Auch nach den nationalen Wahlen vom Oktober wird’s um die aktivistische Klimabewegung in Bern nicht ruhig. Im Januar soll die alljährlich stattfindende Tour de Lorraine unter dem Titel «Klimagerechtigkeit» stehen. In deren Rahmen wird die Grosse Halle bei der Reitschule Bern für einige Tage zur «Klimahalle». Eine eigenständige Organisationsgruppe wird die grossen Tore vom 16. bis 18. Januar öffnen für Diskussionen und künstlerische Darbietungen zum Oberbegriff der Klimagerechtigkeit. Wir haben mit zwei Personen aus der Gruppe über das Projekt gesprochen: Die 23jährige Tatjana Pürro ist Biologiestudentin aus Bern und Melina Meyer, 21 Jahre alt, Studentin der Sozialanthropologie. Im Interview erläutern sie ihren Bezug zum Thema und den Widerstand, mit dem ihrem politischen Engagement zuweilen begegnet wird.
Vom 16. bis am 18. Januar 2020 ist die «Klimahalle» in der Grossen Halle in Bern geöffnet. Was erwartet uns dort?
Tatjana: Viel Schönes, es wird Konzerte geben, Kunstinstallationen, Theater, Workshops und noch viel mehr. Die Halle soll gefüllt werden durch verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Umfeldern, die ihre Ideen präsentieren dürfen.
Melina: Zudem kann gegessen werden, wir haben eine Bar und am Freitagabend schmeissen wir eine Party. Eintritt verlangen wir nicht, wir machen alles auf Kollekte.
Tatjana: Die Tore der Klimhalle sind tagsüber offen, auch unabhängig vom fixen Programm lohnt es sich, einfach mal vorbeizuschauen, zum Beispiel bei unserer Info- und Leseecke. Die Klimahalle soll allen zugänglich sein.
Wie konkret ist das Programm bereits?
Tatjana: Am 10. Dezember haben wir Programmsitzung, bis dann sollten alle Inhalte feststehen. Anschliessend werden wir das Programm auf der Homepage der Klimahalle und auf Facebook veröffentlichen.
Auf was seid ihr noch angewiesen?
Melina: Wir sind offen für thematische Vorschläge und Ideen, welche Diskurse in der Klimahalle Platz finden sollen. Auch über finanzielle Unterstützung als Gönner*in freuen wir uns. Es dürfen sich auch gerne noch mehr Personen engagieren, sofern sie sich an die Grundsätze halten, die wir veröffentlicht haben.
Die Klimahalle steht unter dem Titel Klimagerechtigkeit, ein Begriff, der im Rahmen der Klimabewegung immer mehr im Fokus steht. Was ist damit gemeint?
Melina: Hinter dem Begriff der Klimagerechtigkeit stehen viele verschiedene Ideen, die alle ihren Platz finden sollen. Für mich ist er eng verknüpft mit sozialer Gerechtigkeit. Es geht darum, in der Klimadiskussion Minderheiten miteinzubeziehen, in Bezug auf Gender, Herkunft, Hautfarbe und so weiter. Mir ist es ein grosses Anliegen, diesen Anspruch in der Klimahalle umzusetzen. Weiter bedeutet der Begriff der Klimagerechtigkeit für mich auch, dass wir das kapitalistische System überwinden müssen.
Tatjana: Der Wunsch nach ewigem Wachstum ist unvereinbar mit einer Überwindung der Klimakrise und generell mit einem Streben nach Gerechtigkeit. Da stimme ich Melina voll und ganz zu. Ein gesamtgesellschaftlicher Wandel ist nötig, dieser beginnt oft mit einem inneren Wandel und der Stärkung der Akzeptanz gegenüber anderen. Wenn unsere Gesellschaft so weiterfährt wie bisher, werden nur Generalist*innen und Angepasste überleben.
Melina: Kapitalismuskritik zu üben fällt aber oft schwer. Als Reaktion darauf werde ich meist persönlich angegriffen, nach dem Motto: «Du sagst sowas und sitzt gleichzeitig hier mit deinem Laptop.» Und ja, klar bin ich sehr privilegiert, deswegen darf ich aber trotzdem Kritik äussern und mich dabei auch kritisch mit diesen Privilegien auseinandersetzen. Aber Kritik muss erlaubt sein, ohne eine ideale Gegenlösung bieten zu können.
