«Der Mattepoller ist ein schönes Abschiedsgeschenk»

von Anne-Careen Stoltze 20. Dezember 2012

Die abtretende Tiefbaudirektorin Regula Rytz (GB) brachte das Tram in Berns Westen und vermied grosse Skandale. Knifflig sei es trotzdem gewesen – sagt sie im Gespräch mit Journal B.

Frau Rytz, Ihr Start ins Amt war 2005 eine monatelange Zitterpartie, am Ende musste das Bundesgericht entscheiden. Wie konnten Sie trotz dieser grossen Unsicherheit in die Arbeit starten?

Regula Rytz:

Das war eine Belastung, ja. Aber wenn man so ein Amt antritt, ist man ab dem ersten Tag in einemSog. Ich hatte gefühlte hundert Sitzungen pro Tag und konnte gar nicht anders, als voll dabei zu sein. Am Anfang habe ich versucht mich ein wenig zu schützen und dachte immer daran, dass ich von einem Tag auf den anderen wieder alles zusammen packen müsste. Nach den Sommerferien bin ich jedoch richtig angekommen, und es hätte mir sehr wehgetan, wenn ich hätte gehen müssen. Sehr schwierig war es auch für meine Mitarbeitenden. Deshalb habe ich versucht, es möglichst cool zu nehmen. Kurz vor der Auszählung, als das Ergebnis verkündet worden ist, bin ich allerdings sehr nervös gewesen. Und nachher sehr glücklich.

Wie sind Sie als Grüne und als Quereinsteigerin, Sie sind Historikerin, in der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün angekommen?

Meine Mitarbeitenden haben am Anfang mit Neugier und Distanz geschaut, wer da jetzt kommt. Insbesondere deshalb, weil ich ein Jahr zuvor ein Inserat mit dem Inhalt «Bildung statt Strassenbau» unterschrieben habe. Das hat sie ein wenig irritiert.

«Ich bin keine Frau im Stil «sie kam, sah und siegte».»

Regula Rytz, Tiefbaudirektorin Stadt Bern

Aber wenn man aus einem ganz anderen Fachbereich kommt, dann hat man auch eine sehr grosse Offenheit. Ich habe viel zugehört. Ich bin keine Frau im Stil «sie kam, sah und siegte». Ich mache mir lieber zuerst ein Bild und versuche, die Mitarbeitenden durch gute Zusammenarbeit zu gewinnen. Ich habe auch gemerkt, wo die Grenzen sind. Ein Beispiel: Eine Woche nach meinem Amtsantritt wolle ich ein ich am Bollwerk einen Velostreifen markieren lassen und dachte, es reicht, Farbe und Pinsel in die Hand zu nehmen. Aber die Ingenieure klärten mich auf, dass dort Leitungen im Weg sind, dass man die Masten für Bernmobil verschieben müsste und das Ganze 200’000 Franken kosten würde. Deshalb ging es dann etwas länger.

Bald nach Ihrem Antritt haben Sie Grossprojekte wie den Bahnhofplatz und das Tram Bern West in Angriff genommen. Dabei hätte viel schiefgehen können – wie sind Sie den Fallstricken aus dem Weg gegangen?

Das hängt vielleicht mit meiner Person zusammen. Ich hole mir immer auch abweichende Meinungen ein, um dann einen gangbaren Weg zu finden. Anfänglich war ich überrascht, dass einige von den Projekten, die ich übernommen habe, recht kontrovers diskutiert worden sind. Deshalb musste ich auf der Gegenseite Leute überzeugen. Ich habe Wert darauf gelegt, nicht einfach etwas durchzuziehen, sondern Menschen zu überzeugen und Mehrheiten zu gewinnen. Das kannte ich – zuvor bin ich ja elf Jahre im Grossen Rat gewesen in einer Minderheit. Aber es sind in der Tat Riesenkisten gewesen, die nur dank der grossen Kompetenz und dem Engagement der Fachleute in- und ausserhalb der Stadt umgesetzt werden konnten.

