Das Elend der steigenden Krankenkassenprämien

von Willi Egloff 14. September 2023

Gesundheitspolitik Der Kanton Bern erweitert für das laufende Jahr die Verbilligung der Krankenkassenprämien für Familien. Das ist für die betroffenen Personen ohne Zweifel eine gute Nachricht. Aber es ist immer noch viel zu wenig.

343 Millionen Franken zahlte der Bund im vergangenen Jahr dem Kanton Bern für die Verbilligung von Krankenkassenprämien. Der Kanton selbst sollte dazu 291 Millionen aus eigenen Mitteln beitragen. Statt der somit zur Verfügung stehenden 634 Millionen wurden aber nur 585 Millionen ausbezahlt. Die restlichen 49 Millionen hat der Kanton Bern «gespart».

Dieser Spareifer hat dazu geführt, dass der Kanton Bern nicht einmal mehr die für diese Aufgabe geltenden gesetzlichen Minimalvoraussetzungen erfüllt. Gemäss dem geltenden Gesetz müssen die Prämienverbilligungen nämlich so festgesetzt werden, dass 25-45 % der Wohnbevölkerung davon profitieren. Im Jahre 2022 waren es aber im Kanton Bern nur noch 24,7%. Mit der jetzt erfolgten Erhöhung der Ansätze soll wenigstens dieses gesetzliche Minimum wieder erreicht werden.

Die Prämien steigen weiter

Dieser Ausbau der Prämienverbilligungen ändert natürlich nichts daran, dass die Krankenkassenprämien selbst unerbittlich weiter steigen. Das liegt zum einen an den insgesamt steigenden Kosten des Gesundheitssystems, vor allem aber an dessen unsozialer Finanzierung. Wie Bernhard Pulver, Präsident der Insel Gruppe und Ständeratskandidat der Grünen, in einem Beitrag für Journal B zu Recht ausführt, sehen wir uns weniger einem Kostenproblem als einem Finanzierungsproblem gegenüber.

Unsere Prämien steigen so stark, weil sie einen immer grösseren Anteil an den Gesundheitskosten decken müssen.

Das wird schon daran deutlich, dass die Krankenkassenprämien wesentlich schneller steigen als die Gesundheitskosten. 1996 waren rund 30% der gesamten Gesundheitskosten über Prämien finanziert worden. 2020 waren es bereits 38%. In diesem Zeitraum sind die Gesundheitskosten um 81,5% gestiegen, die Krankenkassenprämien aber um 146%! Unsere Prämien steigen also so stark, weil sie einen immer grösseren Anteil an den Gesundheitskosten decken müssen.

Eine wichtige Rolle spielt hier auch die unterschiedliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Wird jemand in einem Spital stationär behandelt, so trägt der Kanton einen Anteil von 55% der entstehenden Kosten. Wird die gleiche Person für das gleiche Leiden ambulant behandelt, bezahlt der Kanton nichts, sondern die Kosten gehen zu 100% zu Lasten der Versicherung. Da zahlreiche Behandlungen, die früher einen Spitalaufenthalt nötig machten, heute ambulant erfolgen können, werden den Prämienzahler*innen so automatisch immer mehr Kosten aufgebürdet. Im Ergebnis können in diesem Bereich die Gesundheitskosten sogar sinken, die Krankenkassenprämien steigen trotzdem.

Unsoziale Kopfprämien

Das Kernproblem der Finanzierung sind aber die unsozialen Kopfprämien. Anders als bei den übrigen Sozialversicherungen bezahlen in der Krankengrundversicherung alle Versicherten die gleichen Prämien, unabhängig von ihrem Einkommen oder ihrem Vermögen. Das hat zur Folge, dass Personen mit geringem oder mittlerem Einkommen inzwischen Krankenkassenprämien bezahlen, die ihr finanzielles Leistungsvermögen deutlich übersteigen. Gerade um dies zu verhindern, war die Prämienverbilligung ursprünglich eingeführt worden. Sie erreicht dieses Ziel aber immer weniger, da ihre Höhe den steigenden Prämien nicht folgte.

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Im Kanton Bern ist der Anspruch auf Prämienverbilligung von fixen Einkommensgrenzen abhängig, und diese wurden in den vergangenen Jahren nur sehr zögerlich an die Lohnentwicklung angepasst. Dadurch kamen die Verbilligungen  nur einem immer kleineren Teil der Versicherten zugute. Im Jahre 2022 erreichten sie, wie beschrieben, nicht einmal mehr den vom Gesetz vorgegebenen Mindestanteil der Wohnbevölkerung.

Der vom Regierungsrat nun beschlossene Ausbau der Prämienverbilligung macht daher zwar als kurzfristige Massnahme Sinn, doch sind zusätzlich weitere Veränderungen erforderlich. Eine dauerhaftere Regelung sieht etwa die von SP und Gewerkschaften lancierte Prämienentlastungs-Initiative vor, die demnächst in National- und Ständerat behandelt werden wird. Sie sieht vor, die individuellen Krankenkassenprämien generell auf 10% des Einkommens zu begrenzen und die verbleibenden Kosten über Steuern zu finanzieren. Es bleibt dabei zwar bei den unsozialen Kopfprämien, doch wird deren Last dadurch abgemildert, dass diese einen bestimmten Anteil des Einkommens nicht übersteigen können.

Einkommensabhängige Krankenkassenprämien sind nur möglich, wenn zwischen allen Versicherten uneingeschränkte Solidarität besteht.

Ein anderer Weg bestünde darin, die Prämien der Krankenkassen von vorneherein einkommensabhängig auszugestalten. Das wäre einfacher, und es entspräche dem Finanzierungsmodell der übrigen Sozialversicherungen wie der AHV,  der Invalidenversicherung, der obligatorischen Unfallversicherung oder der Arbeitslosenversicherung.

Darüber, dass sich das Elend der ständig steigenden Krankenkassenprämien auf diesem Weg wenigstens ein Stück weit abmildern liesse, scheint inzwischen in weiten Kreisen Konsens zu herrschen. So liess sich selbst der SVP-Gesundheitsdirektor des Kantons Bern im «Bund» mit den Worten zitieren: «Wenn Gutverdienerinnen oder -verdiener monatlich statt 500 Franken 1000 Franken Krankenkassenprämien zahlen, wird das ihren Lebensstil kaum beeinflussen. Wer wenig verdient, spürt hingegen eine Erhöhung von 20 oder 30 Franken.» Genau darum muss es mit den unsozialen Kopfprämien ein Ende haben.

Umsetzung durch eine einheitliche Krankenkasse

Damit dieser Schritt möglich wird, muss sich an der Finanzierung der Gesundheitskosten allerdings noch ein zusätzlicher Punkt ändern: Es kann im Bereich der Grundversicherung keine privaten Krankenkassen mehr geben, die mit teuren Werbekampagnen um die jeweils günstigsten Risiken, sprich um junge, gesunde Versicherte buhlen. Einkommensabhängige Krankenkassenprämien sind nur möglich, wenn zwischen allen Versicherten uneingeschränkte Solidarität besteht, wenn also alle Lasten von allen Versicherten gemeinsam getragen werden, soweit sie nicht durch die öffentliche Hand direkt finanziert sind.

Um das zu erreichen, müssen alle Versicherten in einer gemeinsamen Versicherung zusammengefasst sein, wie dies bei der AHV, bei der Invalidenversicherung, der Arbeitslosenversicherung oder der SUVA schon heute der Fall ist. Wie die Erfahrung in diesen Sozialversicherungen zeigt, sind hier auch die Verwaltungskosten erheblich tiefer als bei privaten Versicherungen. Die Schaffung einer einheitlichen Krankenkasse für die Grundversicherung wäre daher gleichzeitig auch ein Beitrag zur Reduktion der allgemeinen Gesundheitskosten.