«In Europa gibt es die EU und nichts.» Diese und viele weitere Aussagen mit prägnanter Klarheit schmückten Rossiers Vortrag. Mit seiner sehr wachen und geistreichen, als auch launisch-schalkhaften Art zog der neue Staatssekretär die rund 150 Personen im Vorlesungssaal an der UniS in seinen Bann. Die 90 Minuten sind im Nu verflogen.
Die blutige Nase von Marignano
Inhaltlich erteilte er den jüngst aufgekommenen Gedanken zu einem allfälligen EWR-Beitritt eine deutliche Abfuhr. Die EWR-Abstimmung habe das Land nachhaltig und tiefgreifend gespalten. Diese Zweiteilung präge die aussenpolitische Diskussion noch heute. Eine erneute Spaltung der Bevölkerung durch seine Europapolitik wolle der Bundesrat nicht riskieren. Die Gewährleistung des inneren Zusammenhalts bewertete Rossier als einzig richtiges Vorgehen. Er wehrte sich damit gegen den Vorwurf aus dem Publikum, dass der Bundesrat über gar keine konkrete Strategie verfüge.
«Unser letztes aussenpolitisches Abenteuer war 1515, die Schlacht von Marignano»
Yves Rossier, Staatssekretär
Die aussenpolitische Zurückhaltung, so Rossier, sei historisch gewachsen und tief in der Gesellschaft verwurzelt. Die Schweiz sorge sich durch zu offensives internationales Auftreten den inneren Zusammenhalt zu gefährden. Die blutige Nase von Marignano sei noch immer in den Köpfen präsent: «Unser letztes aussenpolitisches Abenteuer war 1515, die Schlacht von Marignano.»
Wichtigkeit der Zuwanderung
Erneut sprach er sich deutlich gegen eine Zuwanderungsbeschränkung aus. Er verstehe jedoch die aufkommende Kritik, schliesslich gebe es auch Nachteile wie beispielsweise die Wohnungsknappheit, aber: «Entweder hat man eine boomende Gesellschaft, die Leute anzieht, die sehr viel bringen an Know-How und Mehrwert für das Land, oder man hat eine Gesellschaft im Niedergang und hat dafür das Problem der Wohnungsnot nicht, wie beispielsweise in Ostdeutschland.»
(Yves Rossier im Originalton)
Erfolgsgeschichte mit Berner Wurzeln
Mitorganisator des Anlasses war der aussenpolitische Think-Tank «foraus». Dieses Forum für Aussenpolitik wurde 2009 in Bern gegründet und blickt auf erfolgreiche Startjahre zurück. In der ganzen Schweiz haben sich regionale Gruppen gebildet, die Veranstaltungen organisieren und Positionspapiere verfassen. Der Think-Tank geniesst wachsende Anerkennung. Dies zeigen auch die prominenten Gäste von gestern Abend. So sassen neben ehemaligen Botschaftern auch der aktuelle russische, sowie holländische Botschafter im Publikum, wie auch Vertreter der indonesischen Regierung. Das Anliegen zu einer konstruktiven Aussenpolitik beizutragen, gewinnt in der Bevölkerung kontinuierlich an Unterstützung. Diese Tendenz widerspiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen von foraus – bis dato kann der Verein auf die Unterstützung von über 500 Mitglieder zählen.
(Mehr zu foraus in den beiden Interviews mit Max Stern und Thomas Wehrlin.)