Der Arabist aus Bern-West

von Rita Jost 24. Januar 2019

Arabische Gegenwartsliteratur wird bei uns immer populärer. Einige Titel – wie beispielsweise der Roman «Der Tod ist ein mühseliges Geschäft» von Khaled Khalifa – liegen momentan auf den Bestsellertischen der hiesigen Buchhandlungen. Übersetzt hat ihn Hartmut Fähndrich. Der 75-jährige Arabist gehört zu den bedeutendsten Arabischübersetzern. Er wohnt seit Jahren in Bern-Bethlehem. Ein Besuch.

Journal B: Wir sitzen hier im achten Stock. Der Blick geht über Bern-West hinaus ins Grüne. Ein ziemlich harter Kontrast zum Handlungsraum der meisten Bücher aus dem arabischen Raum, die Sie übersetzen. Wie schaffen Sie dieses Hin und Her zwischen zwei völlig gegensätzlichen Welten?

Hartmut Fähndrich: Völlig problemlos. Das tönt vielleicht merkwürdig, aber ich bin ein Mensch, der ist in Kairo, und dann ist er ganz dort, und alles andere ist weit weg. Und dann bin ich wieder in Bern, und bin ganz hier. Ich bin ja mehrmals pro Jahr längere Zeit im arabischen Raum unterwegs, aber ich hatte weder hier noch dort je das Gefühl «meine Seele muss noch nachkommen». Das kenne ich nicht. 


Worauf führen Sie das zurück. Sind Sie ein so nüchterner Mensch, oder sind Sie einfach schon so lange in diesen beiden Welten zuhause, dass das einfach funktioniert?

H.F.: Das mag natürlich sein. Als ich zum ersten Mal im Orient war – ich fuhr ja erst nach meinem Studium in den Siebzigerjahren zum ersten Mal hin – da war das schon noch etwas anders. Damals war ich auch schockiert: Dieses Treiben, die «Unordnung», oft auch die Ärmlichkeit! Ich reiste damals nach Kairo und in den Iran. Und ich gebe zu, ich musste tief Luft holen. Ich war ja noch voll in der klassischen arabischen Welt drin. Und für mich – wie für viele, die damals Islamwissenschaft studiert hatten – gab es den zeitgenössischen mittleren Osten nicht. Das war Stoff für Soziologen und Politologen. Wir hatten uns mit den alten Schriften beschäftigt, den historischen Texten und den Philosophen aus dem 10., 11., 12. Jahrhundert. 


Wie sind sie denn als Sohn aus gutbürgerlichem Tübinger Haus überhaupt zur Islamwissenschaft gekommen?

H.F.: Übers Hebräische. Mein Grossvater war Pfarrer. Ich besuchte – halb aus Interesse, halb aus Snobismus und vielleicht aus einem Hang zur Exotik – im Gymnasium einen freiwilligen Kurs in Biblisch-Hebräisch. Daraus ergab sich dann ein Interesse für die semitischen Sprachen.

Eine ganze Region mit so vielen kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden einzig über die Religion zu definieren, finde ich ja völlig falsch. Ich nenne mich deshalb «Arabist».

Hartmut Fähndrich


Sie haben später in Deutschland und Los Angeles studiert und doktoriert und kamen in den Siebzigerjahren nach Bern an die Uni. Später auch nach Zürich an die ETH. Damals muss Islamwissenschaft noch ein Exotenfach gewesen sein.

H.F.: Ja, klar. Ich mag aber eigentlich diesen Begriff «Islamwissenschaft» nicht. Eine ganze Region mit so vielen kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden einzig über die Religion zu definieren, finde ich ja völlig falsch. Ich nenne mich deshalb «Arabist».


Nun haben Sie in den letzten vierzig Jahren über 60 Bücher und nochmal so viele Texte von zeitgenössischen Autoren und Autorinnen aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt. Gibt es Probleme bei dieser Vermittlertätigkeit zwischen zwei so unterschiedlichen Welten?

H.F.: Eigentlich nicht. Nur das übliche. Ich kenne die Klagen der Übersetzer natürlich schon. Aber für mich gilt: Übersetzen ist unser Job, Entsprechungen für Ausdrücke und Lokaltypisches zu finden ist manchmal mühsam, aber zum Teil auch Spass. 


