Der Gmüesgarte kämpft um seine Existenz

von Janine Schneider 19. Januar 2023

Das Start-Up in der Marktgasse leidet seit der Pandemie unter sehr tiefen Kund*innen-Zahlen. Die Berner*innen scheinen lieber im Quartier oder online einzukaufen, so ihre Schlussfolgerung. Die Chronik einer wirtschaftlichen Long Covid Erkrankung.

Corona war mal. Die Zeiten, in denen die Stadt Bern wie leergefegt wirkte und die Geschäfte über Wochen geschlossen blieben, scheinen weit weg. Zumindest, wenn man an einem Samstagmorgen durch die Marktgasse bummelt und sich wahlweise davor hüten muss, von Trams, Radfahrer*innen oder der schieren Menschenmenge erschlagen zu werden. Aber der Schein täuscht. Manches Geschäft kämpft bis heute mit den Folgen der Pandemie. So auch der Gmüesgarte.

2017 gegründet, verkauft der Gmüesgarte in seinem Kellerlokal in der Marktgasse Gemüse und Früchte, die nicht der vom Detailhandel vorgegebenen Norm entsprechen, und deshalb ansonsten in der Tonne landen oder auf dem Feld liegenbleiben würden. Das Start-Up will damit einen Beitrag zur Bekämpfung von Foodwaste leisten. Denn: rund 10% der Lebensmittelverluste in der Schweiz entstehen in der Landwirtschaft.

Die Kund*innen-Zahlen stagnierten auf einem zwar stabilen, aber auch sehr tiefen Niveau.

Das Echo war anfangs riesig – sowohl auf Seiten der Produzent*innen wie auch auf jener der Kundschaft. «Ende 2019 waren wir auf einem Höhepunkt», erinnert sich Franziska, eine der vier Gründer*innen des Gmüesgarte, «Wir hatten jeden Tag 250 Kunden, die Umsätze waren steigend. Wir haben unser Angebot ausgebaut, konnten Investitionen tätigen.» Und dann kam der Lockdown.

Verharren in der Ungewissheit

Anfangs hätten sie die Massnahmen noch relativ entspannt genommen, auch wenn von einem Tag auf den anderen kaum mehr Kund*innen in den Laden in der Innenstadt kamen. «In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben wir dann einen Lieferservice auf die Beine gestellt und angefangen, Gemüse, Früchte, Käse und Brot zu den Leuten nach Hause zu liefern», so Franziska. Damit hätten sie einen Teil der Kund*innen wieder erreichen können. Und warteten darauf, dass sich alles wieder normalisieren würde.

Aber das tat es nicht. Auch nicht, als der erste Lockdown wieder zu Ende ging. Auch nicht, als der zweite Lockdown zu Ende ging. Die Kund*innen-Zahlen stagnierten auf einem zwar stabilen, aber auch sehr tiefen Niveau. Dazu kam der Hagelsommer 2021, in dem ein Grossteil der Ernten ihrer Produzent*innen im Seeland komplett vernichtet wurde.

Die Take-Away-Angebote laufen im Gegensatz zum Gemüse nach wie vor gut. (Foto: Janine Schneider)

Als im Februar 2022 alle Corona-Massnahmen aufgehoben wurden, erreichten zwar die Take-Away-Angebote am Mittag und die Gemüse-Taschen-Abonnements wieder den vorpandemischen Stand. Auch das Catering wurde rege genutzt und die Lieferungen an Restaurants nahmen sogar zu. Die Laufkundschaft kam aber nicht zurück. «Wenn wir früher eine Aktion durchgeführt haben, konnten wir danach einen messbaren Kundenzuwachs feststellen», sagt Franziska, «heute sind die Aktionen zwar erfolgreich, deswegen kommen langfristig aber nicht mehr Leute in den Laden.»

«Im Allgemeinen begrüssenswert, für uns fatal»

Das Gründer*innen-Team des Gmüesgarte erklärt sich dies vor allem mit einer Veränderung der Einkaufsgewohnheiten der Berner*innen durch die Pandemie. «Die Hofläden wurden während dieser Zeit überrannt und die Leute haben vermehrt lokale Quartierläden entdeckt», so Franziska. In der Innenstadt halten sich zwar wieder ähnlich viele Leute wie vor Corona auf – Lebensmittel einkaufen würden sie aber in ihrem Quartier. Anders könnten sie sich den Rückgang der Kundschaft nicht erklären: Im Moment hätten sie jeden Tag etwa 130 Kund*innen. Das ist halb so viel wie vor der Pandemie.

Der Gmüesgarte ist nicht der Einzige, der diese Auswirkungen spürt. Auch die Migros Aare erklärt auf Anfrage, dass die Kundschafts-Frequenz in ihren Filialen in den Innenstädten und Bahnhöfen noch immer nicht ganz auf Vor-Corona-Niveau sei.

Seit November ist der Gmüesgarte ein Selbstbedienungsladen. (Foto: Janine Schneider)

Wie der kürzliche Konkurs des Reformhauses Müller zeigte, ist auch der Onlinehandel ein wichtiger Konkurrenz-Faktor geworden, gerade im Bereich nachhaltiger Lebensmittel. Migros, Coop und Aldi haben in den letzten Jahren Online-Einkaufmöglichkeiten stark gefördert – und es gibt auch kleinere Fairtrade- und Bioinitiativen, die rein online tätig sind. Für die Berner*innen scheint es zunehmend praktischer geworden zu sein, im Quartier kleinere und online grössere Einkäufe zu tätigen. Zumindest ersteres sei keine schlechte Entwicklung, finden die Gmüesgarte-Gründer*innen. «Wir begrüssen es grundsätzlich, wenn sich der Einkauf hin zu den Produzent*innen verlagert», meint Franziska, «Wir funktionieren aber auch wie ein Quartierladen und sind deshalb auf unsere Stammkundschaft angewiesen».

Umstrukturierung als Rettung

Deren Ausbleiben hat gravierende Folgen: Der Gmüesgarte kann seit drei Jahren seine Fixkosten nicht mehr decken. Nur dank privater Investitionen konnte das Geschäft überleben. Als Start-Up fiel es nicht nur durch die Raster der Corona-Unterstützungsbeiträge. Es hatte in den drei ersten Geschäftsjahren vor Corona auch kaum die Chance gehabt, finanzielle Reserven aufzubauen, um eine solche Krise abfedern zu können.

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Nach verschiedenen Anläufen, um wieder vermehrt Aufmerksamkeit zu bekommen, haben sie sich nun dazu entschieden, den Gmüesgarte umzustrukturieren. «Die Alternative wäre gewesen, den Laden zu schliessen.» Deshalb ist der Laden seit Mitte November nun ein Selbstbedienungsladen. Die Kund*innen berechnen und bezahlen ihre Einkäufe selbst – das spart unproduktive Stunden ein, die für andere Bereiche wie Catering oder Take-Away verwendet werden können. Zudem hat der Gmüesgarte einen zweiten Standort im Monbijou-Quartier eröffnet – auf Anfrage einer privaten Genossenschaft, die ihnen Mietraum anbot. Damit möchten sie versuchen, vermehrt auch Kundschaft direkt im Quartier abzuholen.

Den Standort in der Marktgasse wollen sie aber noch nicht aufgeben. Dafür liegt er ihnen zu sehr am Herzen. Im Frühling startet deshalb ein Crowdfunding, das dem Gmüesgarte wieder mehr Aufmerksamkeit bescheren soll – und finanzielle Mittel. Damit an der Marktgasse 19 weiterhin krumme Pastinaken, kleine Eier und zu grosse Süsskartoffeln verkauft werden können.