Im Proberaum der Vidmarhallen stehen Instrumente herum, wie sie typisch für ein ganz gewöhnliches Orchester sein könnten: Gitarren, Klavier, Schlagzeug und ein Mikrofon für den Sänger. Darunter befinden sich jedoch auch Instrumente, die in anderen Orchestern nicht zu finden sind. Es handelt sich um adaptierbare Musikinstrumente mit Namen wie Motion Composer, Soundbeam oder Touch-Synth: Allesamt Musikinstrumente, die individuell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angepasst werden können und so für alle zugänglich sind.
Denn im Orchester Tabula Musica, das zurzeit in den Vidmarhallen probt, spielen sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderung mit. Für ihre neue Produktion «The Big Ensemble», das im November bei Bühnen Bern Premiere feiern und danach schweizweit auf Tournee gehen wird, hat das inklusive Orchester sogar Tänzer*innen mit Behinderungen, die HORA Band, die Sängerin Brandy Butler und Streicher*innen mit ins Boot geholt.


«Im Bereich Musik gibt es viel zu wenig Zugang für Menschen mit Behinderungen», erzählt Nadine Schneider, die vor sieben Jahren zusammen mit Denis Huna und Linda von Burg Tabula Musica, das Kompetenzzentrum für barrierefreie Musik, gegründet hat. Tatsächlich hinkt die Schweiz in vielen Bereichen, was die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen angeht, hinterher.


Dementsprechend schlecht fiel der letzte Bericht über die Schweiz durch den UNO-Menschenrechtsrat aus. Der Zugang ist sowohl für Zuschauer*innen als auch für Künstler*innen mit einer Beeinträchtigung erschwert. Eine Erfahrung, die auch Tabula Musica immer wieder machen muss, gerade wenn das Ensemble in verschiedenen Schweizer Städten unterwegs ist. «Menschen sind nicht behindert, sondern werden von äusseren Rahmenbedingungen eingeschränkt», erklärt die Co-Geschäftsleiterin Schneider «Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, diese Rahmenbedingungen anzupassen.».

«Anstatt zu denken, dass das einfach nicht geht, fragen wir lieber, wie es denn funktionieren kann», erklärt Schneider. Mit der adaptierbaren Musiktechnologie besucht Tabula Musica auch Schweizer Schulen unter dem Namen «Tabula Mobilé», oder gibt Workshops an Musikhochschulen, wo sie immer wieder auch auf skeptische Kommentare treffen. Oft hört Schneider beispielsweise, dass es bei den Musikinstrumenten doch eher um Spielzeug als um richtige Instrumente handle.
Das ist nicht erstaunlich, denn in der Schweiz ist adaptive Musiktechnologie nicht verbreitet. Tabula Musica holte sie damals aus Grossbritannien, wo beispielsweise der Soundbeam schon seit über 30 Jahren existiert und es mittlerweile sogar einen Studiengang an einer Musikschule für adaptive Musiktechnologie gibt. «Es eröffnet den Menschen neue Welten, da dachten wir uns, wir müssen diese Musiktechnologie in die Schweiz bringen!», so Schneider.
Bei Tabula Musica geht es darum, sich auf die Fähigkeiten der einzelnen Personen einzulassen und Musikinstrumente auf sie anzupassen. Die Anpassungen der Instrumente sind so unterschiedlich wie die Musiker*innen selbst. Ein Mitglied des Orchesters hat so in Zusammenarbeit mit Tabula Musica sogar das eigene Instrument selbst mitentwickelt und spielt auf seinem Tablet mit einer eigens programmierten Software. «Alles, was wir machen, machen wir mit den Personen zusammen. Das ist ein fester Grundsatz von Tabula Musica», erklärt Schneider.


Am 8. November findet die Premiere von «The Big Ensemble» in Bern statt. «Bühnen Bern zeigte sich sehr offen und engagiert, uns in der Umsetzung von verschiedenen Zugangsmassnahmen zu unterstützen», so Schneider. Übersetzung in Gebärdensprache, integrierte Audiodeskription, Elemente von Relaxed Performance und ein Pre-Show Access – alles Massnahmen, die in den meisten Veranstaltungsorten nicht gang und gäbe sind – sollen dafür sorgen, dass auch im Publikum mehr Menschen mit Behinderungen sein werden als sonst in den Vidmarhallen.
Mit «The Big Ensemble» feiert Tabula Musica Inklusion und Diversität. Das Spektakel zeigt, wie die Perspektiven von Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermassen berücksichtigt werden können. Dabei geht es nicht nur um die Zugänglichkeit fürs Publikum, sondern auch für die kunstschaffenden Personen. Die Tournee soll den grossen Schweizer Veranstaltungshäusern das riesige Potential inklusiver Kunst und Veranstaltungen aufzeigen und sie dazu motivieren dieses Potenzial durch breitere Zugänglichkeitsmassnahmen in Zukunft auch vermehrt auszuschöpfen.