Politik - Meinung

Das undurchsichtige Spiel der Grünliberalen

von Raphael Wyss 8. Februar 2024

BGM-Bündnis Die GLP will endlich zum langersehnten Gemeinderatssitz kommen. Offiziell sieht sie dafür keine Alternative zur umstrittenen Zusammenarbeit mit den rechtsbürgerlichen Parteien. Eine genauere Betrachtung zeigt: Alternativlos war der Entscheid mitnichten – und er könnte ungeahnte Folgen haben. Eine Analyse.

Bis vor wenigen Monaten waren die Aussichten für die GLP rosig, 2024 endlich in den Berner Gemeinderat einzuziehen. Reto Nause würde nicht mehr antreten. Der Sitz für eine gemeinsame Mitte-Liste wäre auch ohne Bisherigen-Bonus praktisch sicher (Stimmenanteil 2020: 19,45 Prozent). Die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Liste: erdrückend zugunsten der GLP. Und mehrere profilierte Frauen interessierten sich für das Amt.

Doch dann machte «Die Mitte» der GLP einen Strich durch die Rechnung. Sie wollte sich nicht mit der Rolle der Steigbügelhalterin abfinden, welche die GLP für ihren Gemeinderat Reto Nause die letzten beiden Wahlen gespielt hatte. Stattdessen suchte sie den Schulterschluss mit FDP und SVP, um ihren Gemeinderatssitz im speziellen Berner Proporzverfahren verteidigen zu können.

Damit wurde die GLP unter Zugzwang gesetzt: Sollte sie mit der kleinen EVP (rund 2 Prozent Stimmenanteil) praktisch im Alleingang ihr Glück versuchen? Oder sich dem breiten Wahlbündnis anschliessen – im Wissen darum, dass man mit FDP und SVP kaum gemeinsame Positionen teilt? Die GLP entschied sich letzte Woche für letzteres, was ihr intern und von linker Seite massive Kritik einbrachte.

Bürgerliche Allianz

Rein rechnerisch ist der Entscheid der GLP nachvollziehbar:  SVP, FDP, Mitte, GLP und EVP (bei ihr ist der Beitritt zur Allianz noch ausstehend) vereinten bei den Nationalratswahlen letztes Jahr rund 37 Prozent der Stimmen auf sich; für ein Vollmandat bei den Gemeinderatswahlen braucht es 16,67 Prozent. Die Aussichten der GLP auf einen Gemeinderatssitz (als mit Abstand stärkste Kraft im Bündnis) wie auch für Mitte-rechts auf zwei Mandate scheinen gut und vor allem besser als mit zwei getrennten Listen. Werden jedoch die Erfahrungswerte der letzten Gemeinderatswahlen in Betracht gezogen, zeigt sich: So einfach ist es nicht.

2020 traten FDP und SVP auf einer gemeinsamen Liste zu den Gemeinderatswahlen an. Obwohl die SVP- und FDP-Listen bei den Stadtratswahlen auf 17,82 Prozentpunkte kamen, verpassten sie den angestrebten Gemeinderatssitz. Nur gerade 15,02 Prozent der Stimmen entfielen bei den Gemeinderatswahlen auf das rechtsbürgerliche Bündnis. Das entspricht einer Differenz von 2,8 Prozentpunkten oder 15,7% zu den Stadtratswahlen. Die Wahlresultate und Panaschierstatistiken zeigen, dass der damalige SVP-Kandidat Thomas Fuchs massenhaft gestrichen und mit Kandidierenden anderer Listen ersetzt wurde.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der «Gemeinsam-für-Bern»-Liste ein ähnliches Schicksal droht. Zwar wird die Liste breiter abgestützt sein als vor vier Jahren, und die SVP besetzt darauf nur noch einen Platz (vor vier Jahren wurde Thomas Fuchs auf der bürgerlichen Liste vorkumuliert). Doch zeigt die heftige Reaktion auf den Entscheid der GLP diese Woche, dass sie in der breiten Öffentlichkeit trotzdem als «Schulterschluss» mit der SVP verstanden wird. Und bei der eher links orientierten Stadtberner GLP-Basis dürfte die Sensibilität für das Thema «Abgrenzung gegen rechts» noch deutlich grösser sein als bei den Freisinnigen (bei Mitte und EVP liegt sie wohl irgendwo dazwischen).

Das Zusammenspannen mit der SVP dürfte sich zudem negativ auf die wichtigen Panaschierstimmen der RGM-Basis auswirken. Klar ist: Würde von den erwähnten 37 Prozentpunkten gemeinsamer Stimmenanteil der Erfahrungswert von 15,7% abgezogen, käme die Liste «Gemeinsam für Bern» nur noch auf 31,2 Prozentpunkte. Dies würde nicht für zwei Vollmandate reichen. Könnte RGM seinen Stimmenanteil von 2020 (63,73 Prozent) halten, hiesse es wieder 4:1.

Keine Alternative für die GLP?

Wie erwähnt argumentiert die GLP-Leitung, dass ihr gar keine Alternative zu diesem Vorgehen geblieben sei, wenn sie sich realistische Chancen auf einen Gemeinderatssitz wahren will. Bei genauer Betrachtung ist diese Darstellung aber nicht haltbar.

