Seit den 1970er-Jahren waren Kundgebungen auf dem Bundesplatz während der Parlamentssessionen verboten. Mit Beschluss des Berner Stadtrats vom 28. Oktober 2021 wurde dieses Verbot aufgehoben. Das Berner Stadtparlament war der begründeten Meinung, dass ein Verbot, vor dem schweizerischen Parlament zu demonstrieren, mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar sei.
Ein Risiko für die Arbeit des Parlaments?
Solche demokratischen Überlegungen lassen den Ständerat kalt. Dieser lässt durch sein Büro verlauten, dass «Demonstrationen oder Kundgebungen ein Risiko für die Arbeit des Parlaments und des Bundesrates» darstellten. So hätten Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Parlament in gewissen Fällen «nicht durch den Haupteingang betreten oder verlassen» können.
Sie mussten – mit anderen Worten – den Hintereingang des Bundeshauses benützen. Genau dies verlangt die Bundeshausadministration seit Jahren von sämtlichen Besucherinnen und Besuchern des Bundeshauses. Warum soll das für deren Vertreterinnen und Vertreter nicht ebenso zumutbar sein?
Die gesamten Kosten für den Bau und den Unterhalt dieser Strassen trägt die Stadt. Der Bund hat auch keinerlei Absicht, sich an diesen Unterhaltskosten zu beteiligen.
Es komme auch vor, dass politische Kundgebungen, Kulturanlässe oder Sportveranstaltungen so laut seien, dass das Arbeiten im Parlamentsgebäude verunmöglicht werde, heisst es in der Begründung weiter. Lärmschutz statt Demokratie also. Das sagt das gleiche Parlament, das es für durchaus verhältnismässig hält, den bestehenden Lärmschutz im Umfeld von Militäranlagen oder an Strassen zu lockern.
Der Bundesplatz gehört der Stadt Bern
Es ist unbestritten, dass der Bundeslatz wie auch die dorthin führenden Strassen Eigentum der Stadt Bern sind. Die gesamten Kosten für den Bau und den Unterhalt dieser Strassen trägt die Stadt. Der Bund hat auch keinerlei Absicht, sich an diesen Unterhaltskosten zu beteiligen. Er will nur über die Nutzung mitbestimmen.
Dafür gibt es einerseits keinen rechtlichen Grund und andererseits keine sachliche Notwendigkeit. Das Berner Stadtparlament hat in korrekter Abwägung der vorhandenen Interessen eine klare Regelung erlassen. In Art. 6 des Kundgebungsreglementes heisst es nämlich: «Auf dem Bundesplatz können Kundgebungen bewilligt werden, sofern sie den Parlamentsbetrieb nicht stören». Und «Während der Marktzeiten, namentlich von Wochenmarkt, Zibelemärit, Graniummärit und Wildpflanzenmärit werden keine Kundgebungen bewilligt.» Das ist eine sinnvolle und praxisnahe Regelung. Sie bedarf keiner Ergänzungen und schon gar keiner zusätzlichen Eingriffe in die von der Bundesverfassung garantierte Demonstrationsfreiheit.
Die gestern verabschiedete Motion des Bundesparlaments ist daher so unnötig wie abwegig. Der Gemeinderat der Stadt Bern tut gut daran, auf die angedrohten Verhandlungen gar nicht erst einzutreten, sondern den Entscheid des Berner Stadtparlaments zu verteidigen.