In Bern steigen die Mieten von Wohnungen und die Preise von Liegenschaften. Es findet deshalb eine grossflächige Umschichtung der Wohnbevölkerung statt. Wer in einer einfachen Mietwohnung lebt, lebt auch konstant mit der Angst vor Sanierung, Verkauf, Kündigung.
Jener kleine Teil der Bevölkerung, der es sich leisten kann, investiert deshalb viel Geld ins Wohneigentum und sichert sich oder der Familie ein beständiges Umfeld – versüsst durch namhafte Steuerabzüge. Die Mehrheit, die mit einem kleinen oder einem mittleren Budget auskommen muss und – wie über die Hälfte aller Haushalte in der Schweiz – auf Wohnungsmieten deutlich unter 2000 Franken angewiesen ist, kann hier nicht mithalten und wird langsam aus der Stadt gedrängt.
Das betrifft auch viele Menschen, die für den Betrieb der städtischen und der kantonalen Infrastruktur zuständig sind: Strassenreiniger, Pflegefachleute, Angestellte der Verwaltung, LokführerInnen und PolizistInnen. Das ist die Schattenseite der neuen urbanen Welle.
Die Malaise ist bekannt. Im Mai 2014 setzte Berns Stimmbevölkerung ein Zeichen. Die Wohninitiative, die einen Drittel gemeinnützigen Wohnungsbau bei allen grösseren Projekten verlangt, wurde mit mehr als 70 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen. War das ein Signal für den Aufbruch? Mitnichten! Bürgerliche GegnerInnen der Initiative erwägen den Gang ans Gericht. Zudem ist bei allen Projekten, an denen die Stadt beteiligt ist, der Wurm drin. Schauen wir etwas genauer hin:
Warmbächli – 250 Wohnungen
Das Areal der alten Kehrrichtverbrennungsanlage ist zu 50 Prozent für den gemeinnützigen Wohnungsbau reserviert. Die Volksabstimmung im Juni 2012 fiel deutlich aus. Die gemeinnützigen Wohnbauträger sind inzwischen bereit, das gesamte Areal zu überbauen. Das wäre ein starkes Zeichen und der Beweis für die in der Politik beschworene «Renaissance der Genossenschaften».
Gemäss Planung der Liegenschaftsverwaltung (LV, heute Immobilien Stadt Bern ISB) sollten ab 2015 die ersten Neubauten erstellt werden. Die interessierten Wohnbaugenossenschaften hielt sie an, bis Ende 2013 einen Reservationsvereinbarung zu unterschreiben. Diese erstellten in der Folge eine Studie zu den Finanzierungskosten auf dem Areal und reichten sie mit den darin formulierten offenen Fragen zu Infrastrukturkosten und Baurechtszins Ende 2013 bei der LV ein. Seither herrschte seitens der LV Stillschweigen. Bis heute warten die Wohnbaugenossenschaften auf die Reservationsverträge.
Nur an einem einzigen Punkt hält die LV/ISB fest: dass der Baurechtszins von einer Million Franken – wie im Abstimmungsbüchlein ausgewiesen – nicht verhandelbar sei. Dabei macht die LV/ISB keinen Unterschied, ob auf dem Warmbächli renditeorientierte Investoren Eigentumswohnungen bauen oder ob gemeinnützige Bauträger preisgünstige Mietwohnungen erstellen wollen. Sie ignoriert auch die Tatsache, dass der für die Berechnungen des Baurechtszinses wichtige Referenzzinssatz seit der Abstimmung um einen Drittel von 3,75 Prozent auf 2 Prozent gesunken ist.
Klar ist: 2015 werden keine Bagger auffahren. Ob das im 2016 der Fall ist, wird sich weisen. Die Anforderungen an die Bauqualität sind hoch und müssen mit Wettbewerben sichergestellt werden. Der Stadt Bern entgehen auf jeden Fall Baurechtszins in erheblichem Umfang. Verschärft wird die finanzielle Malaise dadurch, dass die LV/ISB es vorgezogen hat, die bestehenden Gebäude sofort abzureissen statt für eine Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen.
