«Der Entscheid liegt bei Ostermundigen»

von Nicolas Eggen 21. April 2022

Mit verschiedenen Veranstaltungen probieren die Gemeinden Ostermundigen und Bern die Bevölkerung in den Fusionsprozess einzubeziehen und deren Sorgen und Ängste zu erfassen. Eine solche Veranstaltung fand Anfang April im Tell-Saal in Ostermundigen statt. Dabei waren unter anderem Thomas Iten, Gemeindepräsident von Ostermundigen und Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern.

Der Entscheid liege bei Ostermundigen, meint Alec von Graffenried an der Podiumsdiskussion im Tell-Saal. Bern sei offen für eine Gemeindefusion mit Ostermundigen und diese sei eigentlich auch schon lange überfällig. In der Tat lässt sich die physische Grenze zwischen Bern und Ostermundigen nicht mehr sehen, die beiden Orte sind schon lange ineinander gewachsen. Selbstverständlich verfügt Ostermundigen über einen ländlicheren Charakter als Bern. Zugleich hat die Gemeinde etwas Städtisches: mit dem «Bäretower» befindet sich der höchste Wohnturm des Kantons in Ostermundigen.

Genau in diesem Spagat zwischen Stadt und Land befindet sich Ostermundigen im Moment. Von Graffenried bemerkt, dass die Fusion in vielen Bereichen eigentlich schon lange vollzogen ist, jedoch nicht auf der politischen Ebene.

Die städtische Seite Ostermundigens: der «Bäretower» (Foto: Nicolas Eggen)

Sorgen aus Ostermundigen

Die Befürchtungen aus Ostermundigen betreffen etwa die Bürger*innennähe in der Politik. Durch die Schaffung einer gemeinsamen Gemeinde würde Ostermundigen in die bestehende politische Struktur in Bern integriert, dadurch würden die kurzen Wege zur Politik verloren gehen. Die Sorge von der Fremdbestimmung aus Bern ist immer wieder ein Thema. Auch ist die Rede von Identitätsverlust, der Sorge der Verstädterung oder auch der Gentrifizierung.

Das Thema der politischen Vertretung scheint momentan einer der grössten Streitpunkte zu sein. Geplant ist ein Fusionsbeauftragter aus Ostermundigen, der in der Übergangsphase in den fusionsrelevanten Themen eine beratende Rolle einnimmt. Jedoch verfügt er über keine Stimmberechtigung. Viele Ostermundiger*innen fühlen sich dadurch zu wenig repräsentiert.

Das kulturelle Angebot der Stadt Bern wird schon heute von vielen Ostermundiger*innen genutzt, ohne dass sie über die Ausgestaltung dieses Angebots mitbestimmen können.

Gegenargument aus Berner Sicht: Es kann keine garantierte dauerhafte Vertretung aus Ostermundigen im Gemeinderat Bern geben, da sonst die anderen Stadtteile benachteiligt würden. Im Vorfeld wurden verschiedene Alternativen diskutiert, beispielsweise auch die Aufstockung auf 7 Gemeinderäte oder die Einführung von Wahlkreisen, diese Optionen wurden aber allesamt verworfen. Die Gemeindefusion könnte aber ein Impuls für die Zukunft sein, die bestehenden politischen Strukturen zu überdenken.

Ein weiterer Punkt, der vom Publikum in die Diskussion eingebracht wird, ist die Musikschule Bantiger. Diese ist ein Zusammenschluss der Musikschulen aus Bolligen, Ittigen, Stettlen und Ostermundigen. Würde sich bei einer Fusion etwas verändern? Thomas Iten bekräftigt, dass es keinerlei Gründe gebe funktionierende Strukturen wie die Musikschule zu zerschlagen. Diese würden auch bei einer Fusion wie gehabt weiterlaufen.

Fremdbestimmung oder Mitbestimmung

Das Argument der Fremdbestimmung kann aber auch umgedreht werden, meinten gleich mehrere Diskussionsteilnehmer*innen. So könnte die Bevölkerung von Ostermundigen künftig über das städtische Kulturangebot oder die Finanzierung von ÖV-Projekten mitbestimmen. Das kulturelle Angebot der Stadt Bern wird schon heute von vielen Ostermundiger*innen genutzt, jedoch ohne dass sie über die Ausgestaltung dieses Angebots mitbestimmen können. Dies würde sich bei einer Fusion ändern. Auch das Argument des Identitätsverlustes sei nur teilweise haltbar, da sich Ostermundigen auch als Stadtteil von Bern auf seine eigene Geschichte und seine Eigenheiten beziehen kann.

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Thomas Iten legte seine Punkte anhand von verschiedenen Zahlen dar. Beispielsweise die Zahl 15‘230. Dies sind die summierten Stellenprozente von 180 Personen, die in der Gemeindeverwaltung von Ostermundigen arbeiten. Gemäss der Internetseite der Kooperation Ostermundigen Bern ist es «klare Absicht der beteiligten Exekutiven, dass als Folge einer Fusion keine Verwaltungsmitarbeitende entlassen werden.» Es gelte eine Arbeitsplatzgarantie. Wie dies nun konkret umgesetzt wird, ist ein Bestandteil der Fusionsverhandlungen.

Eine weitere Zahl, die Iten ins Spiel bringt, sind die 264 Millionen, welche die neu geplante Tramlinie nach Ostermundigen kosten soll. In diesem Projekt arbeiten die beiden Gemeinden schon seit langem eng miteinander. Der Baubeginn soll frühestens 2024 erfolgen mit einer Bauzeit von mindestens vier bis fünf Jahren.

Der Dorfcharakter ist in Ostermundigen noch klar Sichtbar. (Foto: Nicolas Eggen)

Sorgen ernst nehmen

An der Podiumsdiskussion war vor allem ein älteres Publikum zugegen. So sind es auch die alteingesessenen Ostermundiger*innen, welche die grössten Sorgen vor den Veränderungen haben. Eine Stimme aus dem Publikum äussert Sorgen um das lokale Gewerbe: «Ich kenne schon jetzt Gewerbler, die keine Aufträge in der Innenstadt von Bern annehmen, weil sie durch die prekäre Parkplatzsituation schon fast an ihrer Arbeit gehindert werden. Dies soll nicht auch noch in Ostermundigen passieren.»

Viele Ostermundiger*innen wünschen sich ein Entgegenkommen der Stadt Bern.

Eine weitere Stimme aus dem Publikum fragte Alec von Graffenried, ob den Bern die Ostermundiger*innen überhaupt willkommen heisse. Diese Frage zeigt die Gemütslage vieler Bewohner*innen Ostermundigens exemplarisch. Sie wünschen sich ein Entgegenkommen der Stadt Bern. Sie wollen umgarnt werden und bei den Kritikern muss wohl noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden. Sie wollen, dass ihre Ängste und Sorgen ernst genommen werden und diese auch in den Fusionsprozess einfliessen.

Diese Überzeugungsarbeit ist sicherlich nicht einfach, da sich die Kritiker meistens an konkreten Dingen festhalten können, die Chancen einer solchen Fusion zum Teil aber recht abstrakt sind. Dies ist nun die Aufgabe der beiden Exekutiven: ihr Vorhaben der Bevölkerung schmackhaft zu machen.