Der Held, den toxische Männlichkeit braucht

von Noah Pilloud 5. April 2023

Mithilfe des griechischen Mythos von Perseus begibt sich ein Theaterstück auf die Spuren toxischer Männlichkeiten. Als Vorbereitung dienten neben dem antiken Stoff auch zeitgenössische Zeitungsbeiträge.

Etwas unsicher, fast schon scheu, steht er da, nachdem er die Medusa im Schlaf geköpft hat. Perseus, abwechselnd portraitiert von drei Schauspieler*innen, ist im Stück «Perseus, der Mann» kein selbstsicherer, mutiger Held. Schon gar nicht zu Beginn des Stücks. Dass er seine Aufgabe mehr durch eine Hinterlist und ohne Gegenwehr löste, bringt ihn zum Zweifeln. Und doch, so versichert ihm der Chor, der mal mehr wie der Kanon der Männer, mal mehr wie die meinungsmachende Stimme des Volkes wirkt, macht ihn seine Tat zum Mann und zum Helden.

Vor dieser Ausgangslage schafft es das Stück, darzulegen, wie sich Männlichkeitsbilder im Wechselspiel zwischen Individuen und Gruppen verbreiten, verstärken und sich selbst erhalten. Zu Beginn dient Perseus vor allem als Projektionsfläche für diese Männlichkeit.

Der Perseus-Stoff ist ein Paradebeispiel dafür, wie Männlichkeit konstruiert wird.

Je mehr ihn die ihm so aufgedrängte Rolle einnimmt, je mehr wird er zum Beispiel und Vorbild für diese Männlichkeit. Einen grübelnden, unsicheren Perseus darf es nicht geben und so spricht der Chor: «Perseus, der Mann, der Held: Ist gut so! Stimmt!», denn «vom Hinterfragen hatte noch keiner was!»

Perseus, der unsympathische Antiheld

Anders als in ihrer Inszenierung des Medea-Stoffs wollte die Regisseurin Nora Steiner mit dem Stück keine Gegengeschichte erzählen oder eine marginalisierte Stimme sprechen lassen: «Medusa sagt in dem Stück kein einziges Wort.» Mit «Perseus, der Mann» soll vor allem das dominante Narrativ aufgezeigt und dekonstruiert werden, meint Steiner.

«Der Perseus-Stoff eignet sich dafür besonders gut, denn er ist ein Paradebeispiel dafür, wie Männlichkeit konstruiert wird: immer in Bezugnahme auf eine Frau», erläutert die Autorin des Stücks, Laura Higson. Entweder werde eine Frau dominiert oder gerettet und anschliessend geheiratet.

Neben dem Text überzeugt das Stück mit ihrer Choreographie. (Foto: Joel Franz)

Noch heute finde sich dieses Narrativ häufiger als gedacht, meint Higson. Sie hatte zur Vorbereitung auf das Verfassen des Stücks viele Zeitungsartikel und Meinungsbeiträge gelesen, die sich gegen die MeToo-Bewegung und den gegenwärtigen Feminismus wenden. «Dass das Stück diese Narrative aufgreift, kann beim Zuschauen schon weh tun», meint Laura Higson.

Perseus selbst kommt in der Inszenierung denn auch nicht gerade sympathisch rüber. Zwar ist er nicht der Macker, den die anderen in ihm sehen wollen – viel mehr ist er ein Antiheld – und sein Zaudern weckt vielleicht ein Fünkchen Sympathie. Doch lässt er sich letzten Endes zu stark auf die Erzählung von Heldentum, Mut und Männlichkeit ein, als dass er dem ein positiveres Beispiel entgegensetzen könnte.

Wer erzählt die Geschichte?

Etwas unerwartet erhält im Stück Kassandra einen Cameoauftritt. Dass die Trojanerin in dieser Erzählung eigentlich nichts zu suchen hat, erwähnt sie gleich selbst. Es sei ihr jedoch wichtig gewesen, Kassandra in ihrem Stück zu haben, sagt Nora Steiner: «Das Spannende an der Figur ist, dass sie alles sagen kann was sie will, wie ihr ohnehin niemand glaubt.» Eine Erfahrung, die sie mit vielen weiblich sozialisierten Menschen teile.

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Die Freiheit, alles erzählen zu können, nutzt Kassandra, um eine alternative Version der Geschichte heraufzubeschwören, eine Utopie, wie sie es nennt. In dieser Version erwacht Medusa mit einem lauten Schrei, kurz bevor Perseus ihr den Kopf abtrennt. Der Schrei weckt Medusas Schwestern und vor lauter Schreck blickt Perseus noch einmal zurück auf Medusas Kopf, wodurch er zu Stein wird. «Keine Perseus, kein Held, keine Geschichte», fasst Kassandra die Folgen dieses Gedankenspiels zusammen.

«Das utopische daran ist, dass Kassandra zugehört wird», sagt Dramaturg Joel Franz, «welche Geschichten würden wohl erzählt werden, wenn mehr Frauen zugehört worden wäre?» Die Frage, wer eine Geschichte erzählt und welche Auswirkung das auf deren Inhalt hat, stellt das Stück am Ende nochmals. In der Grabrede wird Perseus noch weiter als Held und als Märtyrer verklärt und schliesslich spricht der Chor: «Wir erzählen seine Geschichte weiter. Denn wir sind Männer und wir machen das eben so.»

«Perseus, der Mann», wird vom 6. April bis 15. April im Tojo Theater aufgeführt. Am 7. April findet eine Vorstellung mit Verdolmetschung in Deutschschweizer Gebärdensprache statt. Am 15. April findet eine Vorstellung mit Audiodeskription und einer taktilen Einführung (vor dem Stück) statt. Weitere Informationen und genaue Spieldaten gibt es hier.