Mutachstrasse – 110 Wohnungen
Das Projekt Mutachstrasse geht zurück auf einen Vorstoss um die Jahrtausendwende. Damals verlangte der Stadtrat ein Wohnbauprojekt, das pro Zimmer nicht mehr als 200 Franken Miete kosten sollte. Der Gemeinderat erklärte damals, dies sei unmöglich, allerdings sehe er Möglichkeiten, dieser Forderung mit einem Zimmerpreis von 300 Franken wenigstens teilweise nachzukommen. Auf einer städtischen Parzelle der Mutachstrasse soll dieses Projekt realisiert werden.
Das Projekt aber war und ist gleich mit mehreren Hindernissen bespickt: Auf der Parzelle stehen aktuell noch Familiengärten, die Vorstellung von sehr günstigem Wohnraum weckte Ängste vor den dadurch angezogenen MieterInnen und nicht zuletzt gilt das Areal als potentiell mit Schadstoffen belastet.
Die Volksabstimmung fand 2011 statt. Ein Investorenwettbewerb unter gemeinnützigen Wohnbauträgern war für 2014 angesagt. Doch daraus wurde nichts – auch weil Finanzdirektor Alexandre Schmidt den Musterbaurechtsvertrag abwarten will. Mit dessen Ausarbeitung wurde in Zusammenarbeit mit den gemeinnützigen Partnern bereits 2013 begonnen – und nicht nach der Annahme der Wohninitiative, wie die Behörden derzeit in den Medien verlauten lassen.
Ein Musterentwurf 2014 lag im Frühsommer vor. Er wurde dann aber plötzlich zurückgezogen. Man hört, dass die Finanzdirektion im Alleingang ein neues Regelwerk erstelle und dass die darin gemachten Auflagen weit über das hinausgehen, was bislang in Baurechtsverträgen üblich war. So sollen Belegungsdichten sowie Einkommen und Vermögen der zukünftigen MieterInnen festgelegt werden. Es scheint so, als ob Finanzdirektor Alexandre Schmidt die strengen Auflagen für den subventionierten städtischen sozialen Wohnungsbau auf die nicht subventionierten, freitragenden Wohnungen der gemeinnützigen Bauträger übertragen will. Offen ist, ob er auf diese Weise genossenschaftliche Projekte vorzeitig zum Scheitern bringen will.
Feuerwehrkaserne Viktoria – 20 Wohnungen
Der Auszug der Feuerwehr ist seit vielen Jahren bekannt. Die Volksabstimmung für den neuen Feuerwehrstützpunkt fand 2010 statt. Die Stadt/ISB hat es aber nicht fertiggebracht, rechtzeitig die weitere Nutzung festzulegen. ISB war auch lange nicht gewillt, ein entsprechendes Verfahren mit Quartierbeteiligung anzudenken. Deswegen kommt es jetzt zu einer mehrjährigen Zwischennutzung unter aktiver Beteiligung des Quartiers. Das Projekt Feuerwehrkaserne ist zwar vergleichsweise klein aber auch komplex. Es müssen Überlegungen zu Wohnen, Arbeiten und zu Quartierdienstleistungen angestellt werden.
Bei den nun angekündigten Wettbewerben für die Endnutzung will die Stadt auf die Zwischennutzung und die dabei formulierten Quartieranliegen keine Rücksicht nehmen. Der Investitionswettbewerb soll bereits im Frühjahr starten. Problematisch ist: Bis heute ist unbekannt, welche Vorgaben den potentiellen Interessenten gemacht werden sollen. Wird wie beim Projekt Central Lorraine (siehe unten) wieder auf ein «fait a compli» hingearbeitet? Auf Versprechen, die nicht eingehalten werden? Im Stadtrat hängige Vorstösse verlangen, dass gemeinnützige Bauträger zum Zug kommen sollen.
Einzig bekannt ist heute: Die Freiflächen in der Feuerwehrkaserne sollen im Rahmen der Zwischennutzung der Nationalbank als Parkierungsflächen zur Verfügung gestellt werden.
Reichenbachstrasse 118 – 100 Wohnungen
Der Standort der alten Pflegefachschule bietet Platz für rund 100 Wohnungen. Die in der Quartierkommission Länggasse präsentierten Wohnvorstellungen zeigen, dass die Behörden hier – einmal mehr – ein Potential für Wohnungsbau der gehobenen Klasse ausgemacht haben. Im Stadtrat ist derzeit ein Vorstoss hängig, der verlangt, das Areal sei einem gemeinnützigen Bauträger zu vergeben.
