Alltag - Kolumne

Der reiche Heiri aus Afrika, das rote Anna aus Züri

von Peter Steiger 2. April 2025

Alt.Mann.Bern. Was gestern gut war, ist heute schlecht. Und umgekehrt. Das zeigen die beiden Schicksale von Heinrich und Anna, Onkel und Tante des Kolumnisten. Kolonialismus vs. Sozialismus.

Mein Onkel Heinrich belieferte mehrere grosse Schweizer Warenhäuser mit Erzeugnissen aus Afrika. Zu seinen Kunden gehörte auch das grosse Berner Haus am Bahnhof. Heiri reiste in den Fünfzigern und Sechzigern mehrmals im Jahr nach Belgisch-Kongo, heute Demokratische Republik Kongo. Heinrich handelte mit Holz, Schmuck und Textilien. Möglicherweise war er auch im Rohstoffgeschäft tätig. Fotos zeigen ihn artgerecht gekleidet im weissen Anzug mit Tropenhelm. Heiri war der Star der gesamten Verwandtschaft.

Heinrich war der perfekte Darsteller für den späten Kolonialismus, jovial, wohlwollend, aber mit Grenzen gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Und Heiri war der gute Onkel. Als Afrika-Hinweis bekam ich als kleiner Bub ein schwarzes Bäbi. Auch meine Mutter, seine Schwester, bekam Schönes aus dem Süden. Heiri beschenkte die gelernte Schneiderin mit exotischen Stoffen.

Heiri war der Star der gesamten Verwandtschaft.

Anna, Heinrichs andere Schwester, lebte in Zürich. Sie erhielt von ihm keine Präsente. Denn Anna war Sozialistin. Äusserlich erkennbar war das an ihrer Kleidung, meist schwarz, weiter an den Zigaretten, auch schwarz. Und an ihrem Kaffeekonsum, ebenfalls schwarz. Anna, gläubige Linke, hatte während der Nazizeit geflüchtete Juden in der Schweiz unterstützt.

Ihr Mann Fritz war angestellter Schuhmacher. Daneben besohlte er auch privat. Meine Mutter schickte mich mit reparaturbedürftiger Ware zur Genossenschaftswohnung von Fritz und Anna. Dort sah es anders aus als zuhause, irgendwie sozialistischer, mit Käthe Kollwitz an den Wänden. Da hing auch ein Wimpel des jüdischen Fussbaldklubs Hakoah, wohl ein Präsent eines Fussballers, der von Anna unterstützt worden war.

Weil Anna nie in der Öffentlichkeit stand, blieb sie von den Schmutzkampagnen verschont, die bekennende Kommunisten zu erleiden hatten.

Bald nach dem Krieg bekam Anna zu spüren, was die Schweiz von den Roten hielt. Sie galten als unser Verderben. Man war sich einig, dass man die kommunistische Welle aufhalten und bekämpfen musste. Anna hatte zwar noch einen Bonus, weil sie Geflüchteten geholfen hatte. Doch in den Fünfzigern und Sechzigern eskalierte der Kalte Krieg. Er stempelte Anna zur Aussenseiterin und reihte sie bei jenen vermeintlichen Landesverrätern ein, die man mit «Moskau einfach» ostwärts rauswerfen wollte.

Weil Anna nie in der Öffentlichkeit stand, blieb sie von den Schmutzkampagnen verschont, die bekennende Kommunisten zu erleiden hatten, Heinrich Buchbinder etwa oder der Buchhändler Theo Pinkus. Anna war keine Heldin. Im Laufe der Jahre gesellte sie sich zu den braven Schweizer Sozialdemokraten. Aufmüpfig blieb sie und engagierte sich ab 1960 in der Anti-Apartheid-Bewegung. Anna starb anfangs der Siebzigerjahre, etwa zur gleichen Zeit wie ihr Bruder Heinrich.

Da haben wir also die zwei Protagonisten der beiden Geschichten: Heinrich und Anna. Beide hatten ihre aktivsten Jahre in den Fünfziger- und Sechzigerjahren.

Einst:
Heiri galt damals als welterfahrener geschäftstüchtiger Erfolgstyp mit Renommée.
Anna galt damals als irregeleitete rote Volksfeindin und Landesverräterin.

Heute:
Heiri gälte heute als Ausbeuter und Kolonialismus-Profiteur.
Anna gälte als aufrechte Kämpferin gegen Unterdrückung und Misshandlung.

Was gestern gut war, ist heute schlecht. Und umgekehrt.