Die Frau galt früher als Eigentum des Ehemannes. In meinem Herkunftsland Kosovo, hauptsächlich in den Dörfern, wird die Frau heute noch in gewissen Familien wie ein Privateigentum des Mannes behandelt. Genauso in den albanischen Nachbarländern. Die Frau hat viele Pflichten, aber kaum Rechte. Sie muss nicht nur für die Zufriedenheit ihres Mannes da sein, sondern allen Familienmitgliedern dienen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben. In den 80-er Jahren, als ich noch im Kosovo lebte, wurde sie geschlagen und gab keinen Laut von sich. Obwohl die Familienmitglieder danach die Spuren der Gewalt sahen, schwiegen sie. Das heisst: Gewalt an der Frau galt als selbstverständlich. In bestimmten Regionen, vor allem in den abgelegenen Dörfern ist dies leider heute noch so.
Auch in modernen Gesellschaften, einschliesslich der Schweiz, wird heute noch Gewalt an Frauen verübt. Im Gegensatz zur Gewalt in patriarchalen Gesellschaften wird hier öffentlich davon gesprochen, und betroffene Frauen werden vom Gesetz und von Institutionen geschützt. Deshalb haben Frauen hier Mut und Vertrauen, Hilfe zu suchen. Das gilt leider nicht immer für Frauen mit Migrationshintergrund.
Viele von ihnen kennen die hiesigen Gesetze nicht. Sie wagen es nicht, darüber zu sprechen, geschweige denn, sich zu wehren. Sie schweigen aus Angst um ihre Existenz, ja um ihr Leben. Die Männer dominieren und demütigen sie, drohen sogar mit Mord und Abschiebung in die Heimat. Einige Frauen erzählten mir dies bei Gesprächen im Alltag oder im Beruf. Eine häufige ausgesprochene Drohung ist: «Du wirst deine Kinder nie mehr sehen!»
Wenn eine Albanerin geschlagen wird, bemerken dies meistens zuerst die NachbarInnen oder die Verwandten. Ich finde es dringend nötig, dass die verantwortlichen Institutionen einen Weg suchen, um in den Familien mit Migrationshintergrund Gewalt zu verhindern, die Frauen zu schützen, die Verwandtschaft zu informieren.
In meinem Beruf treffe ich Frauen aus allen Altersschichten, die wegen häuslicher Gewalt von ihren Ehemännern bei der Polizei oder sogar im Spital landen. Sie sind nicht nur körperlich verletzt, sondern auch psychisch. Aber am Schluss der Einvernahme, erstattet eine Frau selten Anzeige. Im Gegenteil, sie möchte wieder zurück zu ihrem Mann. Sie fühlt sich unsicher und hat Angst, dass es schlimmer wird, wenn sie anders entscheidet. Sie ist ihrem Mann völlig ausgeliefert und unterlegen. Zum Glück ist häusliche Gewalt seit einigen Jahren ein Offizialdelikt und die Gewalttätigen werden gesetzlich verfolgt und entsprechend bestraft.
Ein Teil der Frauen sieht die Gewalt kulturell bedingt als selbstverständlich an. Deshalb schweigen sie. Einen solchen Fall erlebte ich kürzlich. Während der Einvernahme erklärte der Polizist mehrmals der Betroffenen, dass hier in der Schweiz ihr Mann kein Recht habe, sie zu schlagen. Sie behauptete aber immer wieder: «Burri ka fuqi dhe ai ka të drejtë, ta rrah gruan» (der Mann hat Macht und er hat das Recht, seine Frau zu schlagen). Ich musste diesen sinnlosen Satz X-mal übersetzen, und so tun als würde er mich nichts angehen. Doch jedes Mal hätte ich ihr laut schreien wollen: «Hör auf mit diesem Blödsinn!». Mir war aber klar: sie ist ein Opfer, wie viele andere!
Vor kurzem las ich, dass im Kosovo nur 2 % der Gewalt an Frauen angezeigt wird. Wie sieht es wohl in patriarchalen Gesellschaften aus, wo heute noch die Steinigung der Frau als Strafe angewendet wird? Wann endlich kommen alle Gesellschaften in der Neuzeit an?