Der Konkurrenzgedanke ist uns fremd

von Christof Berger 20. September 2016

Im «Effinger» gibt es nicht nur eine Kaffeebar, sondern auch den ersten Coworking Space im Stadtteil III.

Im Frühjahr 2016 startete eine gut besuchte Kaffeebar an der Effingerstrasse 10, in den Lokalitäten der ehemaligen Interdiscount-Filiale: Im «Effinger» geht es allerdings nicht nur um Freizeit, sondern hier sollen auch innovative Arbeitsformen erprobt werden, mit dem ersten Coworking Space des Stadtteils III. Die Initiantinnen und Initianten verstehen sich als eine innovative, kreative Community. Und der «Effinger – Kaffeebar und Coworking Space» soll Heimat sein «für Jungunternehmer, Kreative und andere Weltveränderer, die einander helfen, ihre Ideen in Firmen, Innovationen und soziale Aktionen umzusetzen.»

Kreative und andere Weltveränderer

Coworking ist eine noch relativ junge Arbeitsform. Selbstständig Erwerbende, Kreative aber auch kleine Startups arbeiten am selben Ort, um ihre Ideen zu verwirklichen. Coworking Spaces stellen dafür Arbeitsplätze und Infrastruktur (z.B. Internet, Drucker, Scanner, Telefon, Beamer, Besprechungsräume) zeitlich befristet zur Verfügung. Die Arbeitsplätze können flexibel auf Tages-, Wochen- oder Monatsbasis gemietet werden. Das Arbeiten am selben Ort ermöglichen dabei die Bildung einer Gemeinschaft («Community»). Diese kann sich durch Erfahrungsaustausch, aber auch mit gemeinsamen Veranstaltungen, Workshops und weiteren Aktivitäten stärken und weiterbilden. Dabei bleibt die Nutzung jedoch stets unverbindlich und zeitlich flexibel. Das unterscheidet das Coworking von anderen Arbeitsformen wie Kooperativen oder Bürogemeinschaften.

Raum für workshops

Im «Effinger» befinden sich die Coworking Spaces in den hinteren Räumen des Lokals. Neben einem Raum mit Bildschirmarbeitsplätzen gibt es auch ein Atelier für Kunst und Handwerk sowie einen Sitzungs- und Workshopraum für die Unternehmen im Coworking Space oder für externe Gäste. Der Raum bietet 360 Grad beschreibbare, magnetische Wände sowie einen grossen Screen. Hier sollen «neue Ideen geboren, Bestehendes hinterfragt und ohne Grenzen ‹gebrainstormed› werden», wie die «Effinger»-Betreiber auf ihrer Website schreiben. Im Oktober wird die Fläche fast verdoppelt, indem der erste Stock dazugemietet wird. So gibt es Platz für weitere Coworking-Arbeitsplätze und neu auch einen Raum für grössere Sitzungen oder kreative Workshops mit viel Legos (Lego Serious Play) und Design Thinking Material (zum Basteln von Prototypen).

„Gemeinsamständigkeit”

Claudia Schären und Marco Jakob, zwei Gründungsmitglieder des Projekts, erzählten Journal B stellvertretend für die Effinger-Community, was Coworking ist und wie sich der Effinger entwickelte:

«Die meisten, die hier arbeiten, kommen nicht nur wegen des Arbeitsplatzes. Einen Ort um zu arbeiten haben sie in der Regel auch anderswo. Sie kommen wegen der Gemeinschaft, der «Community», wegen der guten Atmosphäre, weil man sich hier gegenseitig austauschen kann und Unterstützung findet. In was genau der Aspekt der Unterstützung besteht, ist für jede Person anders. Auch wenn das nicht explizit ausgesprochen wird: Es ist ein «sich gegenseitig Motivieren». Wir brauchen dafür die Wortschöpfung «Gemeinsamständigkeit» (Weiterentwicklung von «Selbständigkeit»). Um 10 Uhr vormittags ist jeweils die gemeinsame «Stammtischpause», die Gelegenheit für Austausch bietet. Beispielsweise diskutieren wir untereinander Offerten, fragen einander: «Was meinst du, ist dieser Preis angemessen?» Gerade bei der Preisgestaltung herrscht viel Unsicherheit unter Selbständigen.

