Markige Worte von Alex Tschäppät an der Eröffnung des Kurzfilmfestivals Shnit vom Mittwoch. Bern sei die unterschätzteste Hauptstadt der Welt, charmierte der Stadtpräsident das lokale Publikum. Shnit zeige, dass ein «geiles», internationales Festival auch hier möglich sei. Und sogar noch ein ganz spezielles: Wo schon gebe es bei einer Festivaleröffnung in einer Kirche rosa Bier zu trinken? Die Stadt Bern müsse den Förderkredit für Shnit erhöhen, hatte Vorredner SRG-Filmchef Sven Wälti gefordert ((2013 waren es 75’000 Franken).
Die Heiliggeistkirche war in rosa Licht gehüllt, und gut gefüllt mit einem jungen, urbanen Publikum. Draussen auf der Treppe wunderten sich die Alkis über das bunte Treiben in der Kirche. Bühne frei für den Berner SP-Stadtpräsidenten: Das Schweizer Fernsehen solle weniger Schrott produzieren, dafür seinem Sponsoringpartner Shnit mehr Geld geben, liess er den Filmchef wissen.
Tatsächlich scheint die öffentliche Förderung für Shnit angesichts von potenten Sponsoren wie Coop und SRG SSR angemessen. Nicht aber, wenn man die öffentliche Finanzierung von Shnit an anderen Filmfestivals in der Schweiz misst. In diesem Zwiespalt steckt die Berner Kulturpolitik: Der Verteilschlüssel ist auf Ausgewogenheit angelegt und wird bei Druck oder Unterdruck (sprich: Unterfinanzierung) nur mit Ächzen und Klönen verändert.
Siebenjähriges Positionspapier
Grosse Sprünge sind sowieso nicht möglich. Dazu hat die Stadt das finanzielle Potential nicht. Das gilt es zu akzeptieren. Fatal aber ist: Von Ideen, Innovationen oder gar Visionen will hier niemand reden, schon gar nicht die SP, die Regierungspartei in der Stadt Bern.
«Von Ideen, Innovationen oder gar Visionen will hier niemand reden, schon gar nicht die SP.»
Christian Pauli
Mit dem Stadtpräsidenten und der Kultursekretärin stellt diese SP die zwei wichtigsten Dossierverantwortlichen. Kurzum, die SP bestimmt die Kulturpolitik. Tut sie aber trotzdem nicht. In der Kulturszene grassiert der Unmut über die fehlende Strategie der städtischen Kulturpolitik. Kultursekretärin Veronica Schaller allerdings will von diesem Vorwurf in der Kulturszene noch nie gehört haben.
Was ist los? Wir stehen vor der Ausarbeitung einer neuen Kulturstrategie. In der Debatte um das Nachtleben wurde von allen Seiten eine kulturpolitische Würdigung verlangt. Die Verhandlungen für die Subventionsperiode 2016 bis 2019 beginnen jetzt. Und wo steht die SP Stadt Bern? Sie stützt sich auf ein Papier namens «Kulturplattform», das fast sieben Jahre alt ist.
«Einfach Ja sagen reicht nicht»
Anders machen es die Zürcher Genossen. Soeben hat die SP Stadt Zürich ein Positionspapier «Kultur – für alle» veröffentlicht. Aua! Dieser Titel hat das Potential, Kulturschaffende in Panik zu versetzen. Zum Glück aber erweist sich die Angst als unbegründet.
«Kulturpolitik fristet auf allen Ebenen ein Schattendasein.»
Christian Pauli
Das Papier geht nämlich von der richtigen Feststellung aus, dass Kulturpolitik auf allen Ebenen ein Schattendasein friste. «War früher die Unterstützung der Hochkultur in allen Lagern zumindest ein Lippenbekenntnis – mit anderen Kunstformen tat und tut man sich schwer –, ist selbst dies heute nicht mehr selbstverständlich.»
Dabei sei ein Leben ohne Kultur undenkbar, schreibt die SP Zürich. «Aber es reicht nicht, einfach Ja zu sagen. Man muss auch wissen, weshalb. Dies gilt besonders für die SP, die von sich immer behauptet, die Partei der Kultur zu sein.»
Kultur als Stadtentwicklung
In seinen Forderungen fährt das Zürcher SP-Papier sozialdemokratisch korrekt: Kein Abbau von Kultursubventionen. Demokratisierung des Zugangs (Preise und Öffnungszeiten anpassen). Mehr Kulturbeteiligung von Kindern und Jugendlichen und mehr Mittel für «Frauen, Junge und MigrantInnen». Bessere soziale Sicherheit für Kulturschaffende (Einbezug der Berufsverbände). Mehr Geld für die freie Szene statt für Institutionen.
«Kultur wird in Zürich auch als Stadtentwicklung begriffen.»
Christian Pauli
Das kennen wir – und finden es gut. Interessant aber ist das SP-Papier, weil es doch ein bisschen weiter denkt. Kultur wird hier auch als Stadtentwicklungspolitik begriffen. Kultur soll an die Ränder der Stadt gehen und Freiräume beanspruchen dürfen. Grundsätzlich differenziert das Papier überzeugend zwischen Kunst und Kultur, derweil die Berner SP in ihrem angegrauten Papier eine Unesco-Kulturdefinition voranstellt.
Während sich die Zürcher SP also schon fast in Selbstkritik übt und nun wenigstens den Anstoss zur Diskussion gibt, muss die Berner SP aus dem kulturpolitischen Dornröschenschlaf erweckt werden. Wohlverstanden: Dies ist wichtig, weil die Freisinnigen und Liberalen sich in dieser Stadt schon längst (von der Kultur) verabschiedet haben.