Die zahlreichen Listen der GLP kamen gemeinsam mit jenen der EVP bei den Nationalratswahlen in der Stadt Bern auf knapp 15,95 Prozent Stimmenanteil. Das hätte bei den letzten Gemeinderatswahlen für ein Restmandat gereicht (unter Berücksichtigung, dass eine bürgerliche Liste von Mitte bis SVP dann einen Sitz geholt hätte). Das Rechenbeispiel ist im Fall von Zentrumslisten aber mit Vorsicht zu geniessen, da diese von Panaschiereffekten in beide Richtungen besonders stark betroffen sind. Trotzdem lässt sich sagen:  Mit einer oder zwei profilierten Kandidatin(nen), einem engagierten Wahlkampf sowie der freien Linie und nur zwei Bisherigen auf der RGM-Liste wäre bei den anstehenden Wahlen sogar ein Vollmandat absolut realistisch gewesen.

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Interessant ist, dass bei dieser Strategie die Aussichten auf zwei Sitze von Mitte-rechts gut gewesen wären – entgegen der landläufigen Meinung tendenziell besser als bei einer gemeinsamen Liste! Denn ein Zusammenschluss von Mitte, FDP und SVP hätte einen Sitz praktisch auf sicher gehabt (Stimmenanteil bei den Nationalratswahlen: 21,4 Prozent).

Sicher ist, dass die Zusammenarbeit mit der SVP für die GLP ihren Preis hat. Die Reaktionen in den Kommentarspalten und in den sozialen Medien lassen darauf schliessen, dass ein erheblicher Teil der Basis das Vorgehen nicht goutiert. Dies könnte sich bei den Stadtratswahlen im Herbst rächen; denn RGM wird auch im Wahlkampf die «Flexibilität» der GLP zum Thema machen.

Als wäre diese Aussicht nicht genug Grund zur Besorgnis, hatte der Entscheid auch unmittelbare Auswirkungen auf die Stadtratsfraktion: Michael Ruefer (seines Zeichens bis letztes Jahr noch Co-Präsident der Partei) hat aus dem Entscheid die Konsequenzen gezogen und ist zur GFL übergetreten. Damit hat die GLP in dieser Legislatur schon 2 ihrer 11 Mandate eingebüsst (Judith Schenk wechselte letzten Herbst zur SP).

Gründe für Entscheid sind schleierhaft

Wenn die Kosten des Zusammenschlusses so gross sind und eine Alternative vorhanden, stellt sich die Frage, warum sich die GLP für diese Strategie entschieden hat. Dafür gibt es zwei Erklärungsansätze:

Der erste: Die Parteileitung hat die Ausgangslage mangelhaft analysiert und eventuell auch die Reaktionen unterschätzt, welche der Zusammenschluss mit der SVP hervorrufen würde. Dafür spricht, dass sich seit den letzten Wahlen ohne solide Grundlage das Narrativ durchgesetzt hat, dass nur eine gemeinsame «BGM»-Liste realistische Chancen habe, RGM einen Sitz abzujagen (die Berner Tamedia-Redaktion spielte dabei eine wichtige Rolle). Die GLP hatte zudem das «Pech», dass die Abgrenzung gegen rechts durch die Demonstrationen in Deutschland ausgerechnet dann zu einem grossen Thema wurde, als sie den Entscheid für die Zusammenarbeit mit der SVP fällte.

Der zweite, interessantere Erklärungsansatz: Die Partei ordnet neben «moralischen Argumenten» bewusst auch alles andere dem Einzug in den Gemeinderat unter – die Vertretung im Stadtrat, aber vor allem auch das erklärte Ziel, RGM einen Sitz abzujagen. In diesem Fall macht das Vorgehen der Partei absolut Sinn: Selbst wenn ein beträchtlicher Teil der GLP-Basis dem Bündnis mit rechts die Stimme verwehrt, dürfte eine gute GLP-Kandidatur innerhalb der Liste am meisten Stimmen auf sich vereinen. Sind die Chancen auf einen Gemeinderatssitz bei einer Zusammenarbeit ausschliesslich mit der EVP «nur» gut, sind sie auf der breiten Liste sehr gut bis ausgezeichnet. Das Prädikat «alternativlos» wäre dann nicht die tatsächliche Einschätzung der Situation, sondern diente allein der Legitimierung des umstrittenen Vorgehens.

 Fazit

Was der Grund für die Entscheidung der GLP war, ist letztlich zweitrangig. Interessant sind in jedem Fall zwei Erkenntnisse: Erstens: Die «moralische Flexibilität» der GLP bei der Wahl ihrer Listenpartnerinnen könnte am Ende genau jenen zugutekommen, die sie mit am stärksten dafür kritisieren (RGM). Zweitens: Die Bürgerlichen (Mitte, FDP und SVP) könnten sich mit ihrem Drängen auf eine breite Liste selbst ein Ei gelegt haben: Statt sich mit einer rein bürgerlichen Liste den eigenen Sitz zu sichern und die GLP zu einem Effort zu zwingen, der wahrscheinlich in einen Sitzverlust für RGM gemündet hätte, haben die Grünliberalen ihr primäres Ziel (den eigenen Gemeinderatssitz) nun praktisch in der Tasche und können sich im Wahlkampf fast schon entspannt zurücklehnen. Am Ende könnten die Bürgerlichen damit leer ausgehen.

Die Überlegungen zur arithmetischen Ausgangslage sollen indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese nur einer von zahlreichen Faktoren ist, welche die Wahlen im Herbst entscheiden werden. Sie zeigen jedoch: Spannung ist garantiert – ganz besonders für die Bürgerlichen.