Es ist ein schöner, schlanker Katalog, reich bebildert, mit informativen Texten von Susanne Bieri und Etienne Wismer. Wer nichts von Emil Zbinden und Sumio Kawakami weiss, findet wie an einem Bergseil leicht und zuverlässig den Einstieg. Wer hierzulande vor allem Zbinden zu kennen glaubt, erlebt Überraschungen.
Eine Reise wert
Mit dem Zug erreicht man von Bern aus in einer guten Dreiviertelstunde Interlaken West. Fünf Gehminuten vom Bahnhof liegt am Rand der Höhenmatte das Kunsthaus. Kein imposanter Bau und doch ein Kleinod, in dessen Ausstellungen fast immer neue Einsichten zu gewinnen sind. Dies liegt an Kurator Heinz Häsler, ehemaliger Zeichenlehrer am Berner Gymnasium Neufeld, der das Kunsthaus zu seiner Sache gemacht hat, mit wenig Geld und viel Herzblut. Häsler scheut keinen Aufwand für wichtige Themen – doch wenn er einmal abtreten wird, dürfte es kaum möglich sein, ihn mit seinem grenzenlosen Engagement zu ersetzen. Wie es mit dem Kunsthaus Interlaken dann weitergeht, steht in den Sternen.
Vorläufig steht es auf Heinz Häslers Schultern. Er hat über den Sommer die Doppelausstellung «Sumio Kawakami & Emil Zbinden» eingerichtet mit Werken der beiden Holzschnittkünstler Zbinden (1908–1991) aus Bern und Kawakami (1895–1972) aus dem japanischen Yokohama. Die Holzschnitte weisen überraschende Parallelen auf, unterscheiden sich in Stil und Art der Darstellung aber deutlich. Beide Künstler wurzeln in der Tradition ihrer Kultur und entwickelten diese stets weiter. Zbinden stellt die Menschen, ihre Haltung, die Häuser, Bäume und Landschaften scharf, einprägsam in differenziertem Schwarz-Weiss dar. Kawakamis Bilder wirken weicher, flächiger, luftiger und dank der Handkolorierung auch lieblicher.
Gerechtigkeit und Hoffnung
Sumio Kawakami war, anders als der in Berlin und Leipzig akademisch ausgebildete Zbinden, Autodidakt sowohl in der traditionell japanischen als auch in der europäischen Technik des Holzschnitts. In einem bewegten Leben in bescheidenen Verhältnissen und zahlreichen Berufen schuf er ein reichhaltiges, farbiges Werk, das von westlichen Erzählungen berichtet. Mit der Eröffnung eines ihm gewidmeten Museums in Kanuma erreichte er erst spät Anerkennung.
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Durch Emil Zbindens Werke zieht sich die Gerechtigkeit. Die Welt wie sie ist, sei geteilt in oben und unten, reich und arm, mächtig und ohnmächtig. Sie müsse geändert werden. So heisst es in Zbindens bekanntem Zitat von 1974: «Ich bin nicht pessimistisch. Ich glaube nach wie vor an den Willen der Menschen, eine gerechtere Ordnung zu schaffen. Das ist ein langer und schwieriger Prozess mit vielen Rückschlägen. Aber es gibt auch viele Zeichen der Hoffnung. Der Mensch erhebt sich immer wieder aus allen Niederlagen. Keine Macht der Welt, keine Gewalt, nichts hat ihn bis jetzt dazu gebracht, Unterdrückung als etwas Unabänderliches hinzunehmen. Immer wieder steht er auf und kämpft für Gerechtigkeit in dieser Welt.»
Zbindens Vielfalt
Der Kampf für Gerechtigkeit hat viele Formen. Eine listige Form wählt das Seepferdchen im farbigen Holzschnitt «Griechische Flotte vor Troja»: Es schwimmt gegen den Strom der Schlachtschiffe, der Reiher und Delfine, die vereint gegen die Stadt an der kleinasiatischen Küste anbranden. Nicht mitmachen – auch das kann zur gerechteren Welt führen. Und es zeigt, dass es auf alle ankommt.
Es gibt nicht nur den Zbinden der bäuerlichen Welt und der ländlichen Ordnung, der Kraftwerkbauer, der Gotthelf-Illustrationen, der Tier- und Naturdarstellungen. Es gibt auch den Zbinden aus Nizza, Leipzig und Kreta. Und Zbinden, den Mahner, der bereits 1978 dem Wort «Computer» die bangen Gesichter, Gesten und Haltungen von fünf besorgten Arbeitern gegenübergestellt hat, fast prophezeiend. Es gibt den Zeichner und Holzschneider, der Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums wunderbar bebilderte. Und es gibt den selbstbewussten Künstler, der sich für die Kollegen berufspolitisch eingesetzt, die schweizerische und – mit Frans Masereel – die internationale Vereinigung Xylon mitgegründet hat.
Obwohl in seinem Gesamtwerk eher am Rand, steht seit drei Jahren das 1949 mit Eugen Jordi gemeinsam gestaltete «Wandalphabet» im Berner Schulhaus Wylergut im Zentrum einer Auseinandersetzung über Rassismus und Kolonialismus. Das durch Übermalung der Buchstaben C, I und N zerstörte Bild – der Berner Gemeinderat verzichtete auf Strafanzeige, weil er die Motive der Täter nachvollziehen konnte – soll aufgrund eines städtischen Wettbewerbs im Schulhaus abgelöst, ins Bernische Historische Museum gebracht und dort kontextualisiert werden. Schafft man so, wie es Zbinden erstrebte, eine gerechtere Ordnung?
Leider wurden aus dem Kawakami-Sumio-Grafik-Museum keine Originale nach Interlaken transportiert, im Kunsthaus hängen «nur» Faksimiles. Das ist schade, schmälert allerdings das Erlebnis der Ausstellung kaum. Sie vereint starke Werke aus zwei Kulturkreisen, die sich eindrücklich ergänzen. Und zeigt von Neuem die Kraft des Holzschnitts.