«Das Zentrum44 ist integrativ, inklusiv und exklusiv»

von Katrin Bärtschi 5. März 2019

WOhnenbern ist ein Verein. Und WOhnenbern ist mit einer Zwiebel vergleichbar. Als äusserste Haut umfasst der Verein das Zentrum44 und dieses umschliesst als innere Schale das «kostbare Herzstück»: das Restaurant44. Dort herrscht reger Betrieb, Feierabendgäste sitzen an andern oder rauchen draussen vor dem Lokal, an dessen Wänden orientalisch anmutende Bilder hängen.

«Wir machen regelmässig Ausstellungen hier im Restaurant. Die Bilder können angeschaut und auch gekauft werden», erzählt Robert Mäder, von dem auch das Titelzitat stammt. Er gehört als Leiter des Zentrum44 zum Leitungsteam von WOhnenbern. Mit am Tisch sitzt auch Olivier Truttmann, Mitglied des dreiköpfigen Leitungsteams Gastronomie: «Zwei Personen sind für die Küche zuständig und ich für den Servicebereich und die Veranstaltungen.» Auch das ist Teil des Konzeptes: Das Restaurant44 bietet Räume für alle möglichen kulturellen Anlässe. Quiz-, Raclette-, Karaoke- und Weltenmenu-Abende, Güetzelen und Basaarnachmittage fanden bereits statt. Vernissagen, Konzerte, Lesungen könnten stattfinden. «Wir können keine Gagen bezahlen, doch der Raum ist gratis», erklärt Olivier Truttmann. Und: «Hier sind alle willkommen. Es herrscht kein Konsumationszwang, wir sind für alle da und freuen uns über ein durchmischtes Publikum. Unser Haus will auch der Vereinsamung entgegenwirken.»

Kochen, putzen, wohnen

Die Idee, ein solches Zentrum zu gründen, entstand vor etwa zwei Jahren. WOhnenbern – der Verein hat einen Leistungsvertrag mit der Stadt Bern – umfasst die drei Teilbereiche betreutes, teilbetreutes und begleitetes Wohnen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Suchtproblemen oder Alltagsproblematiken. «Der Bereich ‚betreutes Wohnen‘ bot früher alles unter einem Dach», erinnert sich Robert Mäder. «Kochen, putzen, wohnen. Dadurch verringerte sich die Selbständigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner, die wir ja eigentlich fördern wollten. Manche gingen gar nicht mehr aus dem Haus.» Ein Begegnungszentrum könnte da vielleicht Abhilfe schaffen, man wollte es versuchen, das ehemalige Restaurant Don Quijote an der Scheibenstrasse 44 wurde gefunden und das Zentrum44 ins Leben gerufen.

Café Surprise und Solimenu

Auf der Theke steht eine Schiefertafel. Darauf etwa fünfzehn senkrechte Kreidestriche. Das Zentrum44 beteiligt sich wie viele andere Restaurants schweizweit am Konzept «Café Surprise», das von Netzwerk «Surprise» (bekannt ist dieses vor allem wegen seines Strassenmagazins gleichen Namens) erfunden wurde: Wer im Restaurant einen Kaffee trinkt hat die Möglichkeit, zwei zu bezahlen. Der zweite wird als Kreidestrich auf der Tafel festgehalten und wieder gelöscht, wenn eine Person mit kleinem Budget ihn gratis getrunken hat. Der gleichen Absicht, Leuten mit wenig Geld eine Konsumation zu ermöglichen, entspringt auch die Idee des Solimenus: Wer im Zentrum44 isst, kann einen Fünfliber drüberi bezahlen. Jeder dieser Fünfliber ist ein Beitrag an ein Solimenu. Ein solches kostet für den Konsumenten oder die Konsumentin selber dann nur fünf Franken. «Dieses System funktioniert nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und wird, wenn überhaupt, nur hie und da ausgenutzt. Wenn zum Beispiel zehn Jungs ins Restaurant kommen und alle ein Solimenu bestellen, dann erkläre ich ihnen die Idee», berichtet Olivier Truttmann. «Die meisten beharren dann nicht auf ihrer Bestellung.» Die Solimenus werden auch durch Spenden quersubventioniert.

Raum für alle, Begegnungen auf Augenhöhe

«Wir wollen eine Beiz sein, wie Quartierbeizen früher waren», sagt Robert Mäder. «Ein Ort, an dem alle willkommen sind. Alte, Alleinerziehende, Menschen mit psychischen oder andern Problemen, Quartierbewohnerinnen und -bewohner. Gerade die Gentrifizierung hat voneinander getrennte Szenen geschaffen. Diese wollen wir aufbrechen, indem wir in unserem Lokal Raum für alle bieten.» Sollte es für die zahlende Kundschaft je eng werden – «dann müssen wir uns etwas einfallen lassen», sagt Olivier Truttmann. Doch bis anhin war genug Platz da für alle.

Und er kommt ins Schwärmen: «Es herrscht eine grossartige Stimmung hier! Ein Ziel ist erreicht: Es sind alle da! In ungezwungener Atmosphäre. Alle, die hierher kommen, erhalten etwas. Man kann hier nicht nur essen und trinken. Wir haben auch ein offenes Ohr für andere Anliegen. Und wir, wie auch unser Personal, sind niemals belehrend oder wertend, wir begegnen einander auf Augenhöhe. So sind wir alle WOhnenbern, alle tragen das Begegnungszentrum mit.» Olivier Truttmann schliesst mit dem «Coolsten», das er je über das Zentrum44 sagen hörte. «Ein Typ meinte: ‚Es ist einfach normal hier‘.»

Öffnungszeiten des Restaurant44: Mo-Fr 9 – 23 Uhr / Sa 9 – 23.30 Uhr


Quelle: Anzeiger für das Nordquartier 22/2018