Erlebt ihr oft, dass ihr aufgrund eures Aktivismus persönlich angegriffen werdet?
Tatjana: Ich selbst habe oft Angst, mich zu exponieren. Für mich selbst lebe ich meine Überzeugungen sehr stark aus, kann aber im Umgang mit anderen emotional nur schlecht damit umgehen, wenn ich dafür persönlich attackiert werde. In meinem Umfeld erlebe ich oft, wie andere Aktivist*innen für ihr Engagement schlecht gemacht werden.
Melina: Wie sehr ich mich in Gesprächen und Diskussionen exponiere, hängt von meinem Gegenüber und meiner Tagesstimmung ab. Da gilt es, abzuschätzen und auf sich zu hören. Aber ja, grundsätzlich erlebe ich viel Widerspruch und muss oft Argumente hören, die nicht auf der sachlichen Ebene bleiben.
Tatjana: Ich ernähre mich vegan, rede zwar selten darüber aber werde dafür sehr oft als eine Art Feindbild dargestellt. Was ich mir zum Teil anhören muss ist unglaublich. Nachvollziehen kann ich das nicht.
Melina: Dieser Prozess, dass Menschen durch Aussagen von anderen in eine Verteidigungshaltung zurückfallen, ist extrem spannend. Das habe ich auch beim diesjährigen feministischen Streik bemerkt. Wenn ich sagte, dass ich diesen unterstütze fühlten sich gewisse Personen oft angegriffen und begannen aus dem heraus, gegen mich zu argumentieren. Dabei geht es doch gar nicht um ein Gegeneinander, sondern ein Miteinander.
Euer Engagement, etwa für die Klimahalle, braucht viel Zeit und Energie. Aus was bezieht ihr eure Motivation?
Tatjana: Die Hoffnung, etwas anderes schaffen zu können gibt mir viel Kraft. Eigentlich bin ich eher eine pessimistische Person, fast schon über-melancholisch. Daher muss ich mir manchmal selbst aufzeigen: Es geht auch anders. Wenn ich aus Projekten wie der Klimahalle eine hoffnungsvolle, positive Haltung mitnehmen kann, gibt mir das sehr viel.
Melina: Wut ist ein wichtiges Gefühl für mich. Damit meine ich aber nicht Hass. Dieser ist nicht konstruktiv, Wut hingegen kann sehr positiv sein und mir viel Energie geben. Momente in denen wir gemeinsame Räume für wichtige Themen wie Klima und Feminismus schaffen können sind für meine Motivation sehr wichtig.
Tatjana: Es braucht Leute, die aktiv werden. Nur so habe ich Hoffnung für die Zukunft von uns allen.
Was erhofft ihr euch, was die Klimahalle bei den Besuchenden auslösen kann?
Melina: Mich inspiriert dieser Wandel vom Passiven zum Aktiven. Ich bin schon lange passiv politisch involviert, vor etwa eineinhalb Jahren hats bei mir den Schalter umgelegt und ich begann, mich aktiv zu engagieren. Das möchte ich bei anderen mit der Klimahalle erreichen. Was dazu hilft, ist persönliche Betroffenheit aufzuzeigen. Also, wie wir alle von der Klimakrise und ihren Folgen betroffen sind. Der Begriff der Betroffenheit ist aber vorsichtig zu gebrauchen, weil wir in der Schweiz uns in einer sehr privilegierten Lage befinden. Wir wollen in der Klimhalle Wissen und Hintergründe vermitteln, aber auch schöne Momente zum Geniessen schaffen, etwa für die Leute, die bereits so viel für die Klimabewegung geleistet haben.
Die Klimahalle geht am Samstag, 18. Januar zu Ende. Einen Tag später soll unter dem Namen «Strike WEF» eine Winterwanderung für Klimagerechtigkeit ans WEF in Davos starten. Wie seid ihr mit der Aktion verknüpft?
Melina: Beide Aktionen, die Klimahalle und auch die Winterwanderung sind im Rahmen der Tour de Lorraine entstanden, werden aber von unabhängigen Gruppen organisiert. Wir werden im Rahmen der Klimahalle sicher auf die Winterwanderung aufmerksam machen und Informationen dazu bereitstellen.