Beim neuen Bahnhofplatz gab besonders der Baldachin zu reden…

Das Volk hat den Bahnhofplatz mit der gestalterischen Variante des Baldachins knapp angenommen. Als nachher der Regierungsstatthalter entschied, dass es aus Denkmalschutzgründen nicht geht, gab es eine Pattsituation. Man hätte das Projekt nochmal neu aufrollen müssen – mit riesigem Aufwand. Deshalb habe ich ein weiteres Gutachten eingeholt von einer Denkmalpflegeexpertin aus Basel. Sie sagte, dass sich der Baldachin sehr wohl gut integrieren lasse. Das kann ich allen Exekutiven nur empfehlen: Es gibt immer mehrere Lösungen und eine davon ist realisierbar.

Zu ihren Dossiers gehört auch der Verkehr. Wie haben Sie sich als Grüne und als Velofahrerin und mit den Interessen der Bürgerlichen und der Autofahrer auseinandergesetzt?

Wir haben viel diskutiert. Jimy Hofer sass einmal bei mir, als er sich wahnsinnig über den Matte-Poller aufgeregt hat. Da konnten wir ihm zeigen, es gibt seine Sicht, aber es gibt auf der anderen Seite auch Familien mit Kindern, die in der Matte wohnen und unter dem Verkehr leiden. Oft konnten wir der bürgerlichen Seite auch Briefe von Bewohnerinnen und Bewohnern aus dem Kirchenfeld vorlegen, die sich Verkehrsberuhigung wünschten – das ist ja ihr eigenes Klientel. Als sie gesehen haben, dass auch FDP-Wählerinnen und -wähler weniger Verkehr wünschen, hat das die Fronten aufgeweicht. Ab da konnte man sachlicher diskutieren.

«Oft konnten wir der bürgerlichen Seite auch Briefe von Bewohnern aus dem Kirchenfeld vorlegen, die sich Verkehrsberuhigung wünschten – das ist ja ihr eigenes Klientel.»

Regula Rytz, Tiefbaudirektorin Stadt Bern

Mit den Pollern in der Altstadt haben Sie sich aber keine Freunde gemacht?

Am Anfang nicht, aber heute will sie niemand mehr missen. Die Poller wurden bereits vor meiner Zeit bestellt und zwar Modelle, die besonders unauffällig waren – aus Gründen des Denkmalschutzes. Das war ein Fehler. Daraus haben wir gelernt. Vor kurzem wurde bekannt, dass wir nun auch den Matte-Poller bauen können. Das ist ein schönes Abschiedsgeschenk.

Was braucht es verkehrstechnisch in Bern, wenn Bern Velostadt werden will?

Wir haben ein paar topographische Probleme, die andere Städte nicht haben, vor allem den Aaregraben. Die Velobrücke zwischen Länggasse und Lorraine finde ich deshalb sehr wichtig. Der Kanton plant das Projekt, aber hat momentan keine Kapazität, sie zu bauen. Die aktuelle Kostenschätzung liegt zwischen acht und zehn Millionen Franken. Die weitere Förderung des Fuss- und Veloverkehrs ist für die Zukunft aber sicher ein wichtiges Anliegen.

Sie haben Ihre Direktion während acht Jahren ohne grosse Skandale geführt…

Natürlich hatten wir auch schwierige Situationen.

Aber Sie hatten kein «Bärenpark-Fiasko» und keinen «BMW-Fall».

Nein, das nicht.

Was ist Ihr Geheimnis? Dossierkenntnis, Fleiss?

Beides gehört dazu. Ich habe jeden Samstag und Sonntag in meinem Büro gesessen und Akten gelesen. Zum Erfolgsrezept gehört aber auch die gute Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitenden. Sie müssen mir vertrauen, und ich muss ihnen Platz lassen für Eigeninitiative und Verantwortung. Dazu gehört, dass die Personen, die ein Projekt betreuen, auch den Medien Auskunft geben. Das haben wir klar untereinander aufgeteilt: technische Fragen beantworten die Fachleute, politische Fragen ich. Und natürlich bin ich da, wenn es eine Krise gibt. Die Tiefbau- und Verkehrsdirektion ist kein einfacheDirektion, es gibt viele knifflige Fragen.