Keine arabischen Ausdrücke, für die sich auf Deutsch einfach keine Wörter finden?

H.F.: Nun, natürlich gibt es das. Aber ich wehre mich dagegen, wenn manche sagen «Übersetzen» ist eigentlich unmöglich. Natürlich ist es möglich! Und auch wichtig. Man muss sich einfach bewusst sein, dass kein Wort in einer anderen Sprache genau das gleiche aussagt. Aber darauf verzichten? Sicher nicht! Wir müssen doch wissen, was anderswo gedacht, gesagt und erzählt wird.


«Der Tod ist ein mühseliges Geschäft» heisst eines der letzten Bücher, das Sie übersetzt haben. Eine Geschichte aus dem kriegsversehrten Syrien. «Mühselig» tönte in meinen Ohren zuerst recht eigenartig. Haben Sie da ganz wörtlich übersetzt?

H.F.: Im Original von Khaled Khalifa heisst es eigentlich «Der Tod ist Zwangsarbeit», wobei im Arabischen Zwangsarbeit und harte Arbeit identisch ist. Ich habe dann als ein im soliden protestantischen Milieu aufgewachsener Mensch das Wort «mühselig» vorgeschlagen, weil ich sofort Bezüge sah zu den «Mühseligen und Beladenen» in der Bibel. Ich fand das ganz passend. Und die Lektorin hat begeistert zugestimmt. 


Die Geschichte hat ja für uns etwas Verstörendes: Drei Geschwister transportieren ihren verstorbenen Vater durch ganz Syrien und brauchen für diesen Transport durch das Kriegsgebiet mehrere Tage. Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu übersetzen?

H.F.: Nun, es ist eine griffige Geschichte, ein hochaktueller Stoff, und der Autor ist bei uns noch nicht so bekannt. Er ist Syrer und bis jetzt war dieses Buch noch in keiner ausser-arabischen Sprache erhältlich. 


Arabisch wird von Marokko bis Irak von rund 450 Millionen Menschen gesprochen. Aber wird arabische Literatur in dieser Region auch überall gleich gut verstanden?

H.F.: Theoretisch ja. Genauso wie Deutsch vom Oberwallis bis nach Ostfriesland verstanden wird. Aber es gibt schon sprachliche Unterschiede zwischen Tunis und Bagdad, Kairo und Damaskus. Es gibt Färbungen, anhand derer man die Herkunft eines Textes klar lokalisieren kann. Aber: Bücher von Urs Widmer und Siegfried Lenz haben ja im Deutschen auch einen ganz unterschiedlichen Klang. 


Theoretisch also ist Schriftarabisch überall lesbar. Und praktisch?

H.F.: Da gibt es Hindernisse. Erstens werden ja nicht alle Autoren gleichermassen verlegt. Zweitens werden in den arabischen Schulen immer noch vor allem die Klassiker, die so genannt «sauber und unverdächtig» sind, gelesen, und drittens gibt es auch eine grosse Anzahl Analphabeten. Kommt hinzu, dass der arabische Buchmarkt und der Buchhandel sehr kompliziert sind. Es fehlen Koordination und Infrastruktur. Das wirkt hinderlich.


Dann müssen die arabischen Autorinnen und Autoren glücklich sein, wenn das Interesse im Westen wächst und mehr und mehr Bücher übersetzt werden.

H.F.: Ja, sehr! Einige Autoren – wie zum Beispiel auch Khaled Khalifa – können ja in ihrer Heimat gar nicht publizieren. Ich arbeite nun übrigens schon am nächsten Werk von ihm. Das ist ein früheres Buch, das bereits auf Französisch, Italienisch und Englisch erhältlich ist. Da ziehe ich beim Übersetzen diese Vorlagen natürlich heran. Das ist praktisch, man muss ja nicht immer bei Null anfangen. Das Buch wird wahrscheinlich im Herbst bei uns auf den Markt kommen.


Unter welchem Titel?

H.F.: Auf Englisch erschien das Buch mit dem Titel «No knives in the kitchens of this city». Also: Keine Messer (mehr) in den Küchen dieser Stadt».


Wieder ein Kriegsroman?

H.F.: Nein, eine Gesellschaftsstudie aus dem Aleppo der 80er- und 90er-Jahren.

 

Interview: Rita Jost, Autorin Journal B