Der Gemeinderat sträubt sich dagegen – wie bisher bei jedem Vorstoss zum gemeinnützigen Wohnungsbau. Er will den Anteil auf einen Drittel beschränken. Er ist auch hier nicht bereit, mehr als das Minimum an gemeinnützigem Wohnungsbau zu betreiben. Dabei zeigt ein Blick ins Quartier Rossfeld, dass ein Wandel von Miete zum Eigentum im Gange ist. Im Sinne einer Durchmischung wäre es deshalb sinnvoll, wenn die Stadt Bern hier Mietwohnungen für die mittlere und untere Mittelschicht realisieren würde. Der preisgünstige Wohnungsbau darf sich nicht nur auf den Westen der Stadt beschränken!
Burgernziel – 100 Wohnungen
Das ehemalige Tramdepot steht auch schon einige Jahre leer. Die bürgerlichen Parteien wollten das Grundstück für ihre Klientel beanspruchen und – entsprechend dem Umfeld – noch mehr gehobenen Wohnungsbau realisieren. Der Stadtrat verordnete im letzten Moment einen Anteil gemeinnützigen Wohnungsbaus. Inzwischen ist klar: Die Mobiliar ist als Investor vorgesehen. Eine Wohnbaugenossenschaft mit interessierten Parteien hat sich gemeldet. Selbstnutzer-Genossenschaften geniessen bei der Stadt aber nicht das gleiche Ansehen wie grosse Produktionsgenossenschaften – und dies obwohl sie auf die im Liegenschaftsmarkt möglichen Renditen verzichten.
Bemerkung am Rande: Beim Kreisel am Burgernziel hat es die Stadt kürzlich verpasst, sich mit dem Kauf des ehemaligen Restaurants Burgernziel eine städtebaulich wichtige Parzelle zu sichern.
Centralweg – 13 Wohnungen
Das Projekt Centralweg ist das Trauerspiel par excellence. Die Stadt ist mit dem Versprechen angetreten in Eigenregie preisgünstigen Wohnraum fürs Quartier zu bauen – und hat der Initiative aus dem Quartier, selber ein Genossenschaftsprojekt zu realisieren, eine Absage erteilt. Von den ursprünglich versprochenen Absichten ist nichts geblieben. Was bleibt, sind marktübliche Mieten in einer städtischen Liegenschaft in der Lorraine. Das ist wie ein Konkurs der städtischen Wohnbaupolitik!
Die Stadt hat – nachdem sie die Initiative an sich gerissen hat – hier gleich mehrere Gelegenheiten verpasst, um in der Lorraine eine städtebaulich und politisch sinnvolles Projekt zu lancieren Sie hat auf eine mögliche «Aufzonung» verzichtet. Sie hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, der keinen Kostenrahmen und kein dem Quartier angepasstes Bauprogramm vorgab und damit die Architekten zum freien Gestalten verleitet (nur so konnten die sogenannten Baumzimmer entstehen). Und schliesslich hat die Jury es unterlassen, hier noch die Notbremse zu ziehen.
Gaswerkareal – 200 Wohnungen
Jahrelange Untätigkeit und mangelnde Kapazitäten beim Stadtplanungsamt haben dazu geführt, dass EWB die Planung auf dem Gaswerkareal selber in die Hand genommen hat. Als Partner kam der GU Losinger Marazzi dazu. Irritierend ist, dass im Testplanungsverfahren die Stadt Bern an den fünf Jurytagen jeweils mit über einem Dutzend Fachpersonen vertreten war. Das war ein Novum: Weil nicht die öffentliche Hand die Federführung hatte, delegierte jede Abteilung der Verwaltung ihre Fachpersonen.
Es versteht sich, dass die Firma Losinger Marazzi hier nicht nur planen, sondern als Projektentwickler auch gerne bauen möchte. Das wird offiziell aber so nicht bestätigt. Motionen für den Kauf des Areals durch die Stadt und somit die Übernahme der Planungshoheit sind eingereicht. Wie es weiter geht, ist offen.
Das Gaswerkareal ist neben dem Viererfeld das grösste, zentrumsnahe Entwicklungsgebiet. Den Stadtbehörden fehlt eine Vorstellung über das künftige soziale Gefüge und die avisierten Haushalte. Doch nur wenn klar gesagt ist, wer in Zukunft im Gaswerk wohnen soll (worauf auch das teilnehmende Architekturteam MVRDV aus Holland in seinen Analysen hinweist) ist es möglich, im Gaswerk Städte- statt Renditebau zu realisieren.
