Henry Moore war lange Zeit Englands erfolgreichster zeitgenössischer Künstler. Fast jede Stadt wollte eines seiner Werke haben. Sie sind abstrakt genug, um modern zu sein, und figurativ genug, um verstanden zu werden. Das Zentrum Paul Klee präsentiert Moore nun in einer Übersicht.
70 Arbeiten Arbeiten sind in der Schau versammelt. Neben wenigen grossen Plastiken vor allem kleinere Skulpturen und 42 Arbeiten auf Papier, die in der Schweiz bisher weniger bekannt sind. Dabei waren es Zeichnungen, die sogenannten «Shelter Drawings», mit denen Moore in England erste Erfolge errang. Er, der lange als Kunstlehrer gearbeitet hatte, zeichnete während des Zweiten Weltkriegs Menschen, die in der Londoner U-Bahn vor den deutschen Bombenangriffen Schutz suchten.
Der erste Eindruck
Grosszügig und hell wirkt der grosse Ausstellungssaal im Zentrum Paul Klee ZPK mit den Skulpturen von Henry Moore. Klar gesetzt, wenige Zwischenwände, die den Raum gliedern. Rasch erkennt man verschiedene Gruppierungen und hier den «war artist», was ich erhofft hatte. Henry Moore als Kriegs-Künstler. Hier endlich begegne ich seinen beeindruckenden Shelder-Zeichnungen, den Luftschutzzeichnungen.
Bei den Bombenabgriffen suchten die Menschen in Londons U-Bahn-Tunneln Schutz. Eng hintereinander sah Henry Moore die Verängstigten liegen. Körper an Körper in die Tiefe des dicht besetzten Tunnels. Parallele Striche, gleiche Bewegungen zeichnen eindrücklich das gemeinsame Leid. Menschen, die sich durch die Situation und das Erleben äusserlich und innerlich gleichen. Moore spürte ihre Anspannung und die ungewisse Bedrohung.
Aufwühlende Werke
Aus seinen Skizzen und Tagebucheintragungen entwickelte der Künstler mit Graphit, Wachs, Gouache- und Aquarellfarbe aufwühlende Zeichnungen (1941), die jetzt im ZPK zu sehen sind. Bevölkerung und Einzelfiguren als Opfer des Kriegs. Als Freiwilliger war Henry Moore im Ersten Weltkrieg, wurde verletzt und setzte sich ab diesem Zeitpunkt für friedliche Lösungen ein.
Die Beschäftigung mit dem Krieg lässt ihn dennoch nicht los. 1953/54 erarbeitet er den «Krieger» als Skulptur aus Bronze in natürlicher Grösse. Ohne Waffe nur noch mit einem Arm und einem Bein versucht dieser sich mit einem fast lächerlichen Schild zu schützen.
In diese Serie direkter Auseinandersetzung mit dem Krieg, der Gewalt, gehört auch das Motiv des Helms. Den Künstler interessierte die Doppelfunktion «Schutz» (die runde Schale, in die eingebettet ein Kopf Platz findet) und «Aggression» (kriegerische Moment, das vom Helm ausgeht).
Erinnerungen an das Grauen
Der Auftrag der University of Chicago,1964 bis 1966, eine Skulptur zum Gedenken an die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion zu schaffen, bringt diese Doppelfunktion erschreckend klar zum Ausdruck. Henry Moore entwickelte eine Verbindung zwischen dem formal vollkommenen Atompilz und einem Helm, der Bedrohlichkeit ausstrahlt und die Andeutung eines Totenschädels enthält. Die Skulptur erinnert an das Grauen des Abwurfs der Atombomben über Japan.
Neben Henry Moore gibt es weitere Künstler, die Kriegserlebnisse in ihren Arbeiten aufgenommen haben. Hier einige Erinnerungen an Begegnungen mit Kriegskunst.
