«Ich, ein Rassist? Niemals!» Kaum jemand würde den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit nicht entschieden von sich weisen. Rassismus war einmal, möchte man sagen, zu Zeiten der Apartheid in Südafrika zum Beispiel. Doch Rassismus heute bei uns? Vorbei sind doch die Zeiten, als Neonazis auf dem Rütli die 1.-August-Reden der Bundesräte medienwirksam niederbuhen konnten.
«Dir chöit de aber guet Dütsch»
Dass der Rassismus keineswegs nur in Springerstiefeln steckt, thematisiert die diesjährige Aktionswoche der Stadt Bern gegen Rassismus vom 21. bis zum 27. März. Nachdem vergangenes Jahr die Opfer im Zentrum standen, wird dieses Jahr auf die Täterrolle fokussiert. Von den über die ganze Stadt verteilten Plakaten prangen Jedermanns-Gesichter mit zornigem Blick und dunkel unterlaufenen Augen. «Die Fremdenfeindlichkeit schlummert in uns allen», kommentiert Marianne Helfer, Projektleiterin der Aktionswoche vom Kompetenzzentrum Integration der Stadt Bern. Nur wer sich dessen bewusst sei, könne eine offenere Haltung entwickeln.
Im Alltag komme der Rassismus allerdings subtiler daher, sagt Helfer. Man denke etwa an den Lehrmeister, der die Lehrstellenbewerbung eines Jugendlichen mit fremdländischem Namen reflexartig auf den Absage-Stapel wirft. Oder die Seconda, die sich immer wieder anhören muss: «Dir chöit de aber guet Dütsch!», zwar gut gemeint, aber doch stigmatisierend. Selbstkritisch nimmt auch Helfer sich nicht davon aus. «Auch ich kategorisiere eine Frau mit Kopftuch und gebrochenem Deutsch unbewusst als Hausfrau und bin dann überrascht, wenn sie mir sagt, dass sie einen Uniabschluss hat.»
Rassismusvorfälle: Hohe Dunkelziffer
Dass der alltägliche Rassismus hartnäckig an den Menschen haftet, wie ein Kaugummi an der Schuhsohle, wird wissenschaftlich stets von neuem belegt. Eine aktuelle Nationalfondsstudie zeigt etwa, dass Einbürgerungsgesuche von Menschen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien an Gemeindeversammlungen rund zehn Mal häufiger abgelehnt werden als jene von solchen aus Italien und Deutschland.
Dann ist da der Bericht über Rassismusvorfälle in der schweizerischen Beratungspraxis 2011, der 156 Fälle rassistischer Diskriminierung ausgewertet hat und die meisten Fälle am Arbeitsplatz und auf dem Wohnungsmarkt verortet. Die beobachteten Fälle seien wohl «lediglich die Spitze des Eisbergs», so die Autoren, denn nach wie vor sei die Hemmschwelle für Betroffene zu gross, sich an beratende Institutionen zu wenden.
Schliesslich gibt auch das aktuelle Sorgenbarometer des Meinungsforschungsinstituts gfs.Bern keine Entwarnung – im Gegenteil. Die Umfrage hat zu Tage gefördert, dass die Furcht vor Ausländern zuletzt auch auf Linke und Mitte-Sympathisanten übergeschwappt ist. Die im November eingereichte Ecopop-Initiative zur Beschränkung der Einwanderung zum Schutze der Umwelt lässt grüssen.
Botschaft auf die Strassen tragen
Für Marianne Helfer ist klar, dass die Furcht vor Ausländerinnen und Ausländern mit einer verkürzten Wahrnehmung der Migration über die Asylschiene zu tun hat. Dabei gerate zu oft in Vergessenheit, dass der Grossteil der Migrantinnen und Migranten dank zugesicherter Arbeitsstellen in die Schweiz gelangt. Vor diesem Hintergrund sei die Hauptansprache zur Aktionswoche gegen Rassismus von Gemeinderätin Franziska Teuscher ein klares Signal an die Bevölkerung: «Die Stadt Bern nimmt eure Sorgen ernst, aber Rassismus wird hier nicht toleriert.»
Bleibt noch die Frage, wie diese Botschaft jene Menschen erreichen soll, die für gewöhnlich ihre Freizeit nicht an politischen Veranstaltungen verbringen. «Wir werden in der Öffentlichkeit mit Strassenaktionen präsent sein und die Passantinnen und Passanten konfrontieren», so Helfer. Geplant sind etwa Aktionen wie ein Antirassismometer, ein theatrales Radioballett durch die Stadt und Poetry-Slam-Sketche gegen Rassismus an Bushaltestellen, vor der Migros und im Tram. Wer sich also lieber nicht mit seinen Vorurteilen auseinandersetzen möchte, bleibt die Woche über besser zu Hause.