Man nimmt den Bus 21 nach Bremgarten, steigt an der Haltestelle «Innere Enge» aus und schlendert auf der anderen Strassenseite zum Burgerspittel im Viererfeld. Die Glastüre öffnet sich automatisch. Man steht im belebten Eingangsbereich des Altersheims. Und mitten in der Ausstellung «Eugen Thierstein, Fotograf – den Menschen im Blick». Die mit hellem Holz gerahmten Fotografien hängen an den Wänden bis hin zum Restaurant. Vor den Fotografien stehen Sessel. Zuweilen blickt man über die Schulter einer Dame oder eines Herrn genauer auf ein Sujet. Es ist eine intime Ausstellung, fein eingefügt in die Räumlichkeiten des Heims und passend zu dessen Bewohnerinnen und Bewohnern.
Die meisten Fotografien stammen aus den 1940er und frühen 1950er Jahren. Sie zeigen Szenen in Bern. Viele Menschen, die heute im Heim leben, dürften in jener Zeit jung gewesen sein. Die Atmosphäre der Stadt, die Kleidung und der Habitus der abgebildeten Menschen haben sie mitgeprägt. In Eugen Thiersteins Bildern kehrt ein Teil ihrer Jugend ins Heim zurück.
Eugen Thierstein, 1919-2010, war als Berner Fotograf ein Typus, den es heute kaum mehr gibt. Bernhard Giger, selber Fotograf, Filmer, Kulturjournalist, Leiter des Kornhausforums, stellt Thierstein kundig und liebevoll vor. Sein Essay «Auf Augenhöhe mit dem Leben» beschreibt den Fotografen Thierstein als Allrounder: Zu seinen Zeiten «wurden Fotografinnen und Fotografen noch für alles und jedes aufgeboten; sie waren die Chronisten und Dokumentaristen des Alltags. (…) Sie hatten überall und oft ungehindert Einblick und Zugang: eine Art ungewollter Voyeurismus zwischen Diskretion und Neugier».
Viele Menschen, die heute im Heim leben, dürften in jener Zeit jung gewesen sein.
Seit 2015 liegt Thiersteins Nachlass in der Burgerbibliothek Bern. Diese bewahrt ihn im Dienst der Allgemeinheit. Kurator Philipp Stämpfli gibt Einblick in die heutigen Archivierungs- und Konservierungsmethoden. Gigers und Stämpflis Artikel sowie rund 50 Fotografien Thiersteins sind versammelt im elften Passepartout, einem schmalen, sorgfältig, ja edel gestalteten Band in der Schriftenreihe der Burgerbibliothek. Wer die Ausstellung besucht hat, blättert nachher gern noch darin.
Ein Wermutstropfen: Die Ausstellung ist im Burgerspittel im Viererfeld am richtigen Ort. Ebenso richtig wäre das Kornhausforum gewesen, das Bernhard Giger in seiner Leitungszeit zu dem Berner Ort für Fotografie jeder Art und aller Epochen gemacht hat. Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Leider. Doch die Fotografie blüht als Handwerk, als Kunstwerk, experimentell, dokumentarisch. Dank ihr vergewissern wir uns über uns. Die Bewohner*innen des Burgerspittels können davon erzählen.
Viererfeldweg 7, 3012 Bern.
Bis 23. Juli. Offen von 9-17 Uhr.