«Der Elefant ist da»

von Isabel Zürcher 13. Oktober 2014

Auf dem Helvetiaplatz ist der fiktive Skulpturenpark «Der Elefant ist da» eröffnet worden, das erste Projekt der neuen städtischen Kommission für Kunst im öffentlichen Raum. – Hier die Eröffnungsansprache von Isabel Zürcher.

Wenn ein Elefant in die Stadt einzieht, dann wird das – in aller Regel – gesehen. Das war so, als der grosse Dickhäuter unter den Herrschern des Mittelalters noch zu den erlesenen diplomatischen Geschenken zählte, und es war so, wenn der Zirkus Knie beim Saisonstart seine Elefanten zu Zürichs Sechseläuteplatz defilieren liess: Es gibt etwas Aussergewöhnliches zu sehen, der Verkehr ist entschleunigt und die Schaulust treibt Stadt- und Quartierbewohner zusammen. Vielleicht werden sie noch lange davon erzählen. Nicht nur wegen der Seltenheit des Ereignisses, sondern weil ein Elefant in der Stadt etwas von unseren als selbstverständlich angenommenen Grössenverhältnissen kurz ausser Kraft gesetzt und damit das Bild unserer Stadt, genauer: unser Bild der Stadt verändert hat.

Eigentlich kommt kein Elefant ungesehen in die Stadt

Wenn wir Ihnen heute am Helvetiaplatz die erste von der Kommission Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) angeregte künstlerische Intervention übergeben, ist das etwas anders: Muda Mathis, Sus Zwick und Fränzi Madörin haben ein auf den ersten Blick unsichtbares Werk geschaffen: Zwei je halbstündige Hörspaziergänge, welche die Frage nach der Kunst an diesem und für diesen konkreten Ort neu stellen. Dabei gelingt ihnen etwas, was wir uns von Kunst im öffentlichen Raum ganz generell wünschen:

Sie nehmen den Ort, in den hinein sie uns einladen, sehr ernst. Sie vermessen ihn genau in seiner historischen, städtebaulichen, funktionalen und akustischen Beschaffenheit.

«Schauen wir uns um: Welche Kunst braucht die Öffentlichkeit dieser Stadt?»

Isabel Zürcher

Sie nähern sich der Aufgabe so, wie sie sich ihnen stellt. In diesem Fall hiess das: von Grund auf. «Der Elefant ist da» fragt nach dem Bestand von Kunst im öffentlichen Raum, nach ihrer Vitalität, nach dem Verhältnis des Neuen zum Alten und – ausgehend vom Welttelegrafendenkmal in der Platzmitte – nach der Bedeutung und der Dimension des Monuments im Hier und Jetzt.

Spurensicherung und Aufbruch ins Neuland

Mathis, Zwick und Madörin wissen, dass es nicht ihre Spezialisierung ist und auch nicht ihr eigener Zugewinn an Wissen, der diesem Ort und seinen Möglichkeiten Gehör verschafft. Sie streben eine dezidiert mehrstimmige Autorschaft an. Sie teilen die grosse Frage nach der heutigen Kunst für den städtischen Raum und suchen das Erbe der Denkmäler im Verbund mit weiteren Künstlerinnen und Künstlern, Vermittlerinnen und Vermittlern. Im Austausch über Formate und Beweggründe öffentlich exponierter Kunst nehmen sie damit eine sehr grosszügige Haltung ein: Ihre eigene Recherche stimuliert die Produktivität und nährt das Gespräch, das die Kommission im öffentlichen Rum in Bern anzusiedeln und zu fördern beabsichtigt.

Schauen wir uns um: Welche Kunst braucht die Öffentlichkeit dieser Stadt? Wo und unter welchen Bedingungen können künstlerische Ideen die kontinuierliche Veränderung des städtischen Raums positiv beeinflussen? Welche Bezüge stellt neue Kunst her zur konkreten Umgebung, zu ihrer eigenen Geschichte, zu uns, unserer Anwesenheit und Wahrnehmung?

Und ganz offensichtlich sind Muda Mathis, Sus Zwick und Fränzi Madörin in ihrer Frage nach dem Verbleib und der Zukunft der Kunst für urbane Räume nicht allein. Als sie vor rund einem Jahr zehn Künstlerinnen und Künstler um Ideen und Entwürfe baten für den Helvetiaplatz, war die Resonanz durchgängig positiv. Es gibt eine verspielte Lust, eine reale Dringlichkeit und eine handfeste, materielle Reflexion, dem Raum, der uns täglich umgibt und in dem wir sehr oft nur die Wegleitungssysteme bewusst wahrnehmen, neue Spuren einzuschreiben.

