Der verblichene Charme eines Wandbilds

von Barbara Büttner 13. Februar 2018

Ende Monat schliesst das Kino Capitol in der Altstadt. Damit sind auch die Tage des Wandbilds von Friedrich Traffelet an der Fassade in der Rathausgasse gezählt.

Mit dem Ende des Kino Capital auf Ende Februar 2018 beginnt der grosse Umbau der Liegenschaft an der Kramgasse 72. Das Haus soll wieder ein Wohnhaus werden, mit Läden im Parterre. Damit verschwindet nicht nur das 1928 von Hans Weiss ins spätbarocke Haus eingepflanzte, durch spätere Umbauten verschandelte Art-déco «Lichtspielhaus Kapitol». Auch die Tage der «Metzgergasschilbi», des fast 80 Jahre alten Wandbilds von Friedrich Traffelet an der Fassade des Kinos in der Rathausgasse, sind gezählt. Damit geht ein interessantes Zeitzeugnis der Geschichte dieser Gasse verloren.

Chilbi in der Metzgergasse

Als Friedrich Traffelet 1938 das Wandbild auf die rückwärtige Fassade des Kinos malt, heisst die Gasse noch Metzgergasse – und geniesst einen etwas zwielichtigen Ruf, hat sich doch neben dem Kleingewerbe und Handwerksbetrieben dort auch das Rotlicht- Gewerbe etabliert. Bis in die späten 1920er ist die Strasse nicht befestigt. Erst auf den wachsenden Druck des Metzgergass-Leists und der Anwohnerschaft lässt die Stadt schliesslich die Gasse asphaltieren. Der neue Strassenbelag wird Ende Oktober 1929 mit einer zweitägigen «Metzgergasschilbi» gefeiert. Dieses Gassenfest begründet eine Tradition, die 50 Jahre andauern wird.

Jetzt wollen die Anwohnenden die Metzgergasse noch weiter verschönern. Im handschriftlichen Protokoll vom 17. Dezember 1930 hält Leistsekretär Pulfer unter dem Traktandum 6, Unvorhergesehenes, fest: «Aus der Mitte der Versammlung wird gerügt, es möchte betr der Fassade des Kinos Kapitol, welche unschön wirke, an die massgebende Stelle Einspruch erhoben werden.»

Auftrag an Traffelet

Der Einspruch scheint erfolgt und schlussendlich von Erfolg gekrönt: 1937 wird dem bekannten und renommierten Berner Maler Friedrich Traffelet der Auftrag erteilt, die Kino-Fassade mit einem Wandbild zu verschönern. Um das Geld für das Honorar des Künstlers zusammenzubringen, sei noch im selben Jahr an der Metzgergasschilbi eine Tombola durchgeführt worden, erzählt der Berner Kunsthistoriker Franz-Josef Sladeczek. Er hat ein Gutachten zur historischen und kulturgeschichtlichen Einordnung des Wandbilds zuhanden der Bauherrschaft und neuen Eigentümerin des Hauses Kramgasse 72 verfasst, der Immobilien Anlage Stiftung HIG.

Restauration dank Chilbi in den 70er Jahren

Ein Jahr später prangt die «Metzgergasschilbi» an der Fassade und wird, wie sollte es anders sein, mit einer zünftigen Chilbi gefeiert. Knapp vierzig Jahre später muss das Bild restauriert werden. Wieder wird an einer zweitägigen «Metzgergasschilbi» Geld für das Wandbild gesammelt. Damals ist die Metzgergasse zwar bereits in Rathausgasse umbenannt, doch der Feierlaune tut dies keinen Abbruch. «Die Chilbi 1976 war eine Riesensache», erinnert sich Edi Franz, der heutige Präsident des Rathausgass-Brunngassleists. Er war damals ein junger Mann und als Sohn des damaligen Leistpräsidenten Erwin Franz «zum Helfen verdammt». Gleich zwei Karussells seien aufgebaut worden, erzählt er. «Es gab eine grosse Bühne für Tanz- und Musikdarbietungen sowie jede Menge Essstände, die Tombola und Wettbewerbe. Zum Beispiel für den schönsten Schnauz oder das schönste Basterli.» Edi Franz lacht. Bei diesem Wettbewerb seien dann «alle Damen des leichten Gewerbes mit ihren Hunden aufmarschiert».

Volkskultur…

Die Restaurierung der «Metzgergasschilbi» sei dem «Engagement seitens des Kinos Capitol, des Leists und engagierter Bürger» zu verdanken, rühmt Kunstexperte Franz-Josef Sladeczek. In seinem Gutachten hält er fest, dass für den Erhalt des Wandbilds weniger kunsthistorische Überlegungen sprächen als vielmehr kultur- und sozialhistorische Argumente. Die «Metzgergasschilbi» sei ein «wichtiges Element der bernischen Volkskultur und das einzige Zeitzeugnis unmittelbar am Ort dieses einzigartigen ehemaligen Strassenfestes».

… und Zeitgeist

Doch Zeitgeist und -geschmack haben sich gewandelt. Volkstümliche Darstellungen wie jene der «Metzgergasschilbi» sind offensichtlich nicht mehr gefragt. Das Bild ist verblichen, der Maler wie auch der Anlass in Vergessenheit geraten. Edi Franz berichtet, dass sich in seinem Leistgebiet niemand mehr für den Erhalt des Wandbildes stark gemacht habe. Dass die Bauherrschaft sich jetzt für eine Fassadengestaltung ohne das Wandbild entschieden hat, mag bedauerlich sein. Einerseits. Doch es eröffnet neuen architektonischen Spielraum. Wie damals vor 80 Jahren mit dem Ziel, die Gasse zu verschönern und aufzuwerten.