Mitarbeitende sagen Ihnen einen Hang zum Perfektionismus nach – was ist da dran?

Es stimmt. Und diese Neigung hat mir auch das letzte Jahr mit meinem Doppelmandat erschwert, denn ich konnte mich nicht so in die neuen Dossiers einarbeiten, wie ich mir das gewünscht hätte.

«Mein Perfektionismus konzentriert sich auf die politische Rolle.»

Regula Rytz, Tiefbaudirektorin Stadt Bern

Perfektionisten sind mit sich oft am kritischsten, was kritisieren Sie an sich?

Manchmal schon, dass ich im Bundeshaus noch zu wenig pointiert bin. Manchmal wünsche ich mir die Redegabe unseres Stadtpräsidenten. Im Vieraugengespräch und im Verhandeln bin ich hingegen sehr gut.

Perfektionistinnen können als Chefs auch problematisch sein – welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?

Meine Leute haben mir schon gesagt, dass ich recht anspruchsvoll bin und manchmal eine Herausforderung für sie. (lacht) Es ist ein ständiger Lernprozess gewesen. Ich bin ein offener Mensch und konnte meinen Mitarbeitenden immer klar sagen, was ich will und warum. Das haben sie geschätzt und es gab ihnen die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Auf der anderen Seite habe ich die Fachleute respektiert und ihnen nicht reingeredet. Mein Perfektionismus konzentriert sich auf die politische Rolle. Die technischen Fragen beherrschen die Fachleute tausendmal besser als ich. Da konnte ich sehr viel von ihnen lernen. Zudem: Jede und jeder hat seine Schwächen, Fehler können passieren. Ich bin da überhaupt nicht nachtragend.

«Es gibt leider noch zu wenig Fachfrauen in technischen Berufen.»

Regula Rytz, Tiefbaudirektorin Stadt Bern

Sie sind Noch-Chefin in einer Männerdomäne und neu hat sich Bern eine Frauenquote für die Kaderpositionen in der Verwaltung verordnet. Wie haben Sie als Gemeinderätin Frauen gefördert?

Ich hatte die Möglichkeit, mein Generalsekretariat neu zu bestimmen und für mich war von Anfang an klar, dass ich einen Mann und eine Frau einstelle. Auch für andere Stellen beispielsweise in der Verkehrsplanung haben wir jeweils die Expertinnendatenbanken des «Vereins Feministische Wissenschaft» oder der «Fachfrauen Umwelt» einbezogen. Wo wir konnten, haben wir es versucht. Aber es gibt leider noch zu wenig Fachfrauen in den technischen Berufen.

Hinter Ihnen liegt ein arbeitsreiches Jahr, Sie waren gleichzeitig im Gemeinderat und im Nationalrat. Was dürfen wir von Ihnen im nächsten Jahr erwarten?

Ich konzentriere mich voll und ganz auf die nationale Politik und wechsle in die Verkehrskommission, in der vorher Franziska Teuscher war. Ich kann die Verkehrspolitik, die ich als Gemeinderätin von der Pike auf gelernt habe, auf Bundesebene prägen. Beim Ausbau des ÖV, beim Weiterführen des Infrastrukturfonds, bei der Energiewende und bei der Abschaltung von Mühleberg werde ich im Bundeshaus mein Bestes geben.

Also werden wir Sie noch ab und zu mit einem Bauhelm sehen?

Ja durchaus, auch wenn es in den neuen Dossiers weniger praxisnah zu geht. Oftmals tendiert die Politik dazu, abzuheben. Aber ich hoffe, ich werde etwas Baustaub ins Bundeshaus bringen, damit die Debatten mehr auf dem Boden bleiben.