Breites Spektrum

Grafiker und Softwarespezialisten sind die klassischen Berufsfelder von Leuten, die in Coworking-Spaces anzutreffen sind. Bei uns geht das Spektrum aber viel weiter. Neben vielen Kreativberufen (z.B. Fotographie, Journalismus, PR, Kommunikation, Text, Film, Webdesign, Design und Musik) sind bei uns auch Leute aus Berufen wie Beratung, Coaching, Psychiatrie, Schreinerei, Zimmerei, Architektur, Upcycling, Bildung, Politik, Archäologie, Buchhaltung, Bürodienstleistungen, Raumplanung, Hotellerie, Gastro usw. anzutreffen. Viele, die zu uns arbeiten kommen, stehen bereits länger im Berufsleben. Es würde uns aber freuen, wenn mehr Startups (Neugründungen) zu uns kämen. Wir haben mit unserer Struktur da wirklich etwas zu bieten.

Effianer

Bei uns gibt es keine Chefs. Oder wir sind alle zusammen Chefs. Wichtige Entscheidungen treffen wir gemeinsam. Kleine Veränderungen an den Arbeitsplätzen werden aber nur mit den unmittelbaren Platznachbarn abgesprochen und dann in unserem Community-Blog kommuniziert. So verzetteln wir uns nicht mit langwierigen Entscheidprozessen. Schliesslich geht es allen darum, effizient arbeiten zu können. Es gibt natürlich schon so etwas wie eine natürliche Hierarchie. Die Gründungsmitglieder und Eingefleischten, wir nennen sie «Effianer», können schon einen etwas stärkeren Einfluss geltend machen. Aber das wird nicht empfunden und hat sich natürlich so ergeben.

Im Effinger haben wir nicht bei null angefangen. Wir waren bereits vorher eine relativ grosse Community, haben uns anfänglich in Cafés getroffen, zusammen gearbeitet und nach Möglichkeiten gesucht, wie wir uns gegenseitig unterstützen könnten. Rund ein Dutzend Personen verpflichtete sich, gemeinsam am Karren zu ziehen. Dabei wurden wir von weiteren 50 bis 100 Leuten arbeitsmässig unterstützt und zahlreiche weitere Personen halfen bei der Finanzierung mit.

Ausbau

Infrastruktur braucht es wenig. Eine Internetverbindung ist natürlich unabdingbar, und selbstverständlich genug Raum zum Arbeiten. Bereits seit der Eröffnung betreiben wir einen Atelierraum, geeignet für künstlerische und handwerkliche Tätigkeiten. Im Oktober werden wir unsere Fläche fast verdoppeln und den ersten Stock dazu mieten. Dort werden wir Platz haben für grössere Sitzungen oder Veranstaltungen sowie weitere Coworking-Arbeitsplätze.

Die Effinger-Community ist als Verein nicht kommerziell. Unsere Coworking-Preise sollen die Kosten decken, mehr nicht. Ein Tagespass kostet 30 Franken. Wir alle wollen von unserer Arbeit leben können, aber das Geld soll der Sache dienen und nicht wir dem Geld. Manchmal verbringen wir auch Freizeit zusammen. Das Leben besteht ja nicht nur aus dem Geschäft.

Nicht ohne Kaffeebar

Unser erstes erfolgreiche Startup-Unternehmen ist natürlich die «Effinger Kaffeebar GmbH» von Domenica Winkler und Salome Hostettler. Sie ist innerhalb der Effinger Community aufgebaut worden. Wir können uns den Coworking Space nicht mehr ohne die Kaffeebar vorstellen. Sie dient uns als Treffpunkt und macht uns im Quartier sichtbar. Von morgens 7 Uhr bis fast Mitternacht ist immer jemand da. Sie ist teilweise fast unser Empfangsdesk und den Barbetreibenden nützt es, dass die Coworker gute Kunden der Kaffeebar sind. Die Bar hat sicher auch dazu beigetragen, dass wir so herzlich im Quartier aufgenommen wurden, wofür wir sehr dankbar sind. Wer interessiert ist, soll doch gerne mal seinen Arbeitsplatz einen Tag lang zu uns verlegen und die Atmosphäre hier ausprobieren.»