Der Regierungsrat will die direkte Demokratie abschaffen

von Willi Egloff 20. Dezember 2020

Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat eine Reihe von Verschärfungen zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie bekannt gemacht. Im Anschluss daran hat sich auch der Regierungsrat des Kantons Bern zusammengesetzt und weitere Massnahmen beschlossen. Unter anderem schafft er vorläufig mal die direkte Demokratie ab.

Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 haben verschiedene Parlamente, so etwa die Bundesversammlung oder der Berner Stadtrat, ihre gesamte Tätigkeit einfach eingestellt. Irgendwie hat sich dann die Erkenntnis durchgesetzt, dass das nicht geht. Die Parlamente sind dazu da, die Regierungen zu überwachen, und sie müssen das auch tun, wenn es gefährlich ist, weil eine Pandemie wütet. Parlamente sind eben systemrelevant, und die Demokratie kann auch in Krisenzeiten nicht darauf verzichten.

Die Botschaft ist bei den Verantwortlichen angekommen, und heute käme in der Schweiz niemand mehr ernsthaft auf die Idee, Parlamente in die Ferien zu schicken. Es geht nur noch darum, wie die Sicherheitsmassnahmen ausgestaltet werden müssen, die dem Stadtrat, dem Grossen Rat, der Bundesversammlung und all den vielen andern Parlamenten ein möglichst sicheres Arbeiten ermöglichen.

Der Regierungsrat des Kantons Bern hat die Botschaft offenbar nicht verstanden. Er schickt zwar nicht den Grossen Rat in die Ferien, dafür aber die direkte Demokratie. Mit einem Beschluss vom Freitag verbietet er ab sofort jegliche Sammlung von Unterschriften zu kantonalen und kommunalen Vorlagen. Bereits laufende Initiativen und Referenden dürfen erst weitergeführt werden, wenn die COVID-Einschränkungen aufgehoben worden sind. Das Volk soll jetzt bitte zu Hause bleiben und die Klappe halten!

 

Unsinnig und unnötig

Konkret heisst das, dass jetzt zwar – auch im Kanton Bern! – Unterschriften für Initiativen und Referenden auf Bundesebene gesammelt werden dürfen, nicht aber für Initiativen und Referenden auf kantonaler und kommunaler Ebene. Zur Zeit laufen auf nationaler Ebene gemäss Webseite der Bundeskanzlei 13 Volksinitiativen. Daneben sind 3 Referenden gegen Bundesgesetze angemeldet, nämlich diejenigen gegen das Bundesgesetz über die Terrorismusbekämpfung, gegen das CO2-Gesetz und gegen das COVID-19-Gesetz. Dafür darf weiter gesammelt werden, auch in der Öffentlichkeit. Sammeln für die kurz vor dem Ziel stehende kommunale Gratis-öV-Initiative der PdA Bern wird dagegen verboten. Kann da irgend jemand einen Sinn erkennen?

Auf der bereits erwähnten Webseite des Bundes ist übrigens auch zu lesen: «Wegen Corona sind Unterschriftensammlungen auf der Strasse schwieriger geworden. Wenn Sie ein Referendum oder eine Initiative unterstützen möchten, können Sie dies aber auch ganz einfach von zu Hause aus tun.»

Richtig: Auf der Webseite des Komitees Unterschriftenbogen ausdrucken, unterschreiben, einschicken. Das ist alles. Auch das steht auf der Webseite des Bundes, und dort sind auch gleich die Links zu den verschiedenen Initiativ- und Referendumskomitees aufgeschaltet. Der Gang zum nächsten Briefkasten ist das einzige verbleibende Corona-Infektionsrisiko.

 

… und verfassungswidrig

Der Regierungsrat des Kantons Bern sieht das ganz anders. «Für den Regierungsrat widerspricht das Sammeln von Unterschriften auf der Strasse dem Aufruf, Kontakte zu vermeiden. Für jene, die den Aufruf befolgen, ist es faktisch unmöglich geworden, Unterschriften zu sammeln», heisst es in seiner Medienmitteilung. Daher müsse die direkte Demokratie bis auf weiteres ausgesetzt werden.

Man fragt sich, was denn beim Sammeln von Unterschriften so viel gefährlicher sein könnte als beim Besuch eines Marktstandes, wenn die Hygieneregeln (Mund-Nasen-Schutz, Desinfizierung etc., Sie wissen schon…) eingehalten werden. Aber darum geht es gar nicht.

Es geht darum, dass der Regierungsrat des Kantons Bern keinerlei Kompetenz hat, die direkt-demokratischen Rechte des Volkes auszuschalten. Es gibt im Kanton Bern kein Gesetz, das dem Regierungsrat erlauben würde, auf dem Verordnungsweg die Verfassung abzuschaffen. Das Epidemiengesetz des Bundes und die darauf gestützte COVID19-Verordnung des Bundes, auf welche sich der Regierungsrat beruft, sehen eine solche Einschränkung eben gerade nicht mehr vor. Das Verbot von Unterschriftensammlungen ist schlicht und einfach verfassungswidrig.

Dass es auch wichtig ist, auf diese direkt-demokratischen Rechte zu pochen, zeigt gerade das nationale Referendum gegen das COVID-19 Gesetz. Mit diesem Referendum soll verhindert werden, dass die im Gesetz vorgesehenen Kompetenzverschiebungen vom Parlament an den Bundesrat in Kraft treten. Ich teile die Auffassungen des Referendumskomitees zwar nicht und werde das Referendum sicher nicht unterzeichnen. Ich halte es aber für ein unverrückbares demokratisches Prinzip, dass ein solches Referendum auch während einer Pandemie möglich sein muss. Offensichtlich ist auch der Bundesrat dieser Auffassung.

Demgegenüber ist das nach Meinung des Berner Regierungsrates offenbar nicht so wichtig. Ein Referendum gegen ein kantonales COVID-Gesetz soll nach seiner Meinung bis auf weiteres nicht mehr möglich sein, auch keine entsprechende Initiative. Der Berner Regierungsrat will nach guter alter Patriziermanier selbst bestimmen, was dem Volke ziemt und was nicht.

 

Verbot von Unterschriftensammlungen sofort aufheben!

In seiner Medienmitteilung teilt der Regierungsrat des Kantons Bern auch mit, dass er es «begrüssen würde, wenn der Bundesrat eine entsprechende Verfügung auch für die Ausübung der politischen Rechte auf Bundesebene erlassen würde». Der Regierungsrat hofft also, dass ihm der Bundesrat nachträglich die offensichtlich fehlende Kompetenz zur vorläufigen Abschaffung der direkten Demokratie nachliefert. Dieser Wunsch wird sich glücklicherweise nicht erfüllen; der Bundesrat hat schon im Frühjahr erkannt, dass die demokratischen Institutionen systemrelevant sind und gerade in Krisensituationen funktionieren müssen. Das gilt auch für Initiativen und Referenden.

Der Bundesrat wäre daher eher aufzufordern, die Berner Regierung an ihre republikanischen Pflichten zu erinnern: Das Verbot von Unterschriftensammlungen muss sofort abgeschafft werden, lieber heute als morgen. Es bleibt zu hoffen, dass der Regierungsrat das gleich selber einsieht und seinen verfehlten Schnellschuss zurückzieht.