Viererfeld – 1000 bis 1200 Wohnungen
Die erste Planung scheiterte vor zehn Jahren unter anderem daran, dass die Stadt keinerlei Aussagen zum Preissegment der künftigen Wohnungen machen wollte. Sie scheiterte aber auch, weil kurz zuvor die Planung auf der Manuelmatte (Elfenau) nach Protesten aus dem Quartier fallen gelassen wurde. Das gab dem Widerstand gegen das Viererfeld Auftrieb.
Inzwischen sind sich Stadt und Kanton handelseinig. Aber neue nationale Gesetze stellen die angestrebte Stadterweiterung in Frage. Das Bundesamt für Raumordnung ARE muss das Areal freigeben. Der Kanton hat die entsprechenden Eingaben vor der Abstimmung zum neuen Raumplanungsgesetz RPG verschlampt. Nun will er zuerst den Richtplan verabschieden. Die Abstimmung verzögert sich möglicherweise auf 2017.
Auch die Haltung der Behörden verstärkt die Skepsis. Die Eingaben im Rahmen der Mitwirkung hat das Stadtplanungsamt weitgehend ignoriert. Der Stadtrat hat inzwischen ein Zeichen gesetzt und damit die Forderungen der Fachverbände und Rot-Grün-Mitte-Parteien aus der Mitwirkungen aufgenommen: Gegen den Willen des Gemeinderates überwies er den verbindlichen Auftrag, auf dem Viererfeld dereinst einen Anteil von fünfzig Prozent gemeinnütziger Wohnungen zu erstellen.
Warum dieser Stillstand?
Die städtische Wohnbaupolitik ist einseitig ausgerichtet. Die Bautätigkeit der letzten Jahre schuf zahlreiche Eigentumswohnungen und Mietwohnungen im höheren Segment. Beim preisgünstigen Wohnungsbau herrscht Nachholbedarf. Aber es passiert nichts. Das sind die Gründe dafür:
• Politisch ist es ein Fehler, einem neoliberalen Hardliner das Dossier Wohnungsbau zu übergeben. Gemeinderat Alexandre Schmidt hat kein Interesse am gemeinnützigen Wohnungsbau. Der Verzicht auf marktübliche Mieten und die damit verbundene Eindämmung der Preisentwicklung steht nicht in seinem Parteiprogramm. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn es nicht voran geht.
• Unterstützt wird der Finanzdirektor durch die zuständige Verwaltungseinheit ISB, die sich auch marktlogischen Kriterien verschrieben hat. Die Art und Weise, wie sie Projekte entwickelt und begleitet, weist nicht darauf hin, dass der gemeinnützige Wohnungsbau prioritär behandelt wird.
• Bei dieser Konstellation ist es schwierig, die wohnbaupolitischen Ambitionen von Rot-grün durchzusetzen. Ihre Mehrheiten im Fonds und im Gemeinderat kommen nur bedingt und verzögert zum Tragen – eigentlich unerklärlich.
• Viel Zeit und Geld geht mit dieser Konstellation verloren. Um beim Geld zu bleiben: Wegen den Verzögerungen bei der Nachnutzung verliert die Stadt Bern Baurechtszinse in Millionenhöhe – pro Jahr!
Fazit: Das wird nichts
In Bern wird zwar viel über die Förderung des Baus gemeinnütziger und preisgünstiger Wohnungen geredet. Aber es passiert fast nichts. Um einen ähnlich hohen Bestand an Wohnungen in diesem Segment zu erreichen wie Biel oder Zürich, müssten in den kommenden Jahren 3500 bis 10’000 Wohnungen errichtet werden.
Wir können davon nur träumen und schauen neidisch nach Zürich. Dort schlagen die Akteure ein anderes Tempo an. So vergingen bei den innovativen Wohn- und Siedlungsprojekten «Mehr als Wohnen» und Kalkbreite gerade mal sieben Jahre zwischen der ersten Idee und dem Bezug der ersten Wohnungen. Bei beiden Projekten war der politische Wille spürbar und die fachliche Begleitung ausgezeichnet.
Kurz: Mit dieser Geometrie wird es nichts mit preisgünstigem Wohnungsbau in nützlichem Umfang. Die Forderung von 70 Prozent der Stimmbevölkerung bleibt ein frommer Wunsch.