Der Takt der Fähre

von David Fürst 31. Oktober 2025

Fähr-B-Kanntschaft I Seit Jahrhunderten befördern Fähren in Bern Gäste von einer auf die andere Seite der Aare. So auch in Bremgarten, wo Fährfrau Nadine Geissbühler ohne Motor, nur mit der Kraft der Strömung zwischen Zehendermätteli und der Agglomerationsgemeinde pendelt. David Fürst hat sie an einem Sonntagmorgen begleitet.

9.45 Uhr: Lulu, die 16-jährige Katze, sitzt bereits auf ihrem Stammplatz: ein Plastikstuhl vor dem kleinen, von Kletterpflanzen umwachsenen Fährhäuschen beim Zehendermätteli. Ich bin etwas zu früh da und warte mit Lulu, die längst das inoffizielle Haustier der Fähre ist und Mäuse fängt, so gut es ihr Alter noch zulässt.

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Lulu begrüsst mich beim Fährhaus. (Foto: David Fürst)

9.50 Uhr: Einige Schritte entfernt vom Fährhäuschen befindet sich der Landungssteg. Nadine Geissbühler sticht bereits mit dem langen Boot von Bremgarten über die Aare. Nachdem die Fährfrau das Boot vertäut hat, begrüsst sie Lulu und schliesst das Häuschen auf. Im Inneren: Ein Pult, ein Bett, eine kleine Kochnische mit Bialetti-Kaffeekanne und zwei kleine Fenster – eines zur Flussseite hin. Auf dem Bett macht es sich die Katze Lulu gemütlich, während Nadine ihre Ausrüstung auslegt: Die Funkklingel, die über einen Sender mit dem anderen Ufer verbunden ist, Schwimmwesten, Rettungsring, Fährtelefon, Portemonnaie, und ihre Fährkleidung: robuste Wanderhosen, Wanderschuhe und ein bequemes Shirt.

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Nadine vor dem von Kletterpflanzen umwachsenen Fährhäuschen beim Zehendermätteli. (Foto: David Fürst)
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Auf dem Bett macht es sich die Katze Lulu gemütlich. (Foto: David Fürst)

10.15 Uhr: Die ersten Gäste warten auf der Bremgartner-Uferseite und betätigen die Funkklingel. Eine Grossmutter mit ihren drei Enkelkindern und ein junges Paar mit Kinderwagen. Nadine packt an und hebt den sperrigen Kinderwagen in die Mitte des rund acht Meter langen Bootes. Die Überfahrt dauert gut zwei Minuten – je nach Wasserstand halt einmal schneller oder dann auch etwas langsamer.

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Das acht Meter lange Boot bietet viel Platz. (Foto: David Fürst)

Die Kinder beobachten gespannt die Handgriffe von Nadine, welche zuerst einkassiert –  «das kostet zwei Franken für die Erwachsenen und einen für die Kinder», sagt Nadine. Heute ist der Wasserstand der Aare niedrig und die Strömung deshalb schwach. Nadine muss das Boot mit einem langen Stab vom Ufer abstossen, «Stacheln nennt man das, wie es auch die Pontoniere tun, um so mit ihren Booten die Aare hinaufzukommen», erklärt mir Nadine. Als das Boot zur Flussmitte hin treibt, legt die Fährfrau den Stab weg und stellt das Ruder quer. So nützt sie die Strömung, um auf die andere Uferseite zu gelangen.

 

10.44 Uhr:  Nach dieser ersten Fahrt bleibt etwas Zeit, um über den Beruf der Fährfrau zu sprechen. Wir machen es uns auf der Veranda des Fährhäuschens gemütlich. «Am Morgen ist meist nicht so viel los und ich habe auch Zeit für eine Pause. Von Mittag bis am Abend fahre ich meist pausenlos hin und her. Zumindest an Sonntagen ist sehr viel los.»

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Nadine auf der Veranda des Fährhäuschens. (Foto: David Fürst)

Plötzlich läutet die Funkklingel, die auf dem Tisch liegt, und zeigt an, dass Gäste auf der Bremgartner-Uferseite warten. Zehn Schritte hinunter zum Boot, dann überqueren wir mit der Fähre die Aare, während einige Menschen auf blauen Stand-Up-Paddles an uns vorbeiziehen. Zwei Menschen in langen Fischerhosen stehen ebenfalls in der Aare.

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Die Aare wird von Standuppadler, Gummiboten und Schwimmer*innen genutzt. (Foto: David Fürst)

11.10 Uhr: Zwei Kinder aus Bremgarten steigen ein. «Früher war das unser Schulweg zur Waldschule», erzählen sie. Nadine kennt die beiden bereits, es sind ihre Stammgäste. Heute kämen sie nur für ein Eis im Restaurant und zum Spielen am Ufer. Die Eltern hätten mit dem Vélo den Landweg gewählt.

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Die Kindern nehmen die Fähre, die Eltern den Landweg mit dem Vélo. Ziel ist die Halbinsel Zehendermätteli. (Foto: David Fürst)

11.45 Uhr: Reto Camenisch, Filmemacher und Fotograf, ist der nächste Gast bei Nadine. Mit seinem Hund Zizou geht er öfters ins Zehendermätteli. Er wohnt in der Nähe und geniesst die Natur.

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Reto Camenisch und Hund Zizou. (Foto: David Fürst)

12.20 Uhr: Max, der ehemalige Fährmann aus Reichenbach, kommt mit seiner Frau und Hund. Max fachsimpelt mit Nadine über den Wasserstand und wie viel Kubikmeter Wasser wohl momentan die Aare hinunterfliessen.

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Nadine unterhält sich mit Max, ehemaliger Fährmann aus Reichenbach. (Foto: David Fürst)

12.40 Uhr: Ruth und ihr Boston Terrier sind die letzten Gäste vor der Mittagspause. Sie haben einen langen Spaziergang hinter sich und im Zehendermätteli wollen sie nun eine Pause machen und Kaffee trinken.

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Ruth und ihr Boston Terrier. (Foto: David Fürst)

12.45 Uhr: Als ich die Kamera einpacke und mich auf den Weg nach Hause mache, steht die Sonne hoch am Himmel und Katze Lulu schnurrt auf dem Bett im Fährhäuschen. Die Funkklingel läutet, Nadine zieht die Tür hinter sich zu und geht hinunter zum Boot. Die Aare treibt dahin und wieder gleitet die Fähre hinüber, um neue Gäste abzuholen.

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Fährfrau Nadine Geissbühler. (Foto: David Fürst)

Morgen erscheint der zweite Teil der Fähr-B-Kanntschaft. Im Interview erzählt Nadine was sie in ihrem Alltag als Fährfrau alles erlebt und was sie am Beruf fasziniert.