Otto Dix: Schonungslose Bilder
Den beängstigenden Werken von Otto Dix (1891-1968) hat das Albertinum in Dresden im letzten Jahr eine aussergewöhnliche Ausstellung gewidmet. Der Maler hat in seinen expressiven, emotionalen Kriegszeichnungen und -bildern Tod und Verderben festgehalten. Gerippe, die noch Helm und Gasmaske tragen, Tote, denen das Grauen im Gesicht steht. Schonungslos hat er in kantigen und klaren Strichen sein Erleben aufgezeichnet. Hundert Jahre später noch machen sie uns Betrachter betroffen und wühlen uns auf.
«Der Krieg», eines seiner Hauptwerke, ist ein Triptichon (Altartafeln) und entstand zwischen 1928 und 1932, als Otto Dix Professor an der Kunstakademie in Dresden war. 1933 kamen die Nazis an die Macht und verjagten Dix. Seine Bilder wurden in die Ausstellung «Entartete Kunst» überführt. «Der Krieg» überlebte den zweiten Weltkrieg in einem Versteck im Erzgebirge.
Das Bild wurde in der Vorbereitung der Ausstellung in Dresden eingehend untersucht. Erstaunliches wurde dank der Röntgenstrahlen entdeckt: Otto Dix hat das Bild unendlich oft übermalt. So war eine frühere Fassung viel deutlicher in ihrer Aussage. Das Sockelbild zeigte ursprünglich drei Schlafende. Seitwärts von ihnen lagen Gebeine älterer Toter, über ihnen, wegen der Ratten, aufgehängt der Brotbeutel. Hier die Lebenden, da die Toten.
In seiner letzten Fassung liegen nur drei Schlafende – oder Tote? – im untersten Bild. Darüber auf dem linken Altarflügel gehen die Soldaten im Morgengrauen nach hinten – an die Front? Auf der rechten Seite kommen sie zurück mit verletzten und toten Kameraden. Die Haupttafel zeigt, wo früher noch eine Brücke und ein Ausblick ins Tal war, nur noch Verwüstung. Der Maler hat sich hier auch mit der christlichen Ikonographie auseinandergesetzt. Wir treffen nicht mehr auf Tod und Auferstehung, sondern Tod folgt auf Tod.
Otto Dix hatte sich als Freiwilliger zum Krieg gemeldet. Er war drei Jahre an der Front und zeichnete vor Ort.
Alfred Hrdlicka: Der Antifaschist
Der Bildhauer Alfred Hrdlicka (Wien, 1928 bis 2009) trat sein Leben lang vehement gegen Faschismus und Antisemitismus ein. Ständig suchte er nach der Wahrheit. Im grafischen Zyklus «Wie ein Totentanz» (1974) analysiert er die Ereignisse des 20. Juli 1944, die Verschwörung der Offiziere gegen Adolf Hitler.
Ich erinnere mich an die Ausstellung 1976 im Kunstkeller Bern, da war der ganze Zyklus zu sehen. Hrdlicka holte weit aus. Ihn beschäftigte das Wesen und die Folgen der Gewalt. Wie konnte es dazu kommen?
«In 53 Stationen folgt er dem Ablauf eines weltgeschichtlichen Dramas, das sich allmählich und doch konsequent und nicht unbemerkt vorbereitet, über Prolog, Vorzeichen, Vorspiel und Exposition. Über die Akte Weimar und Potsdam (Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, suspendierte wichtige Grundrechte der Weimarer Verfassung) bis hin zu Katharsis und Katastrophe des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler 1944 und schliesslich zum Epilog in Chile, dreissig Jahre danach (Militärputsch und Diktatur von Pinochet) und wir wissen, dass damit alles noch lang nicht zu Ende ist. Das Stück geht weiter.“ (Wieland Schmied im Ausstellungskatalog der Nationalgalerie Berlin 1975).
Und erschreckend recht hat er. Die Betrachter in Bern blieben Stunden in der anspruchsvollen Ausstellung und vertieften sich in die ergreifenden Radierungen und Texte oder sie warfen einen Blick auf die Bilder und eilten fluchtartig davon.
