Der Fotograf und der Ausstellungsmacher

von Christoph Reichenau 13. April 2021

Gleich zwei Ausstellungen von Bernhard Giger sind in Bern zu sehen: die eine widmet sich seinen Fotografien (ab 17.4.), die andere zeigt ihn als Foto-Vermittler (läuft bereits). Beide sind sorgfältig konzipiert und gestaltet. Ein paar hundert Meter sind es nur vom einen Bernhard Giger zum anderen.

Die 50 Fotografien drängen sich auf der Empore des Stadtsaals im Kornhaus, vom raumgreifenden Waldbild (Alexander Jaquemets) zur Miniatur des entstehenden Bundeshauses vom Spiegel her aufgenommen (von Augusta Flückiger). Damit sind auch die thematischen, die zeitlichen, die atmosphärischen, die stilistischen Spannweiten der ausgestellten Werke angedeutet – Vielfalt ist Trumpf. Keine kuratorische Hand legt fest und glättet, die Fotografinnen und Fotografen selbst bestimmen, was zu sehen sein soll; wo es um Nachlässe geht, liegt die Wahl bei deren Verantwortlichen.

The Last Picture Show

Es sind nicht Wahlverwandtschaften, die sich so zusammenfinden. Der Reiz liegt im kunterbunten Durch- und Nebeneinander. Das Privileg der Betrachtenden ist es, Zusammenhänge, Brüche, Nachfolgen, Entwicklungen zu entdecken, zu assoziieren. Immerhin deckt die Ausstellung rund 150 Jahre Fotografieren in Bern ab. Nein, deckt nicht ab, natürlich, deckt eher auf, lässt einen entdecken, sich wundern, macht die Besuchenden zu Wegsuchenden durch eine Fülle von Eindrücken, Erlebnissen, Gefühlen. Was hat die eine Fotografin, den anderen Archivverwalter bewogen, ausgerechnet diese Aufnahme zu präsentieren; war es Zufall, Gleichgültigkeit, Absicht, welche? Eine Ausstellung voller Rätsel, ein Panoptikum, eine Wunderkammer (von ganz anderer Art als jene, die gleichzeitig im Naturhistorischen Museum zu bestaunen ist). Der schrille Flyer verspricht nicht zu viel.

Vor seinem Abgang Ende 2020 hat Bernhard Giger die Ausstellung konzipiert, einen Reigen der Bildermacherinnen und Bildermacher, die er in seinem Dutzend Jahre als Leiter des Kornhausforums vorgestellt hatte, in Einzelausstellungen und Retrospektiven, in Themen-Schauen. Noch einmal scheint auf, was das Forum in Gigers Zeit prägte: die Liebe zur Fotografie in jeder Form, dokumentierend, erfindend, kühl oder kitschig. Eine Liebeserklärung.

Jetzt Mitglied werden | Jetzt spenden


Es ist richtig, die Betrachtenden nicht zu belehren, ihnen nicht aufzuoktroyieren, was sie zu sehen haben. Ebenso richtig ist es, sie nicht allein zu lassen vor der Fülle und Unterschiedlichkeit der Bilder. Dies tun leider der alte Vorstand und die neue Leitung des Kornhausforums. Es gibt keine Vernissage, Corona-bedingt, es gibt aber auch keine Anwesenheit des Ausstellungsmachers, keine schriftliche Erklärung. Der Newsletter wirft mehr Fragen auf als er beantwortet. Die Ausstellung wirkt wie eine Strafaufgabe, sie ehrt den langjährigen Leiter nicht, sie komplimentiert ihn hinaus. Schade für Bernhard Giger, schade für uns.

Ungedrehte Filme

Zum Glück gibt es demnächst die Gelegenheit, den Fotografen Bernhard Giger zu entdecken. In den beiden Räumen der Galerie Béatrice Brunner zeigt er, sorgfältig komponiert, analoge schwarz/weiss Aufnahmen aus den 1970er Jahren sowie digitale Farbfotos aus jüngerer Zeit. Die kleinen Formate der älteren Bilder ziehen sich, in Themenstrecken unterteilt, einem Fries gleich rund um den grösseren Raum. Foto um Foto vertieft man sich in ihre Wirklichkeit, ihre Aussage. Und folgt so auch dem Weg, der Suche, dem damaligen Lebensgefühl des Fotografen, in Warschau, New York, Amsterdam, Prinzendorf, Bern. Und entdeckt da und dort Übereinstimmungen mit der eigenen Vergangenheit, analog auch sie, doch weniger schwarz/weiss als eher in unbestimmtem Grau.

Wer will, kann zu Beginn jeder Themenstrecke die Aufnahmen verorten und zeitlich bestimmen. Unentbehrlich ist das nicht, die Bilder ziehen einen wortlos in Bann. Auch der schöne, erklärende Text «Heimwege und Umwege», der in der Galerie aufliegt, ist eher lesenswerte Zugabe als unentbehrliche Grundlage zum Verstehen. Die Fotos zu «verstehen» ist kein primär kognitiver Vorgang, sondern mindestens so sehr ein emotionaler, indem man sich dem – zuweilen herben – Zauber der Bilder überlässt, in sie eintaucht, sie in sich aufnimmt. Der Reigen der Fotos, die Art wie sie ineinander übergehen, miteinander verbunden sind, oft mehr intuitiv als klar beabsichtigt, die Weite des Wandfrieses – das entschlüsselt werden kann, nicht muss, wie es etwa Peter Weiss in der «Ästhetik des Widerstands» unternommen hat.

Der zweite Raum gehört in jüngerer Zeit entstandenen digitalen Fotos in Farbe und grösserem Format. Blockweise gehängt, kraftvoll. Landschaften, Blumen, Bäume, schottisches Hochland, Venedig vor dem Ende des Tourismus. Ein Schauder der Dekadenz, die zum Leben gehört wie der Tod, eine Morbidität, die wir brauchen, um leben zu können. Beides gehört zusammen: Das Analoge und das Digitale, das Farbige und das Schwarz/Weisse, die feine Hängung und die kompakte.

«Ungedrehte Filme»? Das sind nicht Fotos, die am Beginn eines Films standen, der nie zustande kam. Es sind Bilder, die sich im Kopf der Betrachtenden zu bewegen beginnen, zum Film werden durch die Anteilnahme, das Interesse, das Eigene, das man selbst hineinlegt. Es sind Angebote, den eigenen Film daraus zu verfertigen, im Augenblick, nur für sich selbst.