Der linke Kosmos beginnt zu bröckeln

von Fredi Lerch 20. Juni 2017

Rotes Bümpliz (2) / 1920 wird der sozialdemokratische Kosmos von Bümpliz gespalten durch die Frage: Reform oder Revolution? Mit der Hochkonjunktur nach dem 2. Weltkrieg beginnt die SP Bümpliz langsam zu verkleinbürgerlichen.

Dass das rote Bümpliz am linken Flügel der schweizerischen Sozialdemokratie (SPS) steht, zeigt im Winter 1920/21 die Debatte um den Beitritt der SPS zur kommunistischen Dritten Internationalen: Will sich die SP von nun an «kommunistische Partei» nennen und mit den «Reformisten» brechen oder schwenkt sie selber auf den Weg der Reformen ein?

Erste Spaltung

Sowohl der Parteitag vom 11. Dezember 1920, als auch die Urabstimmung vom Januar 1921 ergeben deutliche Mehrheiten für den reformistischen Weg. Die SP-Sektion Bümpliz allerdings stimmt mit über 70 Prozent für den Beitritt zur Dritten Internationalen. Und als bekannt wird, dass die SPS-Parteibasis in der Urabstimmung anders entschieden hat, treten in Bümpliz 44 «Neukommunisten» aus der SP aus und schliessen sich der eben gegründeten Kommunistischen Partei der Schweiz an.

Einer von diesen 44 heisst Henri Tschäppät, der Vater des späteren Berner SP-Stadtpräsidenten Reynold Tschäppät und der Grossvater des noch späteren Berner SP-Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät. Er kommt Anfang 1918 aus dem Berner Jura nach Bümpliz, arbeitet auf dem Bahnhof Bümpliz Süd, ist im November 1918 ein Aktivist des Landestreiks, wird deswegen entlassen und findet eine neue Stelle beim Statistischen Bureau der sozialdemokratisch regierten Stadt Bern. Anfang 1919 wird er in den Vorstand der SP Bümpliz gewählt, die damals 450 Mitglieder zählt. Seinen Eintritt in die KPS im Frühling 1921 erkennt er bald als politische Sackgasse. Zwar gewinnen die Kommunisten in Zürich, Basel und Schaffhausen eine gewisse Stärke, aber nachdem sie 1922 im Kanton Bern bei den Nationalratswahlen bloss 0,3 Prozent der Stimmen gewinnen, kehrt Henri Tschäppät in die SP Bümpliz zurück.

Kalter Krieg und Antikommunismus

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wird die KPS verboten, 1944 als Partei der Arbeit (PdA) neu gegründet. In den ersten Nationalratswahlen nach dem Krieg kommt die PdA gleich auf 5,1 Prozent der Stimmen und gewinnt 7 Nationalratsmandate. Bern inklusive rotes Bümpliz bleibt aber ein hartes Pflaster für die Kommunisten: In den Stadtratswahlen von 1955 gewinnen die Sozialdemokraten 37 der 80 Sitze, die PdA keinen einzigen.

Damals wächst in Bümpliz der Schriftsteller Alex Gfeller (* 1947) auf. Er ist neun Jahre alt, als sich im November 1956, wie er schreibt, «alle Nachbarn plötzlich Ungarn-Fähnchen ans Revers klebten und Leute wegziehen mussten, weil sie ihre Arbeit verloren hatten». Der Ungarnaufstand und dessen Niederschlagung durch die sowjetische Armee führt in der schweizerischen Öffentlichkeit unter dem Motto «Niemals vergessen!» zu massenhysterischen Formen der antikommunistischen Geistigen Landesverteidigung. Die PdA-Mitglieder kommen als «Stalinisten» unter massiven Rechtfertigungsdruck. Es kommt zu pogromartigen Attacken gegen PdA-Mitglieder. Landauf landab kommt es zu Entlassungen von «moskautreuen Landesverrätern». Bürgerliche Presse und Staatschutz orchestrieren die Kampagne. Wer sich weiterhin zur PdA bekennt, riskiert seine soziale Existenz.

Noch als Gfeller 1976 im Lenos-Verlag unter dem Titel «November 1956» über diese Ereignisse ein Buch veröffentlicht, tut er das unter dem Pseudonym Anton Tanner. Das Thema habe ihn interessiert, sagt er, weil diese Ereignisse historisch gesehen die letzten politischen Verfolgungen in der Schweiz waren. Die polemische Chronik der Ereignisse geht davon aus, dass es damals nicht in erster Linie um Ungarn, sondern darum gegangen sei, «diese Partei ein für allemal kaputt» zu machen. Wobei dieser Zerstörungskampf nicht nur von der «Bourgeoisie», sondern – um das PdA-Elektorat zu beerben – auch von Sozialdemokraten und Gewerkschaften geführt worden sei. Auf die Frage, warum er dieses Buch noch 1976 unter Pseudonym habe veröffentlichen müssen, sagt Gfeller heute: «Wenn ich das Buch unter meinem Namen herausgegeben hätte, wäre ich meine Stelle [als Lehrer, fl.] auf der Stelle los gewesen, und ich hätte nie mehr eine andere gefunden.»

Zweite Spaltung

Seit 1956 meint der Begriff «rotes Bümpliz» demnach ausschliesslich das sozialdemokratische Bümpliz, das sich jetzt unter dem Einfluss von Hochkonjunktur und Wohlfahrtsstaat schnell verändert. Die Hochhausquartiere Tscharnergut, Gäbelbach, Bethlehemacker und Holenacker bringen günstigen und familienfreundlichen Wohnraum, der Verdienst wird besser, Industriearbeit wird langsam durch Dienstleistungsarbeit ersetzt, die Bümplizer Arbeiterkultur verkleinbürgerlicht, der sozialdemokratische Kosmos beginnt zu bröckeln.

Im Rückblick beschreibt Peter Anliker die kulturellen Veränderungen so: «Internationale und nationale Dachorganisationen der Arbeitersport- und -kulturorganisationen haben sich ebenso aufgelöst wie einzelne Vereine. Andere mussten fusionieren, viele haben den Namen gewechselt, den ‘Arbeiter-’ aus der Bezeichnung verbannt.» (Journal B, 19.5.2016) Die Arbeiterbibliothek zum Beispiel wird 1983 zur Dorfbibliothek. Und die Bümplizer Chilbi, die zum ersten Mal 1948 von den angeschlossenen Vereinen des Arbeiterkartells Bümpliz durchgeführt wird, organisiert seit 2000 der politisch neutrale «Bümplizer Chilbi-Verein».

Nach 1968 kommt es allerdings noch einmal zu einem linken Aufbruch: 1973 spaltet sich von der SP Bümpliz die Sektion SP Bethlehem ab, gegründet von «vielen durch 1968 politisierten jungen Leuten», schreibt Anliker. «Es waren Leute mit guter Bildung, die sich auf dem viel zitierten ‘Marsch durch die Institutionen’ befanden.» Aber die Sektion kommt bald ins Schlingern: Es herrscht hohe Fluktuation, Mitglieder wechseln in neulinke und grüne Gruppierungen und weil die Sektion 1987 für das Hüttendorf Zaffaraya Stellung nimmt, kommt es am rechten Rand zu Austritten. Kurzum: 1999 fusionieren die beiden SP-Sektionen im Westen Berns zur heutigen SP Bern Bümpliz Bethlehem.