Andrej Sibirski: Der Auftragsmaler
Die Auseinandersetzung mit dem Krieg geht für den Künstler vom eigenen Erleben und Denken aus. Andrej Sibirski (geboren 1962) war und ist im Auftrag des Staats an der Front, um den Krieg in Bildern und Zeichnungen festzuhalten. Die Aufgabe der Kriegsmaler war es, den Krieg zu verherrlichen, die Soldaten ideologisch zu motivieren und die Kampfmoral zu unterstützen.
«Ein Kriegskünstler arbeitet ähnlich wie ein Kriegsfotograf, mit dem grossen Unterschied, dass er das Kriegsgeschehen nicht objektiv wiederzugeben hat», schrieb die Journalistin Stephanie Prochownach 2004, als sie bei einer Nachrichtenagentur in Moskau tätig war.
Sie zeigt dazu ein Bild von Andrej Sibirski. Ein Panzer prescht am Flussufer entlang. Auf dem Raupenfahrzeug sitzt eine Gruppe Soldaten mit Sonnenbrillen, in den Händen die Kalaschnikows, über ihnen die russische Flagge. Aus dem Hintergrund schießen Hubschrauber auf die Bildmitte zu. Eine Szenerie, die aus einem Computerspiel oder einem Kriegsfilm stammen könnte. Das Medium hier aber ist nicht digitale Bildbearbeitung, sondern Ölmalerei.
Die Thematik des Gemäldes war auch 2004 hoch aktuell: der Tschetschenienkrieg dargestellt aus dem offiziellen Blickwinkel, angefertigt von Andrej Sibirski im Auftrag des russischen Verteidigungsministerium. Er ist Mitglied des Studio Grekow. In dieser Abteilung im Propaganda-Bereich des Verteidigungsministeriums arbeiten noch über zwanzig Künstler im Auftrag des Ministeriums an verschiedenen Fronten.
Andrej Sibirski zeichnete und malte bis 2004 in Tschetschenien, Dagestan, Tadschikistan und in Bosnien. Ihn fasziniert am Krieg, wie Menschen unter extremsten Bedingungen leben und überleben. «Im Krieg existieren die niedrigsten Gemeinheiten und die höchsten Beispiele für Männlichkeit und Heldentum», sagt der Maler. Diese letzteren darzustellen, hat er sich zur Aufgabe gemacht. Auf den Bildern gibt es keine Gegner, nur russische Krieger. «Jedes Land braucht seine Helden. Sie geben ein positives Beispiel für Tapferkeit, Kameradschaft und Nächstenliebe», sagt Andrej Sibirski.
Kriegsmalerei als Auftragsmalerei wird in Russland längst auch mit Foto, Video und Film ergänzt.
James Nachtwey: Nah am Geschehen
James Nachtwey (geboren 1948) arbeitet als freier Kriegsfotograf. Ich erinnere mich an den Film von Christian Frei über Nachtwey.
James Nachtwey ist es wichtig, möglichst dicht am Objekt zu sein. Er war und ist in unzähligen kriegerischen Konflikten zugegen. Mitten im Kriegsgeschehen, selbst an vorderster Front. Dort entstehen andere Bilder, als jene Reportagen, die wir als Dutzendware oft in den Zeitungen zwar süchtig betrachten, aber notlos umblättern.
«Jede Minute an diesem Ort denke ich an Flucht. Ich will das nicht mit ansehen. Soll ich weglaufen oder soll ich mich der Verantwortung stellen, mit meiner Kamera alles festzuhalten?», so James Nachtway.
Er weiss aber: «Was ich festhalte wird Teil des ewigen Archivs unseres kollektiven Gedächtnisses sein. Und ich weiss, dass Fotos Verantwortliche zum Handeln zwingen können. Ohne die Bilder von Bürgerkrieg und Hunger in Somalia wäre niemand dort eingeschritten. Ohne die Fotos aus Bosnien wäre der Krieg vielleicht noch immer nicht beendet.» Hier entstehen Bilder, die erschrecken, aufrütteln und schmerzen.