Alle Vorschläge, die sie ab heute im «GrandPalais» am Helvetiaplatz ausgestellt sehen, sind – auch wo sie Utopien zeichnen – in ihrer Verschiebung von Orts-, Zeit- und Grössenverhältnissen ernst zu nehmende Modelle. Modelle, die den öffentlichen Raum sehr präzis noch einmal anders erzählen. Davon waren Muda Mathis und Sus Zwick bereits ausgegangen, als sie uns für den Helvetiaplatz die «Skulptur als Erzählung» vorgeschlagen haben. Und dafür verdienen alle Künstlerinnen und Künstler, die mitgewirkt haben, unseren Respekt.

«‘Der Elefant ist da’ sichert Spuren und heisst gleichzeitig den Aufbruch in künstlerisches Neuland willkommen.»

Isabel Zürcher

Es ist ein Glücksfall, dass «Der Elefant ist da» gleichzeitig Spuren sichert und den Aufbruch in künstlerisches Neuland willkommen heisst. Denn das ist hoffentlich auch Ihr Erlebnis, wenn Sie sich von den Künstlerinnen bei der Hand nehmen und sorgfältig über den Platz leiten lassen: Dass Sie, während sich über Ihnen ein grosser Fussballplatz oder eine funkelnde Kuppel erhebt, das Pflaster am Boden und die Distanz zu den Türmen des Historischen Museums zum ersten Mal so genau ins Auge nehmen. Dass sie sich wundern, warum der Besen hinter dem «GrandPalais» nicht tatsächlich da steht und welcher Raum Ihnen das Echo Ihres eigenen Denkens ins Ohr zurück wirft.

Veränderung beginnt im Kopf

Wo Imagination und Realität so unausweichlich aufeinander prallen, hat die Stadt den Weg schon aufgenommen. Dass wir dabei mitgenommen und ganz nahe und unter Berücksichtigung aller Gefahrenzonen begleitet werden, ist mehr als höfliche Vorsicht: Die Künstlerinnen argumentieren immer mit unserer Anwesenheit und setzen den Körper in seinem meist vorübergehenden Dasein als weiteres Mittel der Erzählkunst ein.

«Der Elefant ist da» ist unsichtbar. Wir haben die Vorbehalte schon gehört: Scheut die Kommission KiöR die Kontroverse über Kunst, die Aufsehen und Widerspruch erregt? Ist da eine Rücksicht am Werk, die im öffentlichen Auftrag nur das gelten lässt, was die sowieso schon kunstaffinen Besucherinnen und Besucher des Helvetiaplatzes zusätzlich aufnehmen möchten?

«Wir vertrauen darauf, dass Bauen als eine kulturelle Aufgabe auch der bildenden Kunst Gastrecht bietet.»

Isabel Zürcher

Nein, sagen wir. Wenn wir uns darauf verständigt haben, ephemere und zeitlich befristete Interventionen anzuregen, ist das keine Absage an jene Kunst, die sich als Teil von Architektur und Stadtentwicklung bleibend in unsere öffentlichen Räume einschreibt. Wir vertrauen darauf, dass Bauen als eine kulturelle Aufgabe auch der bildenden Kunst Gastrecht bietet und ihr eine langfristige Wirksamkeit gewährt. Wenn wir in unseren Richtlinien festhalten, dass die von uns initiierten Projekte in der Regel temporär sein und ihren eigenen Zeithorizont bei der Planung mit bedenken sollen, so öffnen wir einen Freiraum, der dem heutigen Begriff von Öffentlichkeit Rechnung trägt. Wir möchten virtuelle Räume ebenso als Basis künstlerischer Interventionen zur Verfügung haben wie die Gesetzmässigkeit sozialer Beziehungen. Das verspricht uns viel, es traut der Kunst an Orten der städtischen Transformation viel zu und begrüsst Experimente mit offenem Ausgang.

Und noch etwas: es geht hier nicht um uns als Kommission. Es geht um die Kunst, die etwas sichtbar macht, wovon wir vorher nichts wussten.