Der Philosoph von Bümpliz

von Fritz Vollenweider 6. Januar 2021

Carl Albert Looslis Lebensweg könnte man knapp unter das Motto «Vom Sozialfall zum Kämpfer für soziale Gerechtigkeit» stellen. Die Autoren seiner eben erschienenen Biografie gehen viel gründlicher ins Detail.

Keine Frage, was die beiden Autoren Erwin Marti und Martin Uebelhart aus der Lebens- und Wirkungsgeschichte von Carl Albert Loosli gestaltet haben, sprengt den gewohnten Umfang einer Biografie ganz wesentlich. Damit sind nicht die 320 Seiten des Buchs gemeint, sondern dessen überaus reicher und vielseitiger Inhalt.

Carl Albert Loosli wird 1877 in Schüpfen (BE) als uneheliches Kind einer minderjährigen Mutter geboren. Er starb 1959. Er verbringt die ersten Jahre als Kind bei einer so strengen wie gerechten und vor allem liebenden Pflegemutter, bis diese ihrer unheilbaren Krankheit wegen den Buben den lieblos mahlenden Mühlen von Anstalten und Behörden überantworten muss. Damit beginnt für den intelligenten und aufgeweckten Knaben eine Odyssee, die seiner Persönlichkeit nicht angemessen ist und in die traurigsten behördlichen und anstaltpädagogischen Schwierigkeiten führt. Looslis widerspruchbereiter Geist, nicht bereit zu schweigender Unterordnung, beschert ihm eine harte Jugend, bis ins Erwachsenenalter eine höchst problematische Erfahrung für ihn.

Lichtblick im Ganzen sind die vielen Freunde, die er schon als Knabe und bis ins hohe Alter immer wieder gewinnt. Es sind darunter höchst illustre Namen wie Ferdinand Hodler, Carl Spitteler, Cuno Amiet – um nur einige der Schweizer Namen zu nennen. Andererseits sind als Schattenseiten die während Jahren immer wieder aufkommenden, teils fiesen Anfeindungen, teils heftigen Feindseligkeiten zu nennen, vor allem entstanden wegen Looslis unerschrocken für Gerechtigkeit, gegen Heuchelei und gegen falsche Ideologien eintretenden Schriften.

Erwin Marti und Martin Uebelhart zeichnen dieses ungemein vielseitige und fruchtbare Leben und Handeln von C. A. Loosli ebenso reichhaltig und differenziert nach. Ihr Werk ist eine Rezeptionsgeschichte von grossem wissenschaftlichem Wert, differenziert und sorgfältig dokumentiert und recherchiert. Selbst die biografischen Daten von Männern und Frauen, die der Authentizität des Werks wegen aufgesucht und befragt wurden, sind angeführt. Von überragender Eindrücklichkeit ist die Fülle der Portraits, der Faksimiledarstellungen von Presseartikeln und Briefen sowie die zahlreichen vor allem der Illustration des Geschriebenen dienenden weiteren Abbildungen.

Von der Lektüre des Buchs fühlt man sich gefesselt; die Seiten blättert man eifrig gespannt. Von Vorgang zu Vorgang fühlt man sich festgehalten, liest von Gelingen und Scheitern, von Kämpfen für soziale Gerechtigkeit, vom Einstehen für Rechte von Künstlern und Schreibenden. Bewegt vernimmt man vom Zweifeln und Hoffen, von Familie und Gesellschaft, von Schule und Gemeinde und vor allem von Freunden, jedoch auch von Feinden. Dabei verfällt man nicht der Idee, man sitze über eine Art biografischen Romans, man begegnet vielmehr einem Sachbuch mit einer Fülle von Informationen – aber das ganze doch so spannend, dass man erst beim Überdenken des Gelesenen, etwa in der Pause nach einem abgeschlossenen Kapitel feststellt, mit wie grosser wissenschaftlicher Genauigkeit das alles formuliert und auch mit den Quellen vernetzt ist.

Als Knabe wollte Carl Albert Loosli Naturwissenschaft studieren, was ihm die damals zuständige Vormundschaftsbehörde verwehrte. Er hat jedoch autodidaktisch nicht nur auf diesem Gebiet, sondern noch in manch anderen Disziplinen sich solide Kenntnisse erworben. Wichtig dabei, und das zeigen die Autoren unmissverständlich auf, ist seine Fähigkeit zu selbständigem, unabhängigem Denken und zu einer Art geistiger Unbestechlichkeit, die sich nicht von Ideologien vereinnahmen lässt. Er lebt und arbeitet vorwiegend als kritischer Journalist, aber auch in Ehrenämtern und als selbständiger, initiativer Aktivist, der bei Behörden und bei Persönlichkeiten sich einsetzt für das, was ihm am Herzen liegt. Und am Herzen liegt ihm vor allem die Strafreform – nicht Abschreckung, sondern Resozialisation – und, eingedenk der eigenen zweifelhaften Jugenderfahrungen – die Reformation des Pflegekinderwesens.

Seit 1904 mit seiner Familie in Bümpliz wohnend (wo er sich auch stark gegen die bevorstehende Eingemeindung in die Stadt Bern wehrt), tragen ihm seine philosophischen, psychologischen und pädagogischen Aktivitäten vor allem nach der Publikation seines Buchs Bümpliz und die Welt die Bezeichnung «Philosoph von Bümpliz» ein. Sein unbestechliches Denken lässt ihn rasch die Gefahr des ersten und dann des zweiten Weltkrieges erkennen. Gegen die Bedrohung durch Antisemitismus und die fatale Hörigkeit gewisser Schweizer Kreise gegenüber dem Aufkommen der deutschen Nazis kämpft er in der Presse und mit eigenen Publikationen und Briefen. Die sachliche Würdigung aller dieser Vorgänge durch die Autoren dieses Buches ist überzeugend und hoch verdienstvoll. Sie haben damit so etwas wie eine bernische, sogar schweizerische Geschichte der Kultur und Gesellschaft geschaffen.

Nachzutragen bleibt noch der Hinweis auf die C. A. Loosli Gesellschaft, welche sich umfassend mit Leben und Werk dieses vielseitig wirkenden Journalisten, Schriftstellers und Dichters befasst, den man füglich als Universalgenie bezeichnen könnte, angesichts der Art und Weise, wie er sich der politischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten seiner Zeit und seiner Umwelt annimmt.

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Dieser Text von Fritz R. Vollenweider erschien ursprünglich auf seniorweb.ch