Der Kulturermöglicher (2)

von Christoph Reichenau 24. November 2016

Bald zwölf Jahre ist Alexander Tschäppät Stadtpräsident und damit oberster Kulturförderer von Bern. Er sagt: «’Kulturaffin’ bedeutet für mich nicht, an Premièren und Vernissagen herumstehen.» – Ein Gespräch zum Abschied.

Gab es in den zwölf Jahren als «höchster Kulturförderer der Stadt Bern» auch Fehleinschätzungen, Enttäuschungen, Misslungenes?

Beim Stadtkino habe ich mich getäuscht. Für mich war 2010/2011 seine Zeit abgelaufen. Die Leute haben mich eines Besseren belehrt. Am neuen Ort und mit neuem Namen strahlt das Kino Rex hell. Das freut mich.

Getäuscht habe ich mich auch beim Kornhausforum, das trotz Subventionskürzung – ich habe sie 2007 ganz streichen wollen – ein gutes Ausstellungsprogramm hat, der Fotografie Bedeutung gibt und an Podiumsgesprächen wichtige Themen für Stadt und Region aufnimmt.

Eine verpasste Chance finde ich nach wie vor, dass die Dampfzentrale und das Schlachthaus Theater nicht zusammenspannen. Mit den zusätzlichen 200‘000 Franken pro Jahr machen sie gute Projekte, aber ich habe mir mehr vorgestellt. Zuviel Wohlstand behindert manchmal den Spirit of innovation. Wäre das Geld knapp, gäbe es mehr Druck und vielleicht Bereitschaft, auch Strukturen zu ändern.

«Wir müssten den Mut haben, ab und zu auf etwas zu verzichten, um anderes umso besser zu machen.»

Alexander Tschäppät

Grundsätzlich finde ich, wir müssten den Mut haben, ab und zu auf etwas zu verzichten, um anderes umso besser zu machen, nicht stets in die Breite bauen. Doch das ist schwer zu machen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse es nicht erzwingen. Das Besitzstandsdenken ist halt allgegenwärtig.

Eines macht die Stadt nicht gut: Wir stecken unser Kulturgeld fast ganz in Ausbildungen, Infrastrukturen, Projektunterstützung, soziale Sicherheit usw. Doch wir kaufen fast keine Werke mehr an. Dabei liegt hier die eigentliche Wertschätzung der Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern, von der sie leben können möchten. Das wäre wichtig auch für Galeristinnen und Galeristen, die die Künstlerinnen und Künstler oft früh entdecken und präsentieren.

Gibt es etwas, das Du rückgängig machen möchtest, wenn Du könntest?

Eigentlich nicht. Eher an Einzelnem weiterarbeiten. Das Zentrum Paul Klee etwa hat den Zentrumsgedanken – die Pflege auch von Musik, Theater, Tanz, Literatur – erst in Ansätzen entwickelt. Es ist trotz der Museumsstrasse noch kein Ort, wo man sich auch ausserhalb eines Kulturereignisses trifft. Daran muss man weiterarbeiten.

Hast Du persönliche Beziehungen zu Kulturschaffenden? Wie wichtig sind diese für Deine Einschätzung der Kultur und der Kulturförderung?

Im verstorbenen Fotografen Balthasar Burkhard hatte ich einen Freund. Mit Markus Rätz, Vaclav Pozarek, Franticek Klossner, Gerhard J. Lischka und dem Team der ehemaligen Berner Tanztage war und bin ich verbunden. Das hat mehr allgemeine als kulturelle Gründe – wir leben in der Stadt. Es hilft mir, die Lage der Kulturschaffenden besser zu verstehen. Und dank ihnen besuche ich öfter eine Ausstellung.

Vor Mario Venzago waren die Chefdirigenten des Symphonieorchesters nicht nahbar; sie wohnten hier im Hotel, waren meistens weg. Eine gewisse Präsenz in der Stadt darf man bei der Höhe ihrer Löhne für eine Teilbeschäftigung erwarten. Sie sollen spüren, wie die Bernerinnen und Berner ticken, was sie beschäftigt. Das dient auch der Verankerung des Orchesters.

Wie gehst Du mit dem Vorwurf um, Du hättest Dich in drei Amtszeiten nicht genug um die Kultur gekümmert, seist nicht «kulturaffin»?

«Nähe zur Kultur besteht im Verständnis für die Arbeitsbedingungen jener, die Kultur schaffen.»

Alexander Tschäppät

Ach. Was ist in dieser Zeit entstanden? Das Zentrum Paul Klee nahm Fahrt auf. Der PROGR entstand als Provisorium mit Verlängerung. Das kleine aber sehr feine Robert Walser-Zentrum kam nach Bern. Stadttheater und Symphonieorchester wurden dank einem Impuls der Stadt zusammengelegt. Der Anteil für die Unterstützung freier Projekte am Kulturkredit wurde auf 15 Prozent erhöht, der Kredit insgesamt deutlich grösser. Und in zahlreichen städtischen Sparpaketen musste die Kultur nie substantiell Federn lassen. Ist das nichts?

«Kulturaffin» bedeutet für mich nicht, an Premièren und Vernissagen herumstehen. Nähe zur Kultur besteht im Verständnis für die Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden in allen Sparten und Bereichen, der Profis und der Amateure. Kulturaffinität zeigt sich am Einsatz, die Bedingungen zu verbessern. Zur Kultur in ihrer Vielfalt gehört auch die Reitschule mit einzigartigen Programmen im Dachstock, im Tojo Theater, im Kino; ebenso die Grosse Halle mit Konzerten und Ausstellungen. Auch für sie habe ich mich weiss Gott eingesetzt.

Was sagst Du denen, die finden, Du habest die Kulturpolitik – zu – spät entdeckt, aber mit der Kulturstrategie jetzt respektabel gestaltet?

Ich war lange skeptisch gegenüber einer Kulturstrategie. Ich stellte mir diese als x-te Kopie bestehender Papiere vor. Aber dann überzeugten mich die Breite und Tiefe des von Franziska Burkhardt geplanten Vorgehrens und die Vielzahl und Unterschiedlichkeit der einbezogenen Personen davon, dass etwas Besonderes entstand. Das begann mit einem sehr offenen Kulturbegriff, das setzte sich fort im partizipativen Prozess. Daran wirkten Viele mit, die Kultur mitgestalten, aber von Förderung nicht selber profitieren, zum Beispiel Buchhändler, Galeristinnen, Lehrpersonen, Laien. Mehr geben als nehmen ist typisch für Bern, nicht nur im Kulturbereich.

«Ich war nicht ‘Vater’ der Idee, aber heute stehe ich voll hinter der Kulturstrategie.»

Alexander Tschäppät

Ich war also nicht der «Vater» der Idee. Heute stehe ich voll hinter dem Erarbeiteten. Die 49 Massnahmen, die der Gemeinderat für die Jahre 2017 bis 2020 bestimmten Stellen der Verwaltung in Auftrag gegeben, terminiert und finanziell dotiert hat, sind ein Wagnis: Man kann anhand des Berichts messen, ob sie umgesetzt wurden. Das ist sehr wichtig. Es geht nicht um schöne Worte, sondern um Taten.

Was ist für Dich das Wichtigste an der neuen Strategie?

Die Breite des Kulturverständnisses, die Deutlichkeit der Aussagen, die umfassende Mitverantwortung der Stadtverwaltung, die Messbarkeit der Ergebnisse.

Die Stadt Bern ist nicht ganz frei in der Kulturförderung. Der Kanton bestimmt einiges, auch die Regionalkonferenz Bern-Mittelland, und die Burgergemeinde ist eine wichtige Partnerin. Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit?

Gut. Das hängt von den Menschen ab. Strukturen sollten unabhängig von Personen funktionieren, aber letztlich kommt es auf die Amtsinhaber an. Wir reden hier von der Hochkultur, von der traditionellen Kultur, die ist ziemlich unbestritten. Wenn es um das Nachtleben oder um die alternative Kultur der Reitschule geht, bestehen zum Teil grosse Widerstände, auch wenn die Stadt in beiden Bereichen gerade für die Agglomerationsgemeinden Aufgaben löst.

Ist nach dem Debakel im Stadttheater – kostspielige Freistellung der Schauspieldirektorin, verweigerte Transparenz – eine Änderung in der Aufsicht vorgesehen?

KonzertTheaterBern ist eine von der Stadt, der Regionalkonferenz und dem Kanton gegründete Stiftung. Wir bestimmen ihre Aufgaben, setzen die Eckwerte und ernennen den Stiftungsrat. Weitergehend mischen wir uns nicht ein. Aus dieser klaren Haltung der Stifter und Subventionsgeber darf KTB aber nicht ableiten, es könne machen, was es wolle.

«Das Bewusstsein von KTB muss sein: Wir sind Teil der Öffentlichkeit und schulden ihr Rechenschaft.»

Alexander Tschäppät

Ein zu 85 Prozent subventionierter Betrieb gehört der Bevölkerung. Da braucht es volle Transparenz, gerade bei Problemen und Konflikten, bei den Löhnen usw. Das Bewusstsein der Leitungsgremien, hier des Stiftungsrats und der Geschäftsleitung, muss sein: Wir sind Teil der Öffentlichkeit und schulden ihr Rechenschaft. Das muss an sich selbstverständlich sein. Wenn es das aber nicht ist, müssen wir es einfordern. Bernhard Stirnemann, Leiter des Kellertheaters «Rampe», pflegte zu sagen: Unter jedem Theatersessel kleben 250 Franken – das verpflichtet.

Die Forderung nach Transparenz wird sich binnen kurzem durchsetzen, da bin ich sicher. Das ist eine Frage der Sensibilität, nicht so sehr des Rechts.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest, was würdest Du in kultureller Hinsicht wünschen?

Ich wünsche mir jede Woche ein klitzekleines Büchlein, wie für das Galerienwochenende oder die Museumsnacht. Darin wären Tag für Tag alle Kulturveranstaltungen verzeichnet. Das zeigt mir, was es gibt, regt mich an hinzugehen, und macht mich stolz auf das viele Gute, das Tag für Tag hier stattfindet.