. Zahlreiche Vorstösse aus dem Stadtrat luden den Gemeinderat zur Prüfung in verschiedene Richtungen ein. Um die Abklärungen gründlich vornehmen und ein zweckmässiges Vorgehen vorschlagen zu können, wurde die Zwischennutzung um drei Jahre verlängert bis Ende Juli 2009. Die Verlängerung bedeutete in gewisser Weise einen Neubeginn. So wurden einzelne Verbesserungen an der Infrastruktur vorgenommen und – dies vor allem – alle Ateliers wurden neu ausgeschrieben und aufgrund der Qualitätskriterien der städtischen Kulturförderung neu vergeben.
Zwei Chancen
Im Rückblick: Wir hatten zwei Chancen und viel Glück. Die erste Chance bot Hansjörg Wyss: Dank seiner Zusage für die Abteilung Gegenwartskunst bestand Mitte 2004 glaubhaft die Absicht, dass im Sommer 2006 die Bagger auffahren würden und nur ein zweijähriger Leerstand des Gebäudes zu bewältigen war. Wäre damals die künftige Gebäudenutzung offen gewesen – wer weiss, ob ein Zentrum für Kulturproduktion Zustimmung gefunden hätte oder ob nicht einträglichere Nutzungen ins Auge gefasst worden wären.
Die zweite Chance bot ironischerweise wiederum Hansjörg Wyss: Durch den Rückzug seines Schenkungsversprechens löste er neue Überlegungen für den Standort der Abteilung Gegenwartskunst und für die künftige Nutzung des Progymnasiums aus:
– Das Zentrum für Kulturproduktion wurde bis 2009 verlängert.
– Für das Progymnasium schrieb die Stadt einen Ideen- und Investorenwettbewerb aus, den die Idee eines Gesundheitszentrums gewann.
– Für die Abteilung Gegenwartskunst lobte das Kunstmuseum mit Hilfe von Wyss einen Architekturwettbewerb auf dem eigenen Grundstück aus; bis heute ohne zählbaren Erfolg.
Das Gesundheitszentrum wurde schliesslich von den Kulturschaffenden gebodigt. Das Gebäude gehört seit September 2009 im Baurecht der neuen Stiftung PROGR.
Fazit: Kulturpolitik kann Neues hervorbringen, wenn sie aktiv eine vernünftige Idee verfolgt und sich überzeugend dafür einsetzt. Es war ja nicht so, dass die Kulturschaffenden ein Zentrum für Kulturproduktion verlangten – es war die Abteilung Kulturelles, die aus verschiedenen Bedürfnisfäden eine Lösungsschnur drehte und Raum für eine kreative Eigendynamik schaffte.
Der PROGR ist – auf eine Formel gebracht – ein Ort der Konvivialität. Hier wird Kunst gemacht; hier wird Kultur veranstaltet; hier wird über Kunst und ihre Entstehungs- und Förderungsbedingungen debattiert; hier bildet die Bar einen Treffpunkt und Aufenthaltsraum für die Kulturinteressierten und jene, die mit Kunst nichts am Hut haben. Hier herrscht eine lockere Stimmung, eine gute Atmosphäre – und hier wird hart gearbeitet. Hier verbinden sich Kunst und Alltagsleben und beides ist wichtig. – Eigentlich ein idealer Rahmen für Gegenwartskunst auf der Kippe vom Atelier, von der Galerie, von der der ersten Ausstellung ins Museum. Bewegtheit eher als eine Fixation. Vielleicht ist es das. Am wichtigsten wohl ist, dass die Frage offen bleibt für andere Antwortversuche und für neue Fragen.