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Viktor Holikov ist erst seit wenigen Stunden in der Schweiz. In Berner Manier bestellt sich Viktor Holikov eine Schale, dazu essen wir Milchschokolade. In drei Tagen habe sich seine Realität komplett gewechselt: «Von der Front zu einem der friedlichsten Länder der Welt», erklärt Viktor Holikov. Er sei erleichtert, wieder hier zu sein, aber der abrupte Wechsel mache ihm zu schaffen. «Bern ist meine zweite Heimat, ich fühle mich hier sehr wohl.» Dutzende Male ist er in den letzten zwei Jahrzehnten hierher gereist, hat fotografiert, Freunde getroffen.
Im zivilen Leben war Viktor Holikov Fotograf. Seit achtzehn Monaten dient er als Soldat im Krieg. Früher hätte er es nicht für möglich gehalten, dass er eines Tages in der Armee dienen könnte. Er sei aus einem anderen Holz geschnitzt. Oder, wie man auf Ukrainisch sagen würde: aus einem anderen Teig geformt. Seit Kriegsausbruch rauche er mehr.
Als Soldat habe man keine Kontrolle mehr über sein Leben.
Seinen Alltag im Krieg hält Viktor Holikov fotografisch fest. In Bern ist ab Sonntag seine Serie «Passengers Seat» (deutsch: Beifahrersitz) zu sehen. Eine Reflexion darüber, dass wir nur Beifahrer seien, während das Leben selbst das Lenkrad halte, so Holikov. Denn als Soldat habe man keine Kontrolle mehr über sein Leben. «Du musst diese Realität einfach akzeptieren: Du fährst nicht, du kontrollierst nicht, aber du kannst die Momente trotzdem festhalten.» Die Explosionen, die Ruinen, die Panzer: Vom Beifahrersitz aus belichtet Viktor sein Leben an der Front.
Die Fotos sind spontane Aufnahmen, abgelichtet aus dem Inneren eines Autos. Ein verschwommenes Armaturenbrett, eine feine Staubschicht auf der Frontscheibe und verschwommene Spiegelungen integrieren sich in die imperfekten Bildkompositionen. Die Fotos zeigen keine expliziten Kriegsszenen. Trotzdem liegt die Gegenwärtigkeit des Krieges wie ein Schatten auf den Aufnahmen – selbst auf den unschuldig anmutenden Landschaftsfotografien.
Mit Geduld arbeitet Viktor Holikov eine feine Ästhetik der Zerstörung heraus. «Ich versuche darin das Schöne zu erkennen», so Holikov. Er wolle nicht das Schlimmste vom Krieg zeigen. Von Tag zu Tag werde der Krieg härter. Daran wolle er mit seiner Ausstellung erinnern: «Das ist unsere Realität, gar nicht allzu weit weg von Bern.»
Dieser Beitrag erschien zuerst bei RaBe Info.