«Eine Attacke auf das kulturelle Leben» – so sieht Edna Epelbaum, Betreiberin der Quinnie-Kinos in Bern und Präsidentin des Schweizerischen Kinoverbands, die neuen, harten Corona-Massnahmen im Kanton Bern. Im «Bund» erklärt sie, die Schutzkonzepte hätten funktioniert. Einen Austausch mit der Kino-Branche habe es vor dem Regierungsbeschluss nicht gegeben.
Wer attackiert? Der Regierungsrat? Die Museen in der Stadt und im Kanton Bern zeigen sich «irritiert und enttäuscht über die abrupte Anordnung der Schliessung sämtlicher Museen». Museumsbesuche verursachten keine Massenansammlungen von Menschen. Alle Museen hätten seit Mai Schutzvorkehren laufend angepasst. Corona-Ansteckungen im Museumsbereich «sind soweit keine bekannt». Die Schliessung sei «eklatant» unverhältnismässig.
Ähnlich tönt es in einem offenen Brief der Dampfzentrale und des Schlachthaus Theaters Bern. «Wir können veranstalten; wir wollen veranstalten!» lautet ihre Devise. Die Schutzkonzepte hätten sichere Veranstaltungen möglich gemacht: «Wir waren parat! (…) Nur selten stecken sich Menschen bei Kulturanlässen an.» Die Schliessung gehe zu weit. Kunst sei «ein notwendiges Elixier zum Leben und Überleben; wir möchten unserem Publikum in Bern Zuversicht geben und wir haben Konzepte, die das können.» Deshalb: «Für die Öffnung der Theaterhäuser!»
Kultur zu Hause
Derweil hört man aus den Spitälern, zur Sicherstellung der notwendigen Behandlungsmöglichkeiten für Corona-Patienten würden Operationen nicht mehr durchgeführt, die Intensivbetten werden knapp, die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegenden seien an der Belastungsgrenze.
Was nun? Die Kulturveranstalterinnen und -veranstalter wollen alles richtig gemacht haben. Die rasant steigenden Ansteckungszahlen bezeugen indes ein grosses Problem. Macht man es im Kulturbereich besser als anderswo? Als wo? Da die Infektionen nicht in Frage gestellt werden können, müssen Vorkehrungen und Verhalten in anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen schuld sein. In welchen? Mit welcher Begründung? Hinweise bleiben aus.
An wen richtet sich der offene Brief der Theaterhäuser? Kein Adressat. Im Brief steht auch, Theater helfe, «aus Sackgassen des Denkens herauszufinden». Besteht das kulturelle Leben ausschliesslich aus Anlässen, Veranstaltungen, Events, aus dem Ausgang? Nein. Dazu gehört ebenso, ein Buch zu lesen, zu Hause Musik zu machen oder zu hören, einen Film zu schauen. Da fehlt manchmal schon der Austausch mit anderen über das Gelesene, Gesehene, Gehörte, doch nicht immer geht das über Small Talk hinaus. Aus «der Sackgasse des Denkens» hilft auch Kultur zu Hause.
Worum es geht
Warum ist Kultur unverzichtbar? Weil sie zur Anteilnahme, zur Empathie anregt, ja anstiftet. Zur Fähigkeit, sich auf emotionale Weise in eine andere Person hineinzuversetzen und deren Schicksal so zu erleben und so empfinden zu können, als wäre es das eigene. Indem wir Anteilnahme üben, entfernen wir uns ebenso von moralischer Ignoranz wie von moralischem Übereifer.
Aus meiner Sicht besteht Kultur in dieser viral bedrohten Zeit in der Zurückhaltung. Wer Anteil nimmt, bleibt heute zu Hause und vermisst das Kino, das Theater, das Museum. Das ist nicht Desinteresse an Kultur, sondern Empathie mit den besonders bedrohten Menschen. Vernünftige Kulturschaffende bestärken uns darin.
Der Verband «SONART – Musikschaffende Schweiz» etwa. Er kann «nachvollziehen, dass zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einschneidendere Massnahmen notwendig sind». Denn: «Auch der Kultursektor will keine überfüllten Intensivstationen und keine Überlastung der Gesundheitsfachpersonen: ihnen gilt unser allergrösster Respekt.» Und der Verband bringt das Problem konstruktiv auf den Punkt: SONART fordert schweizweit einheitliche Regeln für Kulturveranstaltungen, den Einbezug der Kulturverbände bei deren Umsetzung, Mitwirkung beim Bestimmen der Unterstützung und rasche finanzielle Leistungen.
Darum geht es. «Wir wollen spielen!» – der Spruch mag dem Ego flattieren. Er lässt das Du ausser Acht. Dem Leben dient er nicht. Und auch nicht «der Kultur», in deren